Urteil Nr. B 1 KR 32/22 R des Bundessozialgericht, 2023-12-12

Judgment Date12 Diciembre 2023
ECLIDE:BSG:2023:121223UB1KR3222R0
Judgement NumberB 1 KR 32/22 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 24. August 2022 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 300 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.

Die Klägerin betreibt ein zugelassenes Krankenhaus (im Folgenden Krankenhaus) und behandelte dort eine Versicherte der beklagten Krankenkasse (KK) in der Zeit vom 8. bis 30.1.2015 stationär. Eine von der KK eingeleitete sachlich-rechnerische Richtigkeitsprüfung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) führte nicht zu einer Minderung des Rechnungsbetrages. Das Krankenhaus stellte der KK daraufhin am 14.7.2015 eine Aufwandspauschale in Höhe von 300 Euro in Rechnung, die die KK am 29.7.2015 zahlte. Am 16.5.2019 setzte die KK diesen Betrag durch Verrechnung mit einer unstreitigen Vergütungsforderung des Krankenhauses in einem anderen Behandlungsfall wieder ab.

Das Krankenhaus hat am 9.12.2019 Klage auf Zahlung von 300 Euro nebst Zinsen erhoben und ua vorgetragen, mit Ablauf des Kalenderjahres 2018 sei ein etwaiger Anspruch auf Erstattung der Aufwandspauschale verjährt. Es gelte nicht die vierjährige sozialrechtliche, sondern die dreijährige zivilrechtliche Verjährungsfrist. Das SG hat der Klage stattgegeben. Der von der KK geltend gemachte Erstattungsanspruch sei verwirkt (Urteil vom 6.7.2020).

Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die KK habe zu Recht mit ihrem Erstattungsanspruch gegen den Vergütungsanspruch des Krankenhauses aufgerechnet. Zahlungen von Aufwandspauschalen für vor dem 1.1.2016 eingeleitete sachlich-rechnerische Prüfungen seien ohne Rechtsgrund erfolgt. Das Verbot unzulässiger Rechtsausübung stehe nicht entgegen. Insbesondere fehle es an Umständen, die eine Verwirkung auslösen. Die Erstattungsforderung sei auch nicht verjährt. Es finde die allgemeine vierjährige Verjährungsfrist Anwendung. Durch das Inkrafttreten des Pflegepersonal-Stärkungsgesetzes (PpSG) zum 1.1.2019 habe sich für den vorliegenden Fall nichts geändert. Sowohl § 109 Abs 5 SGB V als auch § 325 SGB V (idF des PpSG, im Folgenden: aF) erfassten auf der Tatbestandsseite nur Ansprüche auf Rückzahlung geleisteter Vergütungen. Dies seien nur solche Zahlungen, bei denen der Leistungszweck in der Vergütung von allgemeinen Krankenhausleistungen bestehe. Eine analoge Anwendung auf Aufwandspauschalen sei nicht gerechtfertigt (Urteil vom 24.8.2022).

Mit seiner Revision rügt das Krankenhaus die Verletzung materiellen Rechts. Der Anspruch sei verwirkt. Die KK habe die Aufwandspauschale im Jahr 2015 nicht nur vorbehaltlos gezahlt, sondern auch danach fast vier Jahre keine Erstattung gefordert. Das Krankenhaus habe spätestens seit 2017 davon ausgehen können, dass dies nicht mehr erfolgen werde. Jedenfalls sei ein etwaiger Erstattungsanspruch der KK verjährt bzw gemäß § 325 SGB V aF ausgeschlossen.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 24. August 2022 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 6. Juli 2020 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die Revision des klagenden Krankenhauses ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat das SG-Urteil auf die Berufung der beklagten KK zu Recht aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die vom klagenden Krankenhaus erhobene (echte) Leistungsklage ist im hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis zulässig (stRspr; vgl BSG vom 16.12.2008 - B 1 KN 1/07 KR R - BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 9; BSG vom 16.8.2021 - B 1 KR 18/20 R - BSGE 133, 24 = SozR 4-2500 § 2 Nr 17, RdNr 7), aber nicht begründet. Dem Krankenhaus steht zwar ein Vergütungsanspruch für die Behandlung Versicherter der KK unstreitig zu (dazu A.). Dieser Vergütungsanspruch ist aber durch Aufrechnung mit einer Gegenforderung der KK auf Erstattung der am 29.7.2015 gezahlten Aufwandspauschale in Höhe von 300 Euro erloschen (dazu B.).

A. Es ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass das Krankenhaus aufgrund stationärer Behandlung anderer Versicherter der KK einen fälligen und erfüllbaren Anspruch auf die Vergütung in der streitgegenständlichen Höhe hat. Eine nähere Prüfung zur Höhe der streitigen Beträge erübrigt sich (vgl zur Zugrundelegung bei unstrittiger Berechnungsweise BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 26/18 R - juris RdNr 11 mwN).

