BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1724/18 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn S…, |
- Bevollmächtigte:
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STRECK MACK SCHWEDHELM Rechtsanwälte
Partnerschaft mbB,
Wilhelm-Schlombs-Allee 7 - 11, 50858 Köln -
gegen |
a) den Beschluss des Finanzgerichts Köln vom 10. Juli 2018 - 12 V 1354/18 -, |
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b) den Beschluss des Finanzgerichts Köln vom 24. Mai 2018 - 12 V 827/18 - |
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Harbarth
und die Richterinnen Baer,
Ott
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 23. Mai 2019
einstimmig beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes in einem finanzgerichtlichen Verfahren, das die Leistung von Amtshilfe durch das Finanzamt bei der Beitreibung einer in Griechenland gegen den Beschwerdeführer geltend gemachten Haftungsschuld zum Gegenstand hat.
I.
1. Der Beschwerdeführer war von 1997 bis zum 30. Juni 2001 Geschäftsführer der KH… S. A. (KH...) in Griechenland. Die griechischen Finanzbehörden führten in den Folgejahren bei der KH… eine Betriebsprüfung durch, die zu Steuernachforderungen in Höhe von circa 35 Millionen Euro führte. Die zwischenzeitlich umfirmierte KH… ging in die Insolvenz.
2. Unter dem 28. Januar 2013 erhielt der Beschwerdeführer eine Zahlungsaufforderung über das Finanzamt Köln-Süd, wonach er der sogenannten „O. R. U.“ in Athen einen Betrag von circa 1 Million Euro Umsatzsteuer nebst Zinsen für den Zeitraum vom 1. Januar 2000 bis zum 31. Dezember 2000 schulde. Als Rechtsgrundlage wurde auf die EU-Beitreibungsrichtlinie verwiesen. Dem Schreiben war ein einheitlicher Vollstreckungstitel vom 25. Januar 2013 beigefügt. Darin war als Datum der Festsetzung der Forderung der 14. Mai 2008 und als Datum des möglichen Vollstreckungsbeginns der 1. Juli 2008 angegeben. Als Datum der Zustellung des ursprünglichen Vollstreckungstitels war der 16. Mai 2008 aufgeführt. Ferner wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer als Geschäftsführer der KH… als „Mitschuldner“ in Anspruch genommen werde.
Der Beschwerdeführer beantragte beim Finanzamt Köln-Süd die Einstellung der Beitreibungsmaßnahmen und die Ablehnung der Amtshilfe nach § 14 Abs. 2 EUBeitrG wegen Verjährung beziehungsweise wegen Unbilligkeit nach § 14 Abs. 1 EUBeitrG, hilfsweise die Vollstreckung nach § 258 AO einstweilen einzustellen. Er habe erstmals durch den einheitlichen Vollstreckungstitel von seiner vermeintlichen Haftungsschuld erfahren. Nachdem das Finanzamt Köln-Süd die griechischen Behörden auf die Eingaben des Beschwerdeführers hin um Auskunft ersucht hatte, teilte es dem Beschwerdeführer im Januar 2017 mit, die Antwort erhalten zu haben, dass er für den gegen die KH… ergangenen Umsatzsteuerbescheid betreffend den Zeitraum vom 1. Januar 2000 bis zum 31. Dezember 2000 nach griechischem Recht gesamtschuldnerisch hafte und der Umsatzsteuerbescheid vom 23. April 2003 der KH... über den Angestellten K. zugestellt worden sei. Das Unternehmen hätte den Beschwerdeführer unterrichten müssen. Dieser habe außerdem nach den Aufzeichnungen der Steuerverwaltung Herrn K. seit dem 8. April 2002 zu seinem Steuervertreter bestellt. Die Bekanntgabe der drohenden strafrechtlichen Verfolgung sei dem Beschwerdeführer von dem zuständigen Finanzamt in Athen am 27. Oktober 2003 an die Anschrift „M. 21 - C.“, die letzte von dem Beschwerdeführer gegenüber der Steuerverwaltung erklärte Wohnanschrift, gesandt worden. Rechtsmittel habe der Beschwerdeführer bei den griechischen Behörden nicht eingelegt.
Am 5. April 2018 erließ das Finanzamt Euskirchen, in dessen Zuständigkeitsbereich der Beschwerdeführer zwischenzeitlich verzogen war, eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung betreffend seiner Konten, Depots und Schließfächer bei einer Bank.
