Beschluss vom 20. Juni 2023 - 2 BvE 1/17
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2023:es20230620.2bve000117 |
Judgement Number | 2 BvE 1/17 |
Date | 20 Junio 2023 |
Citation | BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 20. Juni 2023 - 2 BvE 1/17 -, Rn. 1-49, |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvE 1/17 -
Organstreit Finanzierungsausschluss NPD
über
die Anträge,
1. |
festzustellen, dass der Antragsgegner durch den am 22. Juni 2017 erfolgten Beschluss von Artikel 1 des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Bundestagsdrucksache 18/12357 und 18/12846) die Rechte der Antragstellerin aus Artikel 21 Absatz 1 in Verbindung mit |
|
2. |
festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland der Antragstellerin die notwendigen Auslagen zu erstatten hat, |
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3. |
den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit festzusetzen |
Antragstellerin: |
Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), |
- Bevollmächtigter:
- (…) -
Antragsgegner: |
Deutscher Bundestag, |
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Vizepräsidentin König,
Müller,
Kessal-Wulf,
Maidowski,
Langenfeld,
Wallrabenstein,
Fetzer,
Offenloch
am 20. Juni 2023 gemäß § 24 BVerfGG einstimmig beschlossen:
- Der Antrag zu 1. wird verworfen.
- Der Antrag der Antragstellerin auf Erstattung ihrer notwendigen Auslagen wird abgelehnt.
- Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 25.000 (in Worten: fünfundzwanzigtausend) Euro festgesetzt.
A.
Das Organstreitverfahren betrifft die Frage, ob der Deutsche Bundestag als Antragsgegner die Antragstellerin in ihren Rechten aus Art. 21 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und 2, Art. 79 Abs. 3 GG verletzt hat, indem er mit Beschluss zur Änderung des Grundgesetzes vom 22. Juni 2017 in Art. 21 Abs. 3 und 4 GG die Möglichkeit geschaffen hat, verfassungsfeindliche Parteien durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von der staatlichen Finanzierung auszuschließen.
I.
1. a) Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD brachten am 16. Mai 2017 den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 21)“ (BTDrucks 18/12357) sowie den „Entwurf eines Gesetzes zum Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der Parteienfinanzierung“ (BTDrucks 18/12358) in den Bundestag ein. Dieser nahm beide Entwürfe in seiner 240. Sitzung am 22. Juni 2017 entsprechend der Beschlussempfehlung des Innenausschusses (BTDrucks 18/12846) mit der jeweils erforderlichen Mehrheit an (vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 18/240 vom 22. Juni 2017, S. 24559 ff.).
b) Der Bundesrat stimmte in seiner 959. Sitzung am 7. Juli 2017 mit der jeweils erforderlichen Mehrheit zu (vgl. Bundesrat, Plenarprotokoll 959 vom 7. Juli 2017, S. 325 f.; BRDrucks 509/17
c) Das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (GGÄndG) wurde am 13. Juli 2017 durch den Bundespräsidenten ausgefertigt und am 19. Juli 2017 verkündet (BGBl I S. 2346). Es trat am 20. Juli 2017 in Kraft (Art. 2 GGÄndG). Das Gesetz zum Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der Parteienfinanzierung (PartFinAusschlG) wurde am 18. Juli 2017 vom Bundespräsidenten ausgefertigt und am 28. Juli 2017 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl I S. 2730). Es trat am 29. Juli 2017 in Kraft (Art. 8 PartFinÄndG).
2. a) Infolge des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 1 Nr. 2) haben Art. 21 Abs. 3 und 4 GG nunmehr folgenden Wortlaut:
(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.
(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.
b) Das Gesetz zum Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der Parteienfinanzierung (Art. 1) hat vor allem Änderungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes zum Gegenstand.
§ 43 Abs. 1 BVerfGG bestimmt nunmehr:
(1) Der Antrag auf Entscheidung, ob eine Partei verfassungswidrig (Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes) oder von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen ist (Artikel 21 Absatz 3 des Grundgesetzes), kann von dem Bundestag, dem Bundesrat oder von der Bundesregierung gestellt werden. Der Antrag auf Entscheidung über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung kann hilfsweise zu einem Antrag auf Entscheidung, ob eine Partei verfassungswidrig ist, gestellt werden.
