Beschluss vom 28. Juli 2023 - 2 BvL 22/17
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2023:lk20230728.2bvl002217 |
Judgement Number | 2 BvL 22/17 |
Date | 28 Julio 2023 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Juli 2023 - 2 BvL 22/17 -, Rn. 1-91, |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvL 22/17 -
zur verfassungsrechtlichen Prüfung,
ob § 6a Absatz 3 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr 2015 geltenden Fassung insoweit mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes vereinbar ist, als zur Ermittlung der Pensionsrückstellung ein Rechnungszinsfuß von 6 % anzusetzen ist |
||
- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Finanzgerichts Köln |
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterinnen Kessal-Wulf,
Wallrabenstein
und den Richter Offenloch
gemäß § 81a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 28. Juli 2023 einstimmig beschlossen:
- Die Vorlage ist unzulässig
Die Vorlage betrifft die Frage, ob die Vorschrift des § 6a Abs. 3 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der im Streitjahr 2015 geltenden Fassung insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, als zur Ermittlung der Pensionsrückstellung ein Rechnungszinsfuß von 6 % anzusetzen ist.
A.
I.
1. Durch die Bildung von Pensionsrückstellungen wird den Verpflichtungen eines Unternehmens aus der Erteilung von Pensionszusagen an Arbeitnehmer in der Steuerbilanz Rechnung getragen. Für die Höhe der in einem jeweiligen Veranlagungszeitraum maßgeblichen Pensionsrückstellung ist der zugrunde gelegte Rechnungszinsfuß, der für den Effekt der Abzinsung maßgeblich ist, von wesentlicher Bedeutung. Je höher dieser ist, desto niedriger ist die steuerrechtlich zulässige Pensionsrückstellung.
Die Vorschrift des § 6a EStG, dessen Abs. 3 Satz 3 das Finanzgericht Köln für verfassungswidrig hält, hat in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 8. Oktober 2009 (BGBl I S. 3366, 3862) den folgenden Wortlaut:
§ 6a Pensionsrückstellung
(1) Für eine Pensionsverpflichtung darf eine Rückstellung (Pensionsrückstellung) nur gebildet werden, wenn und soweit
1. der Pensionsberechtigte einen Rechtsanspruch auf einmalige oder laufende Pensionsleistungen hat,
2. die Pensionszusage keine Pensionsleistungen in Abhängigkeit von künftigen gewinnabhängigen Bezügen vorsieht und keinen Vorbehalt enthält, dass die Pensionsanwartschaft oder die Pensionsleistung gemindert oder entzogen werden kann, oder ein solcher Vorbehalt sich nur auf Tatbestände erstreckt, bei deren Vorliegen nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen unter Beachtung billigen Ermessens eine Minderung oder ein Entzug der Pensionsanwartschaft oder der Pensionsleistung zulässig ist, und
3. die Pensionszusage schriftlich erteilt ist; die Pensionszusage muss eindeutige Angaben zu Art, Form, Voraussetzungen und Höhe der in Aussicht gestellten künftigen Leistungen enthalten.
(2) Eine Pensionsrückstellung darf erstmals gebildet werden
1. vor Eintritt des Versorgungsfalls für das Wirtschaftsjahr, in dem die Pensionszusage erteilt wird, frühestens jedoch für das Wirtschaftsjahr, bis zu dessen Mitte der Pensionsberechtigte das 27. Lebensjahr vollendet oder für das Wirtschaftsjahr, in dessen Verlauf die Pensionsanwartschaft gemäß den Vorschriften des Betriebsrentengesetzes unverfallbar wird,
2. nach Eintritt des Versorgungsfalls für das Wirtschaftsjahr, in dem der Versorgungsfall eintritt.
(3) 1 Eine Pensionsrückstellung darf höchstens mit dem Teilwert der Pensionsverpflichtung angesetzt werden.2 (…). 3 Bei der Berechnung des Teilwerts der Pensionsverpflichtung sind ein Rechnungszinsfuß von 6 Prozent und die anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik anzuwenden.
(4) (…).
(5) (…).
Die steuerrechtliche Vorschrift unterscheidet sich von den Vorgaben für die Handelsbilanz, deren Bewertungsvorschrift in § 253 Abs. 2 Handelsgesetzbuch (HGB) keinen starren, sondern einen dynamischen, „atmenden“ Rechnungszinsfuß vorsieht. Dieser betrug im hier gegenständlichen Streitjahr (2015) 3,89 %.