3. Daraufhin stellte der Beschwerdeführer beim Finanzgericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO. Das Beitreibungsersuchen der griechischen Behörden verstoße gegen § 14 Abs. 2 EUBeitrG, da es sich auf Forderungen beziehe, die zu diesem Zeitpunkt bereits älter als fünf Jahre gewesen seien. Die Forderungen seien inzwischen auch älter als zehn Jahre. Zudem sei das Beitreibungsersuchen unbillig im Sinne von § 14 Abs. 1 EUBeitrG beziehungsweise verstoße gegen die öffentliche Ordnung (ordre public). Die griechischen Behörden hätten ihm, dem Beschwerdeführer, gegenüber keinen Haftungsbescheid erlassen, wie er nach deutschem Recht zwingend erforderlich sei. Von seiner persönlichen Haftungsinanspruchnahme habe er erstmals durch das Schreiben des Finanzamts Köln-Süd vom 28. Januar 2013 erfahren. Auch der Umsatzsteuerbescheid gegen die KH... sei ihm nicht bekannt gegeben worden. Durch die Herren K. und F., die nach ihm als Vertretungsorgane für die KH... tätig gewesen seien, sei ihm seinerzeit im Jahr 2003 lediglich mitgeteilt worden, dass es einen solchen Umsatzsteuerbescheid gegen die KH... geben solle. Keinerlei Kenntnis habe er jedoch davon gehabt, dass er persönlich für die Umsatzsteuerschulden der KH... hafte. Er habe damit keine Möglichkeit gehabt, Rechtsmittel gegen die Umsatzsteuerfestsetzung betreffend die KH... einzulegen.
Die zu vollstreckende Forderung übersteige sein Vermögen. Im Fall der Beitreibung der Gesamtforderung drohe ihm die Privatinsolvenz. Bei seinem Vermögen handele es sich um seine komplette Altersvorsorge. Im Fall der Rechtswidrigkeit des Vollstreckungsersuchens sei nicht gewährleistet, dass er die an die griechischen Behörden ausgekehrten Gelder zurückerlange. Zur Glaubhaftmachung seines Vortrags legte der Beschwerdeführer eine eidesstattliche Versicherung vor, in der er unter anderem angab, Herrn K. zu keinem Zeitpunkt eine Vollmacht erteilt zu haben, ihn in steuerlichen Angelegenheiten zu vertreten oder als Empfangsbevollmächtigter für Abgabenbescheide jedweder Art zu fungieren.
Das Finanzamt beantragte, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzuweisen. Es legte unter anderem die Korrespondenz mit den griechischen Behörden vor, in der diese unter anderem mitgeteilt hatten, dass nach griechischem Recht neben dem Unternehmen, das für die Zahlung von Steuern verantwortlich sei, auch dessen Geschäftsführer hafte. Das Vollstreckungsverfahren gegen den Geschäftsführer als mithaftende Person könne ohne weitere Steuerfestsetzung gegen ihn persönlich eingeleitet werden. Des Weiteren teilten die Behörden mit, dass die KH… gegen ihre Steuerveranlagung zunächst Rechtsmittel eingelegt gehabt habe, diese aber für das Unternehmen abschlägig entschieden worden seien. Auch nach Einleitung des Amtshilfeverfahrens in Deutschland habe der Beschwerdeführer keine rechtlichen Maßnahmen zur Anfechtung des einheitlichen Vollstreckungstitels in Griechenland ergriffen.
4. Mit dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss vom 24. Mai 2018 wies das Finanzgericht den Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unbegründet zurück. Bei summarischer Prüfung bestehe weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund.
Die zu vollstreckenden Forderungen seien nicht verjährt. In dem einheitlichen Vollstreckungstitel sei als Fälligkeitsdatum der 1. Juli 2008 genannt. Damit habe das Vollstreckungsersuchen vom 25. Januar 2013 die relative Verjährungsfrist von fünf Jahren gewahrt. Die vom Finanzamt Köln-Süd bei den griechischen Behörden eingeholte Auskunft habe ergeben, dass sowohl gegen die Bekanntgabe des Umsatzsteuerbescheides gegenüber der KH… als auch gegen die Haftungsinanspruchnahme des Beschwerdeführers als früheren...