Der neu eingefügte § 46a BVerfGG lautet:
(1) Erweist sich der Antrag auf Entscheidung gemäß Artikel 21 Absatz 3 des Grundgesetzes als begründet, so stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass die Partei für sechs Jahre von der staatlichen Finanzierung nach § 18 des Parteiengesetzes ausgeschlossen ist. Die Feststellung ist auf Ersatzparteien zu erstrecken. Dass eine Partei die Bestrebungen einer nach Satz 1 von der staatlichen Finanzierung ausgeschlossenen Partei als Ersatzpartei an deren Stelle weiter verfolgt oder fortführt, stellt das Bundesverfassungsgericht entsprechend Satz 1 fest. Die Feststellung erfolgt auf Antrag eines Berechtigten nach § 43 Absatz 1 Satz 1; § 45 ist auf das Verfahren nicht anzuwenden.
(2) Beantragt einer der Antragsberechtigten spätestens sechs Monate vor Ablauf der Frist nach Absatz 1 Satz 1 ihre Verlängerung, bleibt die Partei bis zur Entscheidung über diesen Antrag von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. § 45 ist auf das Verfahren nicht anzuwenden. Das Bundesverfassungsgericht kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Für die Entscheidung gilt Absatz 1 entsprechend. Erneute Verlängerungsanträge sind statthaft.
II.
Die Antragstellerin hat mit Antragsschrift vom 13. September 2017 beantragt, festzustellen, dass der Antragsgegner durch den Beschluss von Art. 1 GGÄndG ihre Rechte aus Art. 21 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, 2 und Art. 79 Abs. 3 GG verletzt hat.
1. Der Antrag sei zulässig.
a) Es liege ein tauglicher Antragsgegenstand vor. Der antragsgegenständliche Gesetzesbeschluss stelle eine rechtserhebliche Maßnahme des Antragsgegners im Rahmen eines Rechtsverhältnisses dar, welches sich allein nach Verfassungsrecht beurteile.
b) Die Antragsbefugnis folge aus Art. 21 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und 2, Art. 79 Abs. 3 GG. Die Antragstellerin sei durch den Gesetzesbeschluss in ihrem – den Kern des Demokratieprinzips bildenden und gemäß Art. 79 Abs. 3 GG daher unabänderlichen – organschaftlichen Recht auf Chancengleichheit der politischen Parteien unmittelbar gefährdet.
aa) Bereits aus der Begründung des Gesetzentwurfs gehe hervor, dass es sich um eine „Lex NPD“ handele. Dieser Charakter sei auch in den Plenardebatten des Antragsgegners und des Bundesrates hervorgehoben worden. Der Abgeordnete Dr. Harbarth habe in der Sitzung des Antragsgegners vom 22. Juni 2017 erklärt, mit dem Gesetz werde die Grundlage dafür geschaffen, der Antragstellerin die Finanzierung zu entziehen. Die Abgeordnete Künast habe in derselben Sitzung zu Protokoll gegeben, dass es sich um eine „Lex NPD“ handele. Die Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz habe in der Sitzung des Bundesrates am 7. Juli 2017 ausgeführt, der Bundesrat bekräftige seine Auffassung, dass die Antragstellerin von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden müsse. Auch der Sachverständige Professor Möllers habe in seiner schriftlichen Stellungnahme zum Gesetzentwurf festgestellt, dass das Verfahren allein dazu dienen dürfte, die Antragstellerin von der staatlichen Finanzierung abzuschneiden.
bb) Die Antragstellerin sei in ihren organschaftlichen Rechten unmittelbar gefährdet. Eine Verletzung stehe kurz bevor. Der Bundesrat habe in seiner Sitzung am 7. Juli 2017 die Einleitung eines Parteifinanzierungsausschlussverfahrens gegen die Antragstellerin beschlossen. Die alsbaldige Stellung eines entsprechenden Antrags sei reine Formsache.
2. Der Antrag sei auch begründet.
a)...
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