Urteil Nr. B 1 KR 34/20 R des Bundessozialgericht, 2021-05-18

Judgment Date18 Mayo 2021
ECLIDE:BSG:2021:180521UB1KR3420R0
Judgement NumberB 1 KR 34/20 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Krankenversicherung - Krankenhausvergütung - Auslegung der 2014 geschlossenen Prüfverfahrensvereinbarung gemäß der allgemeinen für Gesetze geltenden Auslegungsmethoden - PrüfvVbg als materielle Präklusionsregelung - Unzulässigkeit einer Änderung eines zu Abrechnungszwecken übermittelten Datensatzes nach Ablauf der in der PrüfvVbg geregelten Änderungsfrist
Leitsätze

1. Die Anwendung der normenvertraglichen Bestimmungen der Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV) unterliegt den allgemeinen für Gesetze geltenden Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft und nicht den für Abrechnungsbestimmungen geltenden Einschränkungen im Sinne einer eng am Wortlaut orientierten, nur durch systematische Erwägungen unterstützten Auslegung.

2. Die 2014 zwischen dem GKV-Spitzenverband und der Deutschen Krankenhausgesellschaft geschlossene PrüfvV bewirkt eine materielle Präklusionsregelung mit der Rechtsfolge, dass Änderungen zugunsten des vom Krankenhaus zu Abrechnungszwecken an die Krankenkasse übermittelten Datensatzes nach Ablauf der in der PrüfvV geregelten Änderungsfristen unzulässig sind, soweit der Datensatz Gegenstand des Prüfverfahrens geworden ist.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. August 2020 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 5371,36 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.

Der Kläger ist Träger eines nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhauses (nachfolgend: Krankenhaus). Es behandelte den bei der beklagten Krankenkasse (KK) Versicherten vollstationär vom 12. bis 14.4.2016 und berechnete hierfür zunächst 5289,40 Euro (Schlussrechnung vom 25.4.2016; Fallpauschale DRG> F12G). Es kodierte dazu ua OPS (Operationen- und Prozedurenschlüssel) 5-377.2 (Schrittmacher, Zweikammersystem, mit einer Schrittmachersonde). Die KK beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Überprüfung, ob das Überschreiten der unteren Grenzverweildauer medizinisch begründet sei. Der MDK bejahte dies (Stellungnahme vom 22.12.2016). Mit Schlussrechnung vom 25.1.2017 änderte das Krankenhaus seine ursprüngliche Abrechnung, berechnete nunmehr DRG F01G (10 660,76 Euro) und forderte von der KK die Zahlung weiterer 5371,36 Euro. Hierbei kodierte es OPS 5-377.50 (Defibrillator mit Einkammer-Stimulation, ohne atriale Detektion) anstelle von OPS 5-377.2. Die KK zahlte nur 5289,40 Euro und verweigerte im Übrigen die Zahlung: Die Nachforderung sei nach § 7 Abs 5 der Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Abs 1c SGB V (Prüfverfahrensvereinbarung - PrüfvV 2014) iVm § 17c Abs 2 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) ausgeschlossen. Das SG hat der Klage des Krankenhauses auf Zahlung von 5371,36 Euro nebst Zinsen stattgegeben (Urteil vom 26.6.2019). Das LSG hat die Berufung der KK zurückgewiesen: Es sei unstreitig, dass die stationäre Behandlung des Versicherten richtigerweise unter Kodierung von OPS 5-377.50 nach der DRG F01G abzurechnen sei. Die sich dadurch ergebende Nachforderung iH von 5371,36 Euro sei weder verjährt noch verwirkt und auch nicht nach § 7 Abs 5 Satz 2 PrüfvV 2014 ausgeschlossen. Die Vorschrift regele keine materiell-rechtliche Ausschlussfrist (Urteil vom 13.8.2020).

