Beschluss vom 27. Februar 2024 - 2 BvR 637/23
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2024:rk20240227.2bvr063723 |
Judgement Number | 2 BvR 637/23 |
Date | 27 Febrero 2024 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Februar 2024 - 2 BvR 637/23 -, Rn. 1-23, |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 637/23 -
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau (…), |
- Bevollmächtigter:
-
Rechtsanwalt Helmut Linck,
in Sozietät RUISINGER, STEINER, REMMELE Rechtsanwälte,
Blücherstraße 4, 86165 Augsburg -
gegen |
a) |
den Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 13. April 2023 - 14 Qs 101/23 -, |
b) |
den Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 27. März 2023 - 04 Cs 210 Js 141387/20 - |
und | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterinnen Langenfeld,
Fetzer
und den Richter Offenloch
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 27. Februar 2024 einstimmig beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
- Die einstweilige Anordnung vom 19. Mai 2023, wiederholt durch Beschluss der Kammer vom 7. November 2023, wird damit gegenstandslos.
- Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
I.
1. Gegen die Beschwerdeführerin wurden mehrere Strafverfahren wegen Diebstahls und Widerstands gegen beziehungsweise tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und Beleidigung, Besitzes von Betäubungsmitteln, versuchter Körperverletzung mit Bedrohung und Beleidigung sowie gefährlicher Körperverletzung geführt, die miteinander verbunden wurden.
2. Mit Beschluss vom 17. März 2021 ordnete das Amtsgericht Augsburg die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) beziehungsweise verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) und den Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) an. Die Beschwerdeführerin brachte in der folgenden Zeit jedoch wiederholt zum Ausdruck, an einer Exploration nicht mitwirken zu wollen. In zwei Gutachten nach Aktenlage erklärte der gerichtlich bestellte Sachverständige, ohne weitergehende Untersuchungen keine abschließende Beurteilung abgeben zu können und befürwortete eine Unterbringung zur Beobachtung und Vorbereitung eines Gutachtens nach § 81 StPO. Zu einem denkbaren Untersuchungskonzept erklärte er, es sei ein Explorationsgespräch vorgesehen. Sollte dieses nicht zustande kommen, sei eine mehrwöchige Beobachtung geplant, um anhand erneuter Verhaltensauffälligkeiten einen diagnostischen Rückschluss zu ziehen. Bei gegebenem Einverständnis seien auch laborchemische Untersuchungen sinnvoll.
3. Mit Beschluss vom 27. März 2023 ordnete das Amtsgericht Augsburg die Unterbringung der Beschwerdeführerin zur Vorbereitung eines Gutachtens über ihren psychischen Zustand für die Dauer von höchstens sechs Wochen an. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde verwarf das Landgericht Augsburg mit Beschluss vom 13. April 2023.
4. Mit Urteil vom 16. Oktober 2023 sprach das Amtsgericht Augsburg die Beschwerdeführerin wegen Schuldunfähigkeit frei. Eine Unterbringung nach § 63 StGB lehnte es ab und erklärte, auf Grundlage der nach Aktenlage erstellten Gutachten sei nicht davon auszugehen, dass von der Beschwerdeführerin in der Zukunft eine erhebliche Gefahr ausgehe.
Mit Beschluss vom 19. Dezember 2023 hob das Amtsgericht Augsburg den Beschluss vom 27. März 2023 auf.
II.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde vom 16. Mai 2023 rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) und ihres Rechts auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG).
1. Sie macht im Wesentlichen geltend, das Untersuchungskonzept ziele auf eine unzulässige Totalüberwachung ab. Die Beschwerdeführerin solle in ihrem Alltagsverhalten und bei sämtlichen Interaktionen mit anderen Personen beobachtet werden. Eine solche Maßnahme würde ihr verfassungsrechtlich gewährleistetes Schweigerecht unterlaufen. Mit einem Einverständnis zu Untersuchungshandlungen sei nicht zu rechnen. Es sei nicht nachvollziehbar, wie der Zweck der Untersuchung erreicht werden könne, da sie sich in der schlichten Beobachtung des Verhaltens der Beschwerdeführerin erschöpfen werde.
2. Die Beschwerdeführerin steht auf dem Standpunkt, auch nach Aufhebung des Unterbringungsbeschlusses und rechtskräftigem Freispruch sei der Verfassungsbeschwerde stattzugeben. Es bestehe nach wie vor ein Rechtsschutzinteresse. Der Verfassungsbeschwerde komme bereits grundlegende Bedeutung zu. Zudem bestehe Wiederholungsgefahr. Gegen die Beschwerdeführerin werde in einem weiteren Verfahren wegen Ladendiebstahls ermittelt. Die Frage der Schuldfähigkeit der Beschwerdeführerin werde wieder zu klären sein.
III.
...
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