B. Der Vergütungsanspruch des Krankenhauses ist jedoch durch die Aufrechnung mit der Gegenforderung der KK in Höhe von 300 Euro teilweise erloschen (vgl zur Erfüllung entspr § 387 BGB BSG vom 25.10.2016 - B 1 KR 7/16 R - SozR 4-7610 § 366 Nr 1 RdNr 11). Der KK stand ein Anspruch auf Erstattung der am 29.7.2015 gezahlten Aufwandspauschale zu (dazu 1.). Die Voraussetzungen der Aufrechnung entsprechend § 387 BGB (iVm § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V) waren erfüllt (dazu 2.).

1. Die KK hat gegenüber dem Krankenhaus einen Anspruch auf Erstattung der Aufwandspauschale.

KKn waren nach der Rspr des Senats nicht verpflichtet, für vor dem 1.1.2016 eingeleitete sachlich-rechnerische Prüfungen Aufwandspauschalen zu zahlen, sodass sie im Grundsatz deren Erstattung verlangen können. Die Vorschrift des § 275 Abs 1 und Abs 1c SGB V begründete in ihren bis 31.12.2015 geltenden Fassungen keinen Anspruch auf die Zahlung von Aufwandspauschalen für sachlich-rechnerische Prüfungen. Zahlungen ohne Rechtsgrund begründen einen Erstattungsanspruch des Zahlenden gegenüber dem Zahlungsempfänger, sei es nach allgemeinen Grundsätzen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs, sei es nach § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm §§ 812 ff BGB. Diese Voraussetzungen sind bei Zahlungen von Aufwandspauschalen für vor dem 1.1.2016 eingeleitete sachlich-rechnerische Prüfungen erfüllt (vgl BSG vom 16.7.2020 - B 1 KR 15/19 R - BSGE 130, 299 = SozR 4-2500 § 275 Nr 32, RdNr 9 ff mwN). Hier wurde die sachlich-rechnerische Richtigkeitsprüfung von der KK im Jahr 2015 eingeleitet.

2. Die KK war auch nicht gehindert, ihren Erstattungsanspruch gegen unstreitige Vergütungsforderungen des Krankenhauses aufzurechnen.

a) Der (unstreitige) Vergütungsanspruch des Krankenhauses und der Erstattungsanspruch der KK waren gegenseitig und - als Geldleistungsansprüche - gleichartig; der Erstattungsanspruch der KK war fällig und durchsetzbar, der Vergütungsanspruch des Krankenhauses erfüllbar (vgl zu den Voraussetzungen der Aufrechnung BSG vom 28.9.2010 - B 1 KR 4/10 R - SozR 4-2500 § 264 Nr 3 RdNr 16; BSG vom 25.10.2016 - B 1 KR 9/16 R - SozR 4-5562 § 11 Nr 2 RdNr 10 ff; BSG vom 25.10.2016 - B 1 KR 7/16 R - SozR 4-7610 § 366 Nr 1 RdNr 11 ff).

b) Der Aufrechnung durch die KK steht nicht der Einwand des Verbots unzulässiger Rechtsausübung entgegen.

Der Senat hat bereits entschieden, dass KKn nicht rechtsmissbräuchlich handeln, wenn sie die Erstattung von Aufwandspauschalen verlangen, die sie nach dem 31.12.2014 für sachlich-rechnerische Prüfungen gezahlt haben. Weder können sich die Krankenhäuser auf § 242 BGB iVm § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V unter den Voraussetzungen des spezifischen Vertrauensschutzes oder der Verwirkung berufen noch schließt eine entsprechende Anwendung des § 814 BGB den Erstattungsanspruch aus (BSG vom 16.7.2020 - B 1 KR 15/19 R - BSGE 130, 299 = SozR 4-2500 § 275 Nr 32, RdNr 28 ff mwN). Daran hält der Senat fest.

aa) Die Verwirkung setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und - kumulativ - weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes die verspätete Geltendmachung des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (stRspr; vgl BSG vom 19.11.2019 - B 1 KR 10/19 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 80 RdNr 12 mwN).

Solche besonderen Umstände lagen hier aber nicht vor. Aufgrund der nicht abschließend geklärten Rechtslage konnten die Krankenhäuser nicht darauf vertrauen, die KKn würden keine Erstattungsansprüche geltend machen. Vielmehr war es den Krankenhäusern ab 1.1.2015 zumutbar, Rückstellungen zu bilden (so ausdrücklich BSG vom 16.7.2020 - B 1 KR 15/19 R - BSGE 130, 299 = SozR 4-2500 § 275 Nr 32, RdNr 30).

bb) Hieran ändert sich auch nichts durch die Tatsache, dass...

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