Bundesverfassungsgericht
- 1 BvR 1988/97 -
- 1 BvR 2003/97 -
- 1 BvR 2011/97 -
über
die Verfassungsbeschwerden
- der unbekannten Erben nach
Bosestraße 4, Leipzig -
- 1 BvR 1988/97 -,
- des Herrn A... E...,
Bosestraße 4, Leipzig -
- 1 BvR 2003/97 -,
- des Nachlaßpflegers Rechtsanwalt Dr. E...
- 1 BvR 2011/97 -
gegen a) | das Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 28. August 1997 - BVerwG 7 C 1.97 -, |
b) | das Urteil des
Verwaltungsgerichts Leipzig vom 2. Oktober 1996 - 3 K 734/96 -, |
c) | den Widerspruchsbescheid
des Sächsischen Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 25. April 1996 - W2 5202/95-rf -, |
d) | den Bescheid der Stadt
Leipzig vom 15. Dezember 1992 - 305030/1-1189a - |
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den
Vizepräsidenten Papier
und die Richter Grimm,
Hömig
gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 31. März 1998 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen behördliche und gerichtliche Entscheidungen, nach denen Restitutionsansprüche nach § 1 Abs. 2 des Vermögensgesetzes (im folgenden: VermG) nicht an der Unvollständigkeit einer Kettenerbausschlagung scheitern, wenn das vererbte Grundstück tatsächlich in Volkseigentum übernommen worden ist.
I.
Die Beschwerdeführer zu 1 - sie werden durch den Beschwerdeführer zu 3, ihren Nachlaßpfleger, vertreten - sind die unbekannten Erben, der Beschwerdeführer zu 2 ist einer der bekannten Erben eines 1974 in Leipzig verstorbenen Erblassers.
Dieser hinterließ bei seinem Tod eine Tochter und eine Enkelin als gesetzliche Erbinnen erster Ordnung; einzige gesetzliche Erbin zweiter Ordnung war seine in der Bundesrepublik Deutschland lebende Schwester. Die drei Frauen schlugen die Erbschaft aus; ein Aufgebotsverfahren zur Ermittlung weiterer Erben fernerer Ordnungen blieb erfolglos. Daraufhin wurde ein Erbschein zugunsten der Deutschen Demokratischen Republik erteilt und das streitgegenständliche Grundstück als Teil des Nachlasses in Volkseigentum überführt und als volkseigenes Grundstück im Grundbuch eingetragen.
1990 beantragte die Tochter des Erblassers die Rückübertragung des Grundstücks nach § 1 Abs. 2 VermG. Dem Antrag wurde mit der Begründung stattgegeben, daß das Grundstück infolge nicht kostendeckender Mieten im Zeitpunkt der Erbausschlagung überschuldet gewesen sei.
Nachdem 1994 der zugunsten der Deutschen Demokratischen Republik erteilte Erbschein als unrichtig eingezogen und Nachlaßpflegschaft angeordnet worden war, legte der Beschwerdeführer zu 3 als Nachlaßpfleger für die unbekannten Erben Widerspruch gegen den Rückübertragungsbescheid ein. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg. Nachdem zwischenzeitlich Erben dritter Ordnung ermittelt worden waren, wurde die Nachlaßpflegschaft teilweise aufgehoben. Die verbliebenen unbekannten Erben, die Beschwerdeführer zu 1, gesetzlich vertreten durch den Beschwerdeführer zu 3, erhoben gegen den Rückübertragungsbescheid in der Form des Widerspruchsbescheids Anfechtungsklage, die ebenfalls erfolglos blieb. Die dagegen eingelegte Revision der Beschwerdeführer zu 1 hat das Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen, im wesentlichen aus folgenden Gründen (vgl. VIZ 1998, S. 33):
Rechtsfehlerhaft sei die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Klage sei auch zugunsten der inzwischen bekanntgewordenen Erben erhoben worden. Die von dem Beschwerdeführer zu 3 eingereichte Klage sei - entsprechend der vom Nachlaßgericht auf die Vertretung der unbekannten Erben beschränkten Befugnis des Nachlaßpflegers - in zulässiger Weise allein im Namen der unbekannten Erben erhoben worden.