Die KK rügt mit ihrer Revision sinngemäß die Verletzung von § 17c Abs 2 KHG iVm § 7 Abs 5 Satz 2 PrüfvV 2014. Die Regelung schließe als materiell-rechtliche Ausschlussfrist eine Rechnungskorrektur nach Abschluss der MDK-Prüfung aus. Die Vorschrift sei im Lichte des Beschleunigungsgebotes auszulegen und bezwecke, dass der MDK nicht mehrfach mit einer Begutachtung beauftragt werde. Die Auffassung des LSG führte dazu, dass der MDK Fälle erneut prüfen müsste und das Verfahren hierdurch verzögert würde. Ein Verstoß des Krankenhauses gegen § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 hätte keine vergütungsrechtlichen Konsequenzen. Die Vorschrift würde "sinnentleert".

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. August 2020 und des Sozialgerichts Landshut vom 26. Juni 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die Revision der beklagten KK ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zu Recht hat das LSG ihre Berufung zurückgewiesen.

Die auf Zahlung höherer Krankenhausvergütung gerichtete echte Leistungsklage ist in dem hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis zwischen klagendem Krankenhaus und KK gemäß § 54 Abs 5 SGG zulässig (stRspr; vgl zB BSG vom 30.6.2009 - B 1 KR 24/08 R - BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17, RdNr 12 mwN). Sie ist auch begründet. Das klagende Krankenhaus hatte im April 2016 bereits 5289,40 Euro für die Behandlung des Versicherten abgerechnet. Es durfte gleichwohl seine Abrechnung im Januar 2017 ändern und weitere 5371,36 Euro von der KK nebst Zinsen nachfordern. Dieser Anspruch auf weitere Vergütung für die stationäre Behandlung des Versicherten ist entstanden (dazu 1.). Der Anspruch ist weder - wie die KK meint - infolge einer materiell-rechtlichen Ausschlussfrist erloschen noch steht seiner Durchsetzung eine sonstige Einwendung entgegen (dazu 2.). Dem Krankenhaus steht auch der vom SG tenorierte Zinsanspruch zu (dazu 3.).

1. Die Voraussetzungen des Anspruchs des Krankenhauses auf Zahlung weiterer 5371,36 Euro Vergütung für die vollstationäre Behandlung des Versicherten vom 12.4. bis 14.4.2016 sind erfüllt. Dem Krankenhaus stand dem Grunde nach ein Vergütungsanspruch für die unstreitig erforderliche stationäre Krankenhausbehandlung des Versicherten zu (vgl zu den Grundvoraussetzungen des Vergütungsanspruchs: BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 13, 15 mwN; BSG vom 19.3.2020 - B 1 KR 22/18 R - juris RdNr 11 mwN; vgl zum rechtlichen Rahmen der Fallpauschalenvergütung, insbesondere zum Groupierungsvorgang, zur Rechtsqualität der Fallpauschalenvereinbarung und der Einbeziehung des OPS vgl BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 15 ff).

Es ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass die Krankenhausvergütung für die Behandlung des Versicherten unter Berücksichtigung von OPS 5-377.50 richtigerweise nach der DRG F01G zu vergüten ist und sich daraus ein Vergütungsanspruch von insgesamt 10 660,76 Euro ergibt. Dieser übereinstimmende, auch vom LSG als zutreffend angesehene Beteiligtenvortrag wird vom Senat zugrunde gelegt (stRspr; vgl zur Zulässigkeit dieses Vorgehens zB BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 26/18 R - juris RdNr 11 mwN). Da die KK bisher nur 5289,40 Euro zahlte, verbleibt ein bislang nicht erfüllter Restvergütungsanspruch auf 5371,36 Euro.

2. Das Krankenhaus durfte diesen Restvergütungsanspruch auch fällig stellen und hierzu seine Abrechnung im Januar 2017 korrigieren. Es durfte OPS 5-377.50 nachkodieren und die hierdurch angesteuerte DRG F01G mit insgesamt 10 660,76 Euro auch nach Abschluss des von der KK eingeleiteten Prüfverfahrens dieser in Rechnung stellen. Der Anspruch auf den