2. Der Vorlage liegt eine Finanzstreitsache zugrunde.
Die Klägerin, ein mittelständisches Unternehmen in der Rechtsform einer GmbH, ging bis zum 31. Dezember 1979 Pensionsverpflichtungen im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung für ihre Arbeitnehmer ein. Im streitgegenständlichen Veranlagungszeitraum 2015 betrug ihr Jahresumsatz rund 25 Millionen Euro. Etwa 10 % der Personalkosten entfielen im Streitjahr auf Versorgungsleistungen an Betriebsrentner und Hinterbliebene. Die für die Pensionsverpflichtungen gemäß § 253 Abs. 2 Satz 2 HGB gebildeten Pensionsrückstellungen beliefen sich zum 31. Dezember 2015 auf etwa elf Millionen Euro; sie wurden in der Handelsbilanz nach nicht ergebniswirksamer Einbeziehung von saldierungsfähigem Deckungsvermögen mit knapp zehn Millionen Euro angesetzt. Steuerbilanziell ergab sich ein Wertansatz von knapp 7,5 Millionen Euro. Die unterschiedliche Höhe resultiert nach den Feststellungen des Vorlagegerichts daraus, dass Pensionsrückstellungen in der Handelsbilanz unter Ansatz des sogenannten atmenden Rechnungszinsfußes von 3,89 % (2015) zu bewerten sind, während für steuerbilanzielle Zwecke der feste Rechnungszinsfuß von 6 % anzusetzen ist.
Die Klägerin ermittelte in ihrem handelsrechtlichen Jahresabschluss für das Jahr 2015 einen Jahresüberschuss von etwa 8.000 Euro. Aufgrund der niedrigeren Bewertung der Pensionsrückstellungen in der Steuerbilanz lag das zu versteuernde Einkommen gegenüber dem handelsrechtlichen Jahresüberschuss um knapp 500.000 Euro höher. Der Steueraufwand (Gewerbesteuer, Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag) belief sich auf insgesamt knapp 300.000 Euro.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens gab ihre Körperschaftsteuererklärung für 2015 ab. In dieser erklärte sie unter Ansatz des Rechnungszinsfußes von 6 % ein zu versteuerndes Einkommen von knapp 900.000 Euro. Dieses legte das zuständige Finanzamt, der Beklagte des Ausgangsverfahrens, dem Körperschaftsteuerbescheid zugrunde. Nachdem der Beklagte einen gegen den Körperschaftsteuerbescheid eingelegten Einspruch als unbegründet zurückgewiesen hatte, erhob die Klägerin Klage.
II.
Mit Beschluss vom 12. Oktober 2017 hat das Finanzgericht Köln (nachfolgend: Finanzgericht) gemäß Art. 100 Abs. 1 GG das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung mit der Verfassung vereinbar ist.
1. Das Finanzgericht hält die Vorschrift insoweit für verfassungswidrig, als darin ein Rechnungszinsfuß von 6 % angeordnet wird. Es führt hierzu aus:
a) § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG sei mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.
aa) Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebiete dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen ergäben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz im Sinne eines stufenlosen, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Prüfungsmaßstabs unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichten. Diese abgestuften Anforderungen habe das Bundesverfassungsgericht wie folgt konkretisiert: Im Bereich des Steuerrechts habe der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weit reichenden Entscheidungsspielraum. Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpfe und die es so als rechtlich gleich qualifiziere, werde hier, insbesondere im Bereich des Einkommensteuerrechts, vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: Durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands müsse die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürften eines besonderen sachlichen Grundes. Danach komme es darauf an, welcher Regelungsinhalt einer verfassungsrechtlichen Überprüfung unterworfen werde. Die Auswahl der Steuergegenstände sei auf eine bloße Willkürkontrolle beschränkt. Im Binnenbereich einzelner Steuern gelte hingegen ein strengerer Maßstab. Hier müsse der Gesetzgeber die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig umsetzen. Durch Abweichungen begründete Ungleichbehandlungen seien am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu rechtfertigen. Auf die Veränderung der Prüfungsdichte komme es allerdings nicht an, wenn sich die Gleichheitsrechtswidrigkeit der Typisierung aus einer Verletzung des Willkürverbots ergebe.
Abweichungen vom Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit im Einkommensteuerrecht bedürften der Rechtfertigung. Art. 3 Abs. 1 GG sei jedenfalls verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lasse. Willkür in diesem Sinne könne erst festgestellt werden, wenn die Unsachlichkeit der Differenzierung evident sei.
Der Gesetzgeber dürfe bei der Ausgestaltung der mit der Wahl des Steuergegenstandes getroffenen...
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