In der Sache sei der Revision darin beizupflichten, daß die Beschwerdeführer zu 1 und die inzwischen bekannten Erben aus zivilrechtlicher Sicht vor dem Fiskus der Deutschen Demokratischen Republik als Erben berufen gewesen seien. Das hier anwendbare Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs habe sich für das Prinzip des sogenannten "Anfallserwerbs" entschieden. Dementsprechend bestimme § 1953 Abs. 2 BGB, daß die Erbschaft demjenigen anfalle, welcher berufen wäre, wenn der Ausschlagende zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte, und daß der Anfall als mit dem Erbfall erfolgt gelte. Die Übernahme des Grundstücks in Volkseigentum habe folglich nicht mit der materiellen Rechtslage in Übereinstimmung gestanden.
Daraus lasse sich aber nicht folgern, daß dem Rückübertragungsbegehren der Erbin erster Ordnung nicht hätte entsprochen werden dürfen. Die von den Beschwerdeführern zu 1 gezogene Schlußfolgerung gehe fehl, weil sie dem Zweck des § 1 Abs. 2 VermG nicht gerecht werde und zu Unrecht zu dessen Voraussetzung eine rechtlich einwandfreie Überführung in Volkseigentum erhebe. Wie das Vermögensrecht allgemein als eine auf eigenen Wertungen beruhende Sonderrechtsordnung in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise parallele wie kollidierende zivilrechtliche Ansprüche verdränge, so schließe auch § 1 Abs. 2 VermG auf erbrechtliche Grundlagen gestützte Ansprüche nachberufener Erben aus.
§ 1 Abs. 2 VermG betreffe Akte der Selbstschädigung zugunsten des Volkseigentums, die durch die damaligen Verhältnisse erzwungen worden seien und daher vom Vermögensgesetz als wiedergutzumachendes Unrecht bewertet würden. Der Tatbestand der Vorschrift sei in dem Sinne zweigliedrig, als sich der Akt der Selbstschädigung in der als wiedergutmachungswürdig erachteten Übernahme des Vermögensgegenstands in Volkseigentum vollendet haben müsse. Hätten Verzicht, Schenkung oder Erbausschlagung nicht zum Eigentumserwerb des Staates, sondern eines privaten Dritten geführt, fehle es zwar nicht an der ökonomischen Zwangslage, aber an der anstößigen Wirkung eines damit verbundenen "Abwanderns" des Vermögenswerts in staatliches Eigentum. Der erstausschlagende Erbe - er sei vorrangig wiedergutmachungsberechtigt, weil sich der Restitutionsanspruch wie eine Anfechtung der Erbausschlagung auswirke - sei auch dann in der in § 1 Abs. 2 VermG vorausgesetzten Weise geschädigt, wenn das überschuldete Grundstück in Volkseigentum übernommen worden sei, ohne daß zuvor alle dem Staat vorgehenden Erben die Erbschaft ausgeschlagen hätten, die Übernahme in Volkseigentum mithin nicht der damaligen erbrechtlichen Lage entsprochen habe. Auch in diesen Fällen habe der erstausschlagende Erbe das Grundstück an das Volkseigentum verloren und sei daher nach der gesetzlichen Wertung schutzbedürftig.
Ein anderes Verständnis des § 1 Abs. 2 VermG würde die Vorschrift praktisch jeden Anwendungsbereichs berauben. Daß wegen einer unvollständig gebliebenen Ausschlagungskette Volkseigentum nicht wirksam begründet worden sei, sei gerade die typische Situation gewesen, die der Gesetzgeber des Vermögensgesetzes vorgefunden habe. Insbesondere in...