Urteil Nr. B 1 KR 1/23 R des Bundessozialgericht, 2023-12-12
Judgment Date | 12 Diciembre 2023 |
ECLI | DE:BSG:2023:121223UB1KR123R0 |
Judgement Number | B 1 KR 1/23 R |
Court | Der Bundessozialgericht (Deutschland) |
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. September 2022 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor in der Hauptsache wie folgt klarstellend neu gefasst wird:
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 09.10.2020 insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung von mehr als Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 4.043,40 € vom 23.04.2014 bis zum 07.10.2014 verurteilt worden ist. Insoweit wird die Klage abgewiesen und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 4043,40 Euro festgesetzt.
Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.
Die Klägerin betreibt ein nach § 108 SGB V zugelassenes Krankenhaus (im Folgenden: Krankenhaus). In diesem wurde vom 15.3. bis 1.4.2014 eine Versicherte der beklagten Krankenkasse (im Folgenden: KK) behandelt. Die Versicherte litt unter anderem an einer Rechtsherzinsuffizienz sowie einer kardiorespiratorischen Herzinsuffizienz. Das Krankenhaus stellte der KK für die Behandlung 6727,58 Euro auf der Grundlage der DRG F62A in Rechnung (Rechnung vom 7.4.2014). Hierfür verschlüsselte es nach der ICD-10-GM (2014) als Hauptdiagnose I50.01 (sekundäre Rechtsherzinsuffizienz) und als Nebendiagnose unter anderem R09.2 (Atemstillstand). Die KK zahlte lediglich einen Betrag iHv 2684,18 Euro für die sich ohne die Nebendiagnose R09.2 ergebende DRG F62B und beauftragte den Sozialmedizinischen Dienst (SMD) mit der Prüfung des Behandlungsfalles. Dieser gelangte zu dem Ergebnis, die Nebendiagnose R09.2 sei anhand der vom Krankenhaus vorgelegten Unterlagen nicht belegt. Unter Bezugnahme auf diese Stellungnahme teilte die KK dem Krankenhaus mit, dass ein weitergehender Vergütungsanspruch nicht bestehe (Eingang des Schreibens am 7.10.2014).
Das SG hat die KK zur Zahlung von 4043,40 Euro nebst Zinsen verurteilt (Gerichtsbescheid vom 9.10.2020). Das LSG hat die Entscheidung des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen, mit Ausnahme des Zinsanspruchs für den Zeitraum vom 23.4. bis 7.10.2014. Die vom Krankenhaus in Rechnung gestellte Vergütung sei zwar nach § 15 Abs 1 Satz 1 des Vertrages über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung nach § 112 Abs 2 Nr 1 SGB V (im Folgenden: LV-NRW) zunächst fällig geworden. Sie hätte von der KK ungeachtet der durchgeführten Prüfung innerhalb von 15 Kalendertagen beglichen werden müssen. Hieraus ergebe sich die Verpflichtung der KK zur Zahlung von Verzugszinsen. Mit dem Zugang der substantiierten Einwendungen der KK am 7.10.2014 sei die Fälligkeit in der streitigen Höhe aber wieder entfallen. Aufgrund der Einwendungen sei offensichtlich gewesen, dass die Rechnung des Krankenhauses fehlerhaft gewesen sei, da die Nebendiagnose R09.2 nicht habe kodiert werden dürfen. Es habe unstreitig weder ein Atemstillstand noch ein Herz-Lungen-Versagen vorgelegen. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass in dem Exklusivum zu dem Code J96 und im alphabetischen Verzeichnis hinsichtlich der kardio-respiratorischen Insuffizienz auf den Code R09.2 verwiesen werde. Die KK sei auch nach Ablauf der zweiwöchigen Zahlungsfrist nicht gehindert, diesen Einwand geltend zu machen (Urteil vom 1.9.2022).
Mit seiner Revision rügt das Krankenhaus eine Verletzung von § 15 Abs 1 Satz 1 LV-NRW sowie der wortlautgetreuen Anwendung der Abrechnungsregelungen in Verbindung mit dem Grundsatz, dass so spezifisch wie möglich zu kodieren sei. Die KK habe die fällige und nicht offenkundig fehlerhafte Rechnung nicht kürzen dürfen, da sie innerhalb der 15-tägigen Zahlungsfrist keine substantiierten und der Höhe nach bezifferten Einwendungen geltend gemacht habe. Durch die nach Fristablauf vorgebrachten Einwendungen sei der fällige Vergütungsanspruch nicht wieder entfallen. Die Abrechnung sei zutreffend unter Einbeziehung der Nebendiagnose R09.2 erfolgt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. September 2022 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 9. Oktober 2020 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
EntscheidungsgründeA. Der Tenor des angefochtenen Urteils war gemäß § 138 Satz 1 SGG zu berichtigen.
