Beschluss vom 28.07.2022 - BVerwG 3 BN 8.21

Judgment Date28 Julio 2022
Neutral CitationBVerwG 3 BN 8.21
ECLIDE:BVerwG:2022:280722B3BN8.21.0
Registration Date12 Septiembre 2022
Record Number280722B3BN8.21.0
Subject MatterGesundheitsverwaltungsrecht einschl. des Rechts der Heilberufe, der Gesundheitsfachberufe und des Krankenhausfinanzierungsrechts sowie des Seuchen- und Infektionsschutzrechts
CourtDas Bundesverwaltungsgericht

BVerwG 3 BN 8.21

  • OVG Lüneburg - 09.06.2021 - AZ: OVG 13 KN 201/21

In der Normenkontrollsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Juli 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 9. Juni 2021 wird zurückgewiesen
  2. Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu je einem Drittel
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 60 000 € festgesetzt
Gründe I

1 Die Antragstellerinnen betreiben in Niedersachsen mehrere Fitnessstudios. Mit ihrem am 14. April 2021 beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht gestellten Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO haben sie die Feststellung begehrt, dass die Schließung von Fitnessstudios für den Publikumsverkehr und Besuche durch § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 (Nds. GVBl. S. 74) i. d. F. der Änderungsverordnung vom 24. April 2020 (Nds. GVBl. S. 84) und durch § 1 Abs. 3 Nr. 5 der Niedersächsischen Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus vom 8. Mai 2020 (Nds. GVBl. S. 97) unwirksam gewesen ist. Das Oberverwaltungsgericht hat den Antrag durch Beschluss vom 9. Juni 2021 mit der Begründung verworfen, er sei mangels Antragsbefugnis unzulässig. Ein Normenkontrollantrag sei nur gegen eine erlassene Rechtsvorschrift und grundsätzlich nur solange zulässig, wie die mit ihm angegriffene Rechtsvorschrift gültig sei. § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 der Verordnung vom 17. April 2020 i. d. F. der Änderungsverordnung vom 24. April 2020 sei mit Ablauf des 10. Mai 2020 und damit bereits vor Anhängigkeit des Normenkontrollantrags außer Kraft getreten. Entsprechendes gelte für § 1 Abs. 3 Nr. 5 der Verordnung vom 8. Mai 2020, der bis zum Ablauf des 12. Juli 2020 gegolten habe und mit Wirkung vom 13. Juli 2020 aufgehoben worden sei. Die Voraussetzungen, unter denen ein Normenkontrollantrag zulässigerweise noch nach Außerkrafttreten der angegriffenen Rechtsvorschrift gestellt werden könne, lägen nicht vor. Es sei nicht ersichtlich, dass die streitigen Verordnungsregelungen weiterhin Rechtswirkung entfalteten, weil in der Vergangenheit liegende Sachverhalte noch nach ihnen zu entscheiden seien. Die Geltungsdauer der Regelungen sei auch nicht derart kurz gewesen, dass es unmöglich gewesen wäre, vor ihrem Außerkrafttreten einen Normenkontrollantrag anhängig zu machen.

2 Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerinnen, die auf alle drei Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützt ist.

II

3 Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

4 1. Die von den Antragstellerinnen als klärungsbedürftig bezeichnete Frage
"Ist ein nachträgliches Ersuchen um oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz nach Außerkrafttreten einer im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift, die eine ausnahmslose Betriebsschließung mit Außenwirkung verfügt, einem Antragsteller schlechterdings verwehrt und mangels Antragsbefugnis unzulässig, obgleich insbesondere die bundesgesetzliche Frist des § 47 Abs. 2 VwGO sowie sonstige Formalia antragstellerseitig gewahrt werden und die nachträgliche Normenkontrolle final der Vorbereitung einer Schadensersatz- bzw. Entschädigungsklage gegen die normerlassende Körperschaft dient?"

5 rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache dann, wenn sie eine fallübergreifende, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Frage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt, also näher ausgeführt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Ein Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder anhand des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung oder auf der Grundlage der bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. August 2020 - 3 BN 1.19 - Buchholz 451.44 HeimG Nr. 13 Rn. 6 m. w. N.). Danach kommt der von den Antragstellerinnen aufgeworfenen Frage nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu.

6 a) Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann den Normenkontrollantrag stellen, wer geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO von dem Regelfall einer noch gültigen Norm als Gegenstand des Normenkontrollverfahrens ausgeht. Ein Normenkontrollantrag kann allerdings auch gegen eine bereits außer Kraft getretene Rechtsnorm zulässig sein, wenn sie weiterhin Rechtswirkungen entfaltet, weil in der Vergangenheit liegende Sachverhalte noch nach ihr zu entscheiden sind. Darüber hinaus kann ein Normenkontrollantrag gegen eine nicht mehr gültige Rechtsnorm zulässig sein, wenn sie während seiner Anhängigkeit außer Kraft getreten ist und der Antragsteller weiterhin geltend machen kann, durch die Rechtsvorschrift oder ihre Anwendung in seinen Rechten verletzt (worden) zu sein; zusätzlich muss der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an der Feststellung haben, dass die Norm unwirksam war (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 19...

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