Beschluss vom 18. Oktober 2023 - 1 BvR 1796/23
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2023:rk20231018.1bvr179623 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 18. Oktober 2023 - 1 BvR 1796/23 -, Rn. 1-31, |
Judgement Number | 1 BvR 1796/23 |
Date | 18 Octubre 2023 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1796/23 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn (…), |
- Bevollmächtigter:
- (…) -
gegen |
1. unmittelbar |
|
a) das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. August 2023 - NotZ(Brfg) 4/22 -, |
||
b) das Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 10. Februar 2022 - Not 5/21 - |
||
2. mittelbar |
||
§ 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a Bundesnotarordnung (BNotO) |
hier: | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Christ,
Wolff
und die Richterin Meßling
gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 18. Oktober 2023 einstimmig beschlossen:
- Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt
I.
Der Beschwerdeführer – ein Anwaltsnotar – wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde und seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Erlöschen seines Notaramtes durch Erreichen der Altersgrenze.
1. Der im Jahr 1953 geborene Beschwerdeführer wurde 1983 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Im Jahr 1992 wurde er außerdem zum Notar für den Bezirk des Oberlandesgerichts Düsseldorf mit Amtssitz in (…) bestellt.
2. Das Notaramt des Beschwerdeführers wird gemäß § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a Bundesnotarordnung (BNotO) erlöschen, wenn er mit Ablauf des 30. November 2023 die gesetzliche Altersgrenze erreicht. Die im Jahr 1991 in Kraft getretene Regelung soll eine geordnete Altersstruktur des Notarberufs wahren (vgl. BTDrucks 11/8307, S. 17 f.). Die Vorschriften haben folgenden Wortlaut:
§ 47 Bundesnotarordnung
Das Amt des Notars erlischt durch (...)
2. Erreichen der Altersgrenze (§ 48a) (...).
§ 48a Bundesnotarordnung
Die Notare erreichen mit dem Ende des Monats, in dem sie das siebzigste Lebensjahr vollenden, die Altersgrenze.
3. a) Im Jahr 2021 erhob der Beschwerdeführer Klage beim Oberlandesgericht Köln als zuständigem Berufsgericht gegen den Präsidenten des Oberlandesgerichts Düsseldorf als Aufsichtsbehörde mit dem Antrag festzustellen, dass sein Notaramt nicht mit Erreichen der Altersgrenze erlösche.
Der Beschwerdeführer trug insbesondere vor, die gesetzliche Regelung über die Altersgrenze verstoße gegen Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrCh) sowie gegen das Verbot der Altersdiskriminierung nach Art. 1, Art. 2 Abs. 2 a) der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000. Sie sei wegen eines inzwischen eingetretenen Mangels an Bewerbern für Notariatsstellen nicht mehr erforderlich und damit nicht gerechtfertigt.
Das Oberlandesgericht Köln hat die Klage mit Urteil vom 10. Februar 2022 abgewiesen und zur Begründung die Vereinbarkeit der Altersgrenze mit Art. 12 Abs. 1 GG und der Richtlinie 2000/78/EG hervorgehoben, da die Ungleichbehandlung wegen des Alters dem legitimen Ziel diene, die Berufschancen zwischen den Generationen zu verteilen. Diese Rechtfertigung hebe ein etwaiger Bewerbermangel – der ohnehin nur punktuell bestehe – nicht auf, da es dennoch erforderlich sei, einer Überalterung des Berufsstandes entgegenzuwirken.
b) Die Berufung des Beschwerdeführers hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 7. August 2023 zurückgewiesen. Die Regelung der Altersgrenze sei nach ständiger Rechtsprechung sowohl mit dem Verfassungsrecht als auch mit Art. 21 Abs. 1 GrCh und der – vorliegend unmittelbar anwendbaren – Richtlinie 2000/78/EG vereinbar.
Die Regelung der §§ 47 Nr. 2 Variante 1, 48a BNotO führe zwar zu einer unmittelbar auf dem Alter beruhenden Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 a) der Richtlinie 2000/78/EG. Diese sei jedoch gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt, da sie das legitime Ziel verfolge, im Interesse einer funktionstüchtigen Rechtspflege eine geordnete Altersstruktur innerhalb des Notarberufs zu erreichen.
Der Einwand des Beschwerdeführers, im Anwaltsnotariat sei die Erforderlichkeit der Altersgrenze wegen eines demographisch bedingten Nachwuchsmangels zwischenzeitlich entfallen, so dass sie jetzt eine unzulässige Diskriminierung bewirke, greife nicht durch. Die Altersgrenze sei weiterhin erforderlich und angemessen, um eine geordnete Altersstruktur zu wahren. Der Gesetzgeber habe den ihm insoweit zukommenden Prognose- und Beurteilungsspielraum nicht überschritten. In tatsächlicher Hinsicht habe ein Gutachten der Bundesnotarkammer zwar ergeben, dass im Anwaltsnotariat ein teils deutlicher Bewerbermangel festzustellen sei, während im hauptberuflichen Notariat ein Bewerberüberhang bestehe. Der Bewerbermangel im Anwaltsnotariat habe jedoch keine demographischen Ursachen, sondern sei strukturell – durch den hohen persönlichen und finanziellen Aufwand für das Ablegen der notariellen Fachprüfung und durch die hohen Kosten für die Einrichtung einer Geschäftsstelle – bedingt. Mit Blick darauf werde die Funktion der Altersgrenze, die Berufschancen zwischen den Generationen zu verteilen, dadurch erfüllt, dass beim Ausscheiden eines lebensälteren Notars sein „Urkunden- und Gebührenaufkommen“ auf die jüngeren Notare übergehe.
II.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer unmittelbar gegen die Urteile des Bundesgerichtshofs vom 7. August 2023 und des Oberlandesgerichts Köln vom 10. Februar 2022, mittelbar gegen die gesetzliche Regelung der §§ 47 Nr. 2 Variante 1, 48a BNotO. Er macht die Verletzung seiner Rechte aus Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 103 Abs. 1 GG geltend. Ferner rügt er die...
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