Das LSG hat den der Klage stattgebenden Gerichtsbescheid des SG ganz überwiegend (bis auf den Zinsanspruch für die Zeit vom 23.4. bis 7.10.2014) aufgehoben. Bereits aus dem Tenor selbst, jedenfalls aber aus den Gründen der Entscheidung des LSG folgt zweifelsfrei, dass die Klage des Krankenhauses "insoweit", dh soweit der stattgebende Gerichtsbescheid aufgehoben wurde, abgewiesen werden sollte, und dass "im Übrigen", also soweit der Gerichtsbescheid bestätigt wurde (hinsichtlich des Zinsausspruches), die Berufung der KK zurückgewiesen werden sollte.
Insoweit liegt eine offenbare Unrichtigkeit des Tenors iS von § 138 Satz 1 SGG vor, die durch den Senat im Rahmen der Revisionsentscheidung von Amts wegen berichtigt werden kann (vgl BSG vom 15.12.2016 - B 5 RE 2/16 R - SozR 4-2600 § 3 Nr 7 RdNr 14 mwN).
B. Die Revision des klagenden Krankenhauses ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen Vorschrift, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt (§ 162 SGG).
Die vom klagenden Krankenhaus erhobene (echte) Leistungsklage ist im hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis zulässig (stRspr; vgl BSG vom 16.12.2008 - B 1 KN 1/07 KR R - BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 9; BSG vom 16.8.2021 - B 1 KR 18/20 R - BSGE 133, 24 = SozR 4-2500 § 2 Nr 17, RdNr 7). Sie ist aber unbegründet. Dem Krankenhaus steht der geltend gemachte weitere Vergütungsanspruch nach Maßgabe der DRG F62A nicht zu. Der Code R09.2 war nicht als Nebendiagnose zu verschlüsseln (dazu 1.). Aus diesem Grund scheidet auch der noch streitige Zinsanspruch (ab dem 8.10.2014) aus. Soweit das LSG darüber hinaus auch einen Zahlungsanspruch aus § 15 Abs 1 Satz 1 LV-NRW verneint hat, ist dies revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden (dazu 2.).
1. Die Zahlungsverpflichtung einer KK entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iS von § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (stRspr; vgl zB BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 13, 15; BSG vom 19.11.2019 - B 1 KR 33/18 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 77 RdNr 10 mwN; BSG vom 19.3.2020 - B 1 KR 20/19 R - BSGE 130, 73 = SozR 4-2500 § 12 Nr 18, RdNr 11). Diese Grundvoraussetzungen waren nach den nicht angegriffenen, den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) vorliegend erfüllt, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist (vgl zur Zugrundelegung unstreitiger Anspruchsvoraussetzungen BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 26/18 R - juris RdNr 11 mwN).
Das Krankenhaus hatte Anspruch lediglich auf die von der KK gezahlte Vergütung iHv 2684,18 Euro. Es durfte nach dem maßgeblichen Recht (dazu a) und den dabei anzuwendenden Auslegungsgrundsätzen (dazu b) den Code R09.2 (Atemstillstand) nicht als Nebendiagnose kodieren (dazu c). Abzurechnen war deshalb nach der DRG F62B.
a) Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm (Grouper) basiert (vgl § 1 Abs 6 Satz 1 FPV 2014; vgl für die stRspr zum rechtlichen Rahmen der Klassifikationssysteme und des Groupierungsvorgangs: BSG vom 19.6.2018 - B 1 KR 39/17 R - SozR 4-5562 § 9 Nr 10 RdNr 13 und 17 mwN). Dieser Grouper greift auf Daten zurück, die entweder als integrale Bestandteile des Programms mit vereinbart sind oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu Letzteren gehören die Fallpauschalen selbst, die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den DKR (hier Version 2014) für das G-DRG-System gemäß § 17b KHG, aber auch die Klassifikation des vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) - bzw jetzt Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) - im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebenen OPS und ICD-10-GM (vgl BSG vom 24.1.2023 - B 1 KR 6/22 R - SozR 4-5562 § 9 Nr 22 RdNr 11).
b) Abrechnungsbestimmungen sind wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des...
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