Beschluss vom 20.05.2021 - BVerwG 5 C 11.18

JurisdictionGermany
Judgment Date20 Mayo 2021
Neutral CitationBVerwG 5 C 11.18
ECLIDE:BVerwG:2021:200521B5C11.18.0
Applied RulesGG Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, 12 Abs. 1, 20 Abs. 1,BAföG § 2 Abs. 5 Satz 1, § 11 Abs. 1, §§ 14a, 15a, 21, 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 30 Abs. 1, § 35
Registration Date12 Octubre 2021
Record Number200521B5C11.18.0
Subject MatterAusbildungs-, Graduierten- und Berufsbildungsförderung
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
CitationBVerwG, Beschluss vom 20.05.2021 - 5 C 11.18 -

BVerwG 5 C 11.18

  • VG Osnabrück - 17.11.2016 - AZ: VG 4 A 87/15
  • OVG Lüneburg - 27.11.2018 - AZ: OVG 4 LC 392/16

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Mai 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer,
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen-Weiß und Dr. Harms sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht Holtbrügge und Preisner
beschlossen:

  1. Das Verfahren wird ausgesetzt
  2. Dem Bundesverfassungsgericht wird gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 13 Abs. 1 Nr. 2 des Bundesgesetzes über die individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz-BAföG) in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung vom 7. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1952), das für den hier relevanten Zeitraum (Oktober 2014 bis Februar 2015) zuletzt geändert worden ist für die Zeit bis zum 31. Dezember 2014 durch Artikel 5 des Gesetzes vom 29. August 2013 (BGBl. I S. 3484, 3899) und für die nachfolgende Zeit durch das Fünfundzwanzigste Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vom 23. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2475), mit Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar ist
Gründe I

1 Die Klägerin begehrt höhere Leistungen zur Ausbildungsförderung als diejenigen, die ihr die Beklagte nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz bewilligt hat.

2 Nachdem sie den Abschluss eines "Bachelor of Science" im Fach Psychologie erlangt hatte, nahm die Klägerin im Oktober 2014 bei der beklagten Universität ein Masterstudium auf, für dessen Durchführung sie Ausbildungsförderung beantragte. Mit Bescheid vom 28. November 2014 bewilligte ihr die Beklagte unter Anrechnung von Einkommen der Eltern Ausbildungsförderungsleistungen. Nach Änderungsbescheiden vom 27. Februar 2015 bewilligte die Beklagte mit weiteren Änderungsbescheiden vom 30. April 2015 aufgrund einer aktualisierten Einkommensmitteilung der Mutter der Klägerin für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2014 monatliche Leistungen in Höhe von 176 € und für den Zeitraum Januar bis Februar 2015 monatliche Leistungen in Höhe von 249 €. Für den Zeitraum März bis September 2015 lehnte die Beklagte wegen anzurechnenden elterlichen Einkommens die Gewährung von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz ab.

3 Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben mit dem Ziel, für die Monate Oktober 2014 bis Februar 2015 höhere Leistungen zu erhalten. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass der durch § 13 Abs. 1 Nr. 2 BAföG festgelegte monatliche Bedarf in Höhe von 373 € verfassungswidrig zu niedrig sei. Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben.

4 Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Gesetzgeber habe bei der Festlegung des monatlichen Bedarfs auf 373 € für Auszubildende in Hochschulen die sich aus dem Grundgesetz ergebenden Anforderungen beachtet. Der Bedarfssatz sei nicht an dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG, sondern in erster Linie an dem Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG zu messen, und zwar an der sich in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 1 GG ergebenden teilhaberechtlichen Dimension dieses Grundrechts. Dem Gesetzgeber komme bei der Ausgestaltung des Ausbildungsförderungssystems ein erheblicher Gestaltungsspielraum zu, bei dessen gerichtlicher Überprüfung nicht die gesteigerten verfahrensrechtlichen Vorgaben anzuwenden seien, die das Bundesverfassungsgericht aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums für das Zweite Buch Sozialgesetzbuch und das Asylbewerberleistungsgesetz entwickelt habe. Der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum sei erst dann verlassen, wenn in der Gesamtschau aller Leistungsparameter die sich aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 1 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine auf sozial verträgliche Teilhabe gerichtete Ausgestaltung des Ausbildungsförderungsrechts nicht mehr gegeben seien. Bezogen auf den Bedarf nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 BAföG sei dies dann anzunehmen, wenn dieser so niedrig angesetzt sei, dass auch in der Zusammenschau mit einer regelmäßig zu erwartenden, insbesondere durch die Nichtanrechnung des Kindergeldes geförderten elterlichen Unterstützung und/oder zumutbar erzielbaren eigenen Einkünften des Auszubildenden die Durchführung der geförderten Ausbildung allein aus wirtschaftlichen Gründen offensichtlich nicht möglich sei. Weder gebe das im Bundesausbildungsförderungsgesetz vorgesehene Verfahren zur Ermittlung des Bedarfs Anlass zu verfassungsrechtlichen Zweifeln, noch sei es zu beanstanden, dass die Bedarfsermittlung in den neueren Berichten der Bundesregierung nach § 35 BAföG davon ausgehe, dass das bei der Berechnung des elterlichen Einkommens nicht berücksichtigte Kindergeld den Finanzierungsspielraum der Auszubildenden erhöhe, wenn es an diese weitergereicht werde. Schließlich dürfe der Gesetzgeber auch davon ausgehen, dass es einem Auszubildenden grundsätzlich zumutbar sei, durch gelegentliche Nebentätigkeit einen Verdienst zu erzielen und so seine finanzielle Situation zu verbessern.

