Urteil Nr. B 1 KR 9/20 R des Bundessozialgericht, 2020-10-27

Judgment Date27 Octubre 2020
ECLIDE:BSG:2020:271020UB1KR920R0
Judgement NumberB 1 KR 9/20 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 2019 und des Sozialgerichts Augsburg vom 8. September 2017 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in allen Rechtszügen.

Der Streitwert wird auf 3426,48 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.

Der bei der beklagten Krankenkasse Versicherte wurde im Krankenhaus der Klägerin vom 8. - 20.6.2012 stationär wegen einer postoperativen Wundheilungsstörung mit Vereiterung und Aufweichung im Sprunggelenk (Sprunggelenksempyem und Weichteilmazeration) behandelt. Nach zunächst konservativer Behandlung mit Gelenkspülungen und Antibiotikagabe (systemische Antibiose) wurde zum Erhalt des Unterschenkels die Indikation zur Versteifung des Sprunggelenks gestellt. Da der Versicherte in der Zwischenzeit (am 12.6.2012) allerdings wegen einer kardialen Dekompensation mit dem Arzneimittel Plavix® behandelt worden war, musste vor Durchführung der Operation das Abklingen der Medikamenteneinwirkung abgewartet werden. Der Versicherte wurde am 20.6.2012 entlassen und am 25.6.2012 zur Durchführung der Operation wieder aufgenommen (stationäre Behandlung vom 25.6. - 20.7.2012). Für den ersten stationären Aufenthalt (8. - 20.6.2012) berechnete die Klägerin 4558,90 Euro nach Fallpauschale DRG (Diagnosis Related Group) F54Z (Komplexe oder mehrfache Gefäßeingriffe ohne kompliz. Konstell., ohne Revision, ohne kompliz. Diagn., Alter > 2 J., ohne bestimmte beidseitige Gefäßeingriffe od. mäßig kompl. Gefäßeingr. m. kompliz. Diagn., ohne äuß. schw. CC, ohne Rotationsthrombektomie) und für den zweiten stationären Aufenthalt (25.6. - 20.7.2012) 7008,99 Euro nach DRG I13B (Bestimmte Eingriffe an Humerus, Tibia, Fibula und Sprunggelenk mit best. Mehrfacheingr. od. kompl. Diagn. od. best. kompl. Osteotomie bei kompl. Eingriff od. schw. Weichteilschaden, oder bestimmte Eingriffe bei Endoprothese der oberen Extremität). Die Beklagte beglich die Rechnungen zunächst, rechnete jedoch nach Einschaltung des MDK in Höhe von 3426,48 Euro mit unstreitigen Forderungen der Klägerin auf: Da die Operation nur wegen der noch bestehenden Medikamenteneinwirkung habe verschoben werden müssen, hätte der Versicherte nach § 1 Abs 7 der Fallpauschalenvereinbarung (FPV) für 2012 beurlaubt werden können und hätte nicht entlassen werden müssen. Es sei daher von einem einheitlichen Behandlungsfall auszugehen, der nach DRG F21A (Andere OR-Prozeduren bei Kreislauferkrankungen, mit hochkomplexem Eingriff) in Höhe von 8141,41 Euro abzurechnen sei.

Das SG hat der Klage auf Zahlung der restlichen Vergütung stattgegeben (Urteil vom 8.9.2017). Das LSG hat die Berufung der Beklagten gegen das SG-Urteil zurückgewiesen: Es lägen weder die Voraussetzungen für eine Fallzusammenführung nach § 2 Abs 1 bis 3 FPV 2012 noch für eine Beurlaubung nach § 1 Abs 7 FPV 2012 vor, letztere bereits deswegen nicht, weil infolge der Medikamenteneinwirkung keine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit in Bezug auf die anstehende Operation mehr bestanden habe (Urteil vom 29.1.2019).

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 12 Abs 1 Satz 2 SGB V. Eine Fallzusammenführung habe im vorliegenden Fall nach den Grundsätzen des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens stattzufinden.

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 2019 und des Sozialgerichts Augsburg vom 8. September 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Zu Unrecht hat das LSG die Berufung der Beklagten gegen das stattgebende Urteil des SG zurückgewiesen. Denn die zulässige (echte) Leistungsklage auf weitere Vergütung ist nicht begründet. Der Klägerin steht der Vergütungsanspruch lediglich in Höhe der von der Beklagten bereits beglichenen 8141,41 Euro zu. Die Klägerin durfte nach den Grundsätzen des wirtschaftlichen Alternativverhaltens lediglich einen Behandlungsfall - ggf mit einer zwischenzeitlichen Beurlaubung - abrechnen, nicht hingegen zwei Behandlungsfälle.

1. Rechtsgrundlage des von der Klägerin wegen der stationären Behandlung des Versicherten geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V iVm § 7 KHEntgG und § 17b KHG (vgl BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 13, 15 f; BSG vom 19.3.2020 - B 1 KR 20/19 R = juris RdNr 11 mwN, zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-2500 § 12 Nr 18). Das Gesetz regelt in diesen Vorschriften die Höhe der Vergütung der zugelassenen Krankenhäuser bei stationärer Behandlung gesetzlich Krankenversicherter und setzt das Bestehen des Vergütungsanspruchs als Gegenleistung für die Erfüllung der Pflicht, erforderliche Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V zu gewähren (§ 109 Abs 4 Satz 2 SGB V), dem Grunde nach als Selbstverständlichkeit voraus (vgl BSG vom 19.3.2020 - B 1 KR 20/19 R - SozR 4-2500 § 12 Nr 18 RdNr 11, zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE).

Die Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs der Klägerin liegen bis auf die Erfüllung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs 1 SGB V; dazu 2. b) vor. Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iS von § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (vgl zB BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 13, 15 f; BSG vom 19.11.2019 - B 1 KR 33/18 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 77 RdNr 10, 12 f mwN). Nach den bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG war die stationäre Behandlung des Versicherten während beider Behandlungsepisoden (8. - 20.6.2012 und 25.6. - 20.7.2012) medizinisch erforderlich. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.

2. Zu Recht streiten die Beteiligten auch nicht darüber, dass die Klägerin die Höhe der...

Um weiterzulesen

FORDERN SIE IHR PROBEABO AN

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT