Beschluss vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2015:rs20150421.2bvr132212 |
Date | 21 Abril 2015 |
Citation | BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12 - Rn. (1-94), |
Judgement Number | 2 BvR 1322/12 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
L e i t s a t z
zum Beschluss des Zweiten Senats vom 21. April 2015
- 2 BvR 1322/12 -
- 2 BvR 1989/12 -
- Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Einführung von Einstellungshöchstaltersgrenzen im Öffentlichen Dienst.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1322/12 -
- 2 BvR 1989/12 -
über
die Verfassungsbeschwerden
I. des Herrn B…
- Bevollmächtigte:
-
EGH Eifert Geerts Harting
Rechtsanwälte Partnerschaft,
Adolfstraße 10, 65185 Wiesbaden -
1. |
unmittelbar gegen |
|
a) |
das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts |
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vom 23. Februar 2012 - 2 C 79.10 -, |
||
b) |
das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen |
|
vom 10. November 2010 - 1 K 5181/09 -, |
||
c) |
den Bescheid der Bezirksregierung Düsseldorf |
|
vom 2. Oktober 2009 - 47.02.05.10-47.7.02.4008 -, |
||
2. |
mittelbar gegen |
|
§ 6, § 52 Abs. 1 und § 84 Abs. 2 der Verordnung über die Laufbahnen |
||
der Beamten im Lande Nordrhein-Westfalen (Laufbahnverordnung - LVO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. November 1995, zuletzt |
||
geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 30. Juni 2009 (GVBl S. 381) |
||
und Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand |
- 2 BvR 1 322 /12 - ,
II. der Frau B…
- Bevollmächtigte:
-
CBH Rechtsanwälte, Cornelius,
Bartenbach, Haesemann & Partner,
Bismarckstraße 11-13, 50672 Köln -
1. |
unmittelbar gegen |
|
a) |
den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts |
|
vom 19. Juli 2012 - 2 B 35.12 (2 B 26.11) -, |
||
b) |
den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts |
|
vom 26. März 2012 - 2 B 26.11 -, |
||
c) |
den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts |
|
für das Land Nordrhein-Westfalen |
||
vom 2. Dezember 2010 - 6 A 1695/10 -, |
||
d) |
das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln |
|
vom 7. Juli 2010 - 3 K 5879/09 -, |
||
e) |
den Bescheid der Bezirksregierung Köln |
|
vom 14. August 2009 - 47.5-Pe -, |
||
2. |
mittelbar gegen |
|
§ 6 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und § 84 Abs. 2 der Verordnung über die Laufbahnen der Beamten im Lande Nordrhein-Westfalen (Laufbahnverordnung - LVO) in der seit dem 18. Juli 2009 geltenden Fassung |
- 2 BvR 1989/12 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Präsident Voßkuhle,
Landau,
Huber,
Hermanns,
Müller,
Kessal-Wulf,
König
am 21. April 2015 beschlossen:
- Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
- § 6 Absatz 1 Satz 1, § 52 Absatz 1 und § 84 Absatz 2 der Verordnung über die Laufbahnen der Beamten im Lande Nordrhein-Westfalen vom 23. November 1995 (Gesetz- und Verordnungsblatt 1996 Seite 1) in der Fassung der Verordnung zur Änderung der Laufbahnverordnung und anderer dienstrechtlicher Vorschriften vom 30. Juni 2009 des Landes Nordrhein-Westfalen (Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 381) sind mit Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes unvereinbar.
- a) Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Februar 2012 - 2 C 79.10 -, das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 10. November 2010 - 1 K 5181/09 - und der Bescheid der Bezirksregierung Düsseldorf vom 2. Oktober 2009 - 47.02.05.10-47.7.02. 4008 - verletzen den Beschwerdeführer zu I. in seinem Recht aus Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Bundesverwaltungsgericht zurückverwiesen.
- Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.
- b) Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. März 2012 - 2 B 26.11 -, der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 2. Dezember 2010 - 6 A 1695/10 -, das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 7. Juli 2010 - 3 K 5879/09 - und der Bescheid der Bezirksregierung Köln vom 14. August 2009 - 47.5-Pe - verletzen die Beschwerdeführerin zu II. in ihrem Recht aus Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Bundesverwaltungsgericht zurückverwiesen. Damit wird der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Juli 2012 - 2 B 35.12 (2 B 26.11) - gegenstandslos.
- a) Dem Beschwerdeführer zu I. haben das Land Nordrhein-Westfalen zwei Drittel und die Bundesrepublik Deutschland ein Drittel seiner notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
- b) Der Beschwerdeführerin zu II. haben das Land Nord- rhein-Westfalen drei Viertel und die Bundesrepublik Deutschland ein Viertel ihrer notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
A.
Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihren - zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen - Verfassungsbeschwerden gegen die Ablehnung der Verbeamtung aufgrund von Höchstaltersgrenzen. Sie sind angestellte Lehrkräfte im öffentlichen Schuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen. Sie begehren die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe, obwohl sie das 40. Lebensjahr bereits vollendet und damit die laufbahnrechtliche Altersgrenze für die Einstellung überschritten haben.
I.
1. a) Lehrerinnen und Lehrer an öffentlichen Schulen werden in Nordrhein-Westfalen, sofern die laufbahn- und sonstigen beamtenrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, in der Regel verbeamtet (§ 57 Abs. 5 Satz 2 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Februar 2005
b) Diese Vorschriften der Laufbahnverordnung erklärte das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 19. Februar 2009 - 2 C 18.07 - (BVerwGE 133, 143) für unwirksam. Zwar seien Einstellungshöchstaltersgrenzen grundsätzlich zulässig, da sie dem Lebenszeitprinzip als einem hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG) Rechnung trügen. Auch sei die Ungleichbehandlung wegen des Alters im Sinne von § 10 Satz 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vom 14. August 2006 gerechtfertigt, denn Altersgrenzen setzten Dienstzeit und Versorgungsanspruch in ein angemessenes Verhältnis und trügen zur Absicherung des Lebenszeitprinzips bei. Der Gesetzgeber müsse ihre Regelung einschließlich der Ausnahmetatbestände jedoch selbst treffen. Da Einstellungshöchstaltersgrenzen im Beamtenrecht den Leistungsgrundsatz aus Art. 33 Abs. 2 GG einschränkten, dürften sie nicht voraussetzungslos im Ermessen der Verwaltung stehen. Die an keinerlei Vorgaben gebundene Ausnahmemöglichkeit des § 84 Abs. 1 LVO a. F. erfülle zudem nicht das Gebot der Normenklarheit. Die zahlreichen Verwaltungserlasse zur Einhaltung der Altersgrenzen überlagerten die verordnungsrechtliche Regelung.
2. a) Mit dem Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 21. April 2009 (GVBl S. 224) wurde ein neues Beamtengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (Landesbeamtengesetz - LBG) beschlossen, das am 1. April 2009 in Kraft trat. Die darin enthaltene Ermächtigungsgrundlage für Vorschriften über die Laufbahnen lautet:
§ 5 Vorschrift über die Laufbahnen
(1) Die Landesregierung erlässt unter Berücksichtigung der Erfordernisse der einzelnen Verwaltungen durch Rechtsverordnung Vorschriften über die Laufbahnen der Beamten (Laufbahnverordnung). Dabei sind, auch nach Maßgabe der §§ 7 bis 23, insbesondere zu regeln
1. die Voraussetzungen für die Ordnung von Laufbahnen,
2. … (12)
Die Landesregierung beschloss am 30. Juni 2009 in Artikel 1 der Verordnung zur Änderung der Laufbahnverordnung und anderer dienstrechtlicher Vorschriften (GVBl S. 381) auf Grund von § 5 Abs. 1 LBG eine Änderung der Laufbahnverordnung (im Folgenden LVO 2009). Sie hob die Altersgrenze zur Einstellung oder Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe an; in das Beamtenverhältnis konnte danach berufen werden, wer das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Zugleich regelte sie die Möglichkeiten des Überschreitens der Höchstaltersgrenze neu. Die entsprechenden Vorschriften der Laufbahnverordnung haben folgenden Wortlaut:
...
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