5 Die Klägerin begründet ihre Revision, mit der sie ihr Ziel der Bewilligung höherer Ausbildungsförderung weiterverfolgt, im Wesentlichen damit, dass der Bedarfssatz des § 13 Abs. 1 Nr. 2 BAföG in verfassungswidriger Weise zu niedrig festgesetzt sei. Die Bestimmung verstoße gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, hilfsweise gegen den sich aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 1 GG ergebenden Anspruch auf ein System der individuellen Ausbildungsförderung zur Sicherung der Teilhabe am staatlichen Ausbildungsangebot. In beiden Fällen sei der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers anhand der vom Bundesverfassungsgericht für die Überprüfung der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums entwickelten Kriterien zu prüfen. Diesen Anforderungen werde § 13 Abs. 1 Nr. 2 BAföG nicht gerecht. Insbesondere sei zu beanstanden, dass der Bedarfssatz auch die Ausbildungskosten abdecken müsse, weshalb nur ein deutlich geringerer Betrag für den Lebensunterhalt zur Verfügung stehe. Die Bedarfsermittlung genüge nicht den an sie zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen, vor allem fehle es an der erforderlichen zeitnahen Aktualisierung des Bedarfs. Die Frage der Auskömmlichkeit des festgesetzten Bedarfs könne auch nicht mit einer Weiterreichung des Kindergeldes an die Auszubildenden verknüpft werden. Hierauf bestehe kein Rechtsanspruch. Außerdem werde das Kindergeld zur Finanzierung des elterlichen Beitrags am Bedarf der Auszubildenden benötigt und stehe den Eltern lediglich in den wenigen Fällen zusätzlich zur Verfügung, in denen eine staatliche Vollförderung der Ausbildung erfolge. Nebenerwerbe dürften nicht berücksichtigt werden, weil die Ausbildung darauf angelegt sei, die volle Arbeitskraft der Auszubildenden zu beanspruchen.

6 Die Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil.

II

7 Das Verfahren ist gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen, um dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob § 13 Abs. 1 Nr. 2 des Bundesgesetzes über die individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG) in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung vom 7. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1952), das für den hier relevanten Zeitraum (Oktober 2014 bis Februar 2015) zuletzt für die Zeit bis zum 31. Dezember 2014 durch Artikel 5 des Gesetzes vom 29. August 2013 (BGBl. I S. 3484, 3899) und für die nachfolgende Zeit durch das Fünfundzwanzigste Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vom 23. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2475) geändert worden ist, mit Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar ist.

8 § 13 Abs. 1 Nr. 2 BAföG in der Fassung des Dreiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (23. BAföGÄndG) vom 24. Oktober 2010 (BGBl. I S. 1422) legte den Bedarfssatz für Auszubildende u.a. in Hochschulen für den Lebensunterhalt und die Ausbildungskosten (§ 11 Abs. 1 BAföG) im Zeitraum von August 2010 bis Juli 2016 und somit auch im streitbefangenen Zeitraum von Oktober 2014 bis Februar 2015 auf monatlich 373 € fest. Dieser Bedarfssatz wurde durch das Gesetz vom 23. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2475) ab August 2016 auf 399 € erhöht. Hinzu kamen noch Beträge für die Unterkunft (§ 13 Abs. 2 BAföG) und gegebenenfalls die Kranken- und Pflegeversicherung (§ 13a BAföG), die hier nicht streitbefangen sind. Auf die Gültigkeit von § 13 Abs. 1 Nr. 2 BAföG kommt es für die Entscheidung des Senats über die Revision der Klägerin an (1.). Der Senat ist davon überzeugt, dass § 13 Abs. 1 Nr. 2 BAföG mit Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG unvereinbar ist (2.). Eine verfassungskonforme Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 2 BAföG ist nicht möglich (3.).

9 1. § 13 Abs. 1 Nr. 2 BAföG ist für die Entscheidung über den Ausgangsrechtsstreit entscheidungserheblich im Sinne von Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG.

10 Der monatliche Bedarf für den Lebensunterhalt und die Ausbildungskosten...

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