Beschluss vom 18. Februar 2009 - 2 BvC 9/04
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2009:cs20090218.2bvc000904 |
Judgement Number | 2 BvC 9/04 |
Citation | BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 18. Februar 2009 - 2 BvC 9/04 - Rn. (1-32), |
Date | 18 Febrero 2009 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvC 9/04 -
über
die Wahlprüfungsbeschwerde
des Herrn P...,
gegen | den Beschluss des Deutschen
Bundestages vom 12. Februar 2004 - WP 105/02 -, BTDrucks
15/2400, S. 47 ff. |
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Vizepräsident Voßkuhle,
Broß,
Osterloh,
Di Fabio,
Mellinghoff,
Lübbe-Wolff,
Gerhardt,
Landau
am 18. Februar 2009 beschlossen:
Die Wahlprüfungsbeschwerde hat sich erledigt.
I.
1. Der Beschwerdeführer erhob mit Schreiben vom 17. November 2002 beim Deutschen Bundestag Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag am 22. September 2002.
Zur Begründung machte er geltend, das Zuteilungsverfahren nach Quoten mit Restausgleich nach größten Bruchteilen gemäß § 6 Abs. 2 Satz 4 BWG (Hare/Niemeyer-Verfahren) verletze den Grundsatz der Gleichheit der Wahl. Die Ausgestaltung des „Zwei-Stimmen-Verfahrens" gemäß § 6 BWG verstoße gegen die Grundsätze der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl, soweit ein doppelter Stimmerfolg nicht stets ausgeschlossen werde. Zu einem doppelten Stimmerfolg könne es in bestimmten Konstellationen durch ein „Splitten" von Erst- und Zweitstimmen kommen. Insbesondere die auf der Grundlage von § 6 Abs. 1 Satz 1 BWG vorgenommene Berücksichtigung der Zweitstimmen von Wählern, die in zwei Berliner Wahlkreisen mit ihrer Erststimme der jeweiligen Wahlkreiskandidatin der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) zu einem Mandat verholfen, mit ihrer Zweitstimme jedoch für eine andere Landesliste gestimmt haben (sogenannte Berliner Zweitstimmen), habe den Stimmen dieser Wähler ein doppeltes Stimmgewicht verliehen. Die in § 7 BWG geregelte Möglichkeit der Verbindung von Landeslisten verletze den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl, weil für den Wähler die Wirkung seiner Stimmabgabe nicht hinreichend erkennbar sei. Gleiches gelte für das Verfahren zur bundesweiten Ermittlung des Proporzes gemäß § 6 BWG (sogenannte Oberverteilung) in Verbindung mit dem Prinzip der Landeslisten. Dieses gewährleiste auch nicht, dass die einzelnen Länder - wie es ein föderales System verlange - proportional zu ihrer Bevölkerungszahl im Deutschen Bundestag vertreten seien. Werde ein Direktmandat gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 BWG auf die nach der Landesliste seiner Partei zu vergebenden Mandate angerechnet, obwohl der erfolgreiche Wahlkreiskandidat auf der Landesliste nicht kandidiert habe und daher mit der Zweitstimme nicht habe gewählt werden können, werde ebenfalls gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl verstoßen. Schließlich seien der Grundsatz des gleichen passiven Wahlrechts und die Chancengleichheit von Einzelbewerbern dadurch verletzt, dass im Falle ihres Erfolgs die von ihren Wählern abgegebenen Zweitstimmen gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG - anders als bei Wahlkreiskandidaten einer Landesliste - nicht gewertet würden.
2. Der Deutsche Bundestag wies den Wahleinspruch in seiner 91. Sitzung vom 12. Februar 2004 als offensichtlich unbegründet zurück (vgl. Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses vom 29. Januar 2004, BTDrucks 15/2400, S. 47 ff.
3. Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 10. April 2004 erhobene Wahlprüfungsbeschwerde. Sie wird von mehr als einhundert Wahlberechtigten unterstützt. Der Beschwerdeführer wiederholt seine Rügen aus dem Einspruchsverfahren.
4. Am 21. Juli 2005 hat der Bundespräsident den 15. Deutschen Bundestag auf Vorschlag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 GG aufgelöst (BGBl I S. 2169). Am 18. September 2005 hat die Wahl zum 16. Deutschen Bundestag stattgefunden und der 16. Deutsche Bundestag hat sich konstituiert.
Der Beschwerdeführer verfolgt seine Beschwerde weiter.
II.
Die Wahlprüfungsbeschwerde hat sich erledigt.
1. Das Wahlprüfungsverfahren soll die gesetzmäßige Zusammensetzung des Deutschen Bundestages gewährleisten (vgl. BVerfGE 1, 430 <433>; 103, 111 <134>; stRspr). Da der 15. Deutsche Bundestag aufgelöst worden ist und sich ein neuer Bundestag konstituiert hat, kann eine Entscheidung über die Wahlprüfungsbeschwerde keine Auswirkungen mehr auf die ordnungsgemäße Zusammensetzung des 15. Deutschen Bundestages haben. Die Wahlprüfungsbeschwerde ist insoweit gegenstandslos geworden (vgl. BVerfGE 22, 277 <280 f.>; 34, 201 <203>).
2. Das Bundesverfassungsgericht bleibt grundsätzlich auch nach der Auflösung eines Bundestages oder dem regulären Ablauf einer Wahlperiode befugt, die im Rahmen einer zulässigen Wahlprüfungsbeschwerde erhobenen Rügen der Verfassungswidrigkeit von Wahlrechtsnormen und wichtige wahlrechtliche Zweifelsfragen zu prüfen.
a) Ob eine Wahlprüfungsbeschwerde eingelegt wird, obliegt der freien Entscheidung jedes Beschwerdeberechtigten. Das Bundesverfassungsgericht kann nicht von Amts wegen tätig werden. Die Wahlprüfungsbeschwerde hat demgemäß eine Anstoßfunktion. Über den weiteren Verlauf des überwiegend objektiven Verfahrens (vgl. BVerfGE 34, 81 <97>) entscheidet jedoch das Bundesverfassungsgericht. Insoweit kommt es auf das öffentliche Interesse an (vgl. BVerfGE 89, 291 <299>).
b) Nach Ablauf einer Wahlperiode kann ein öffentliches Interesse an einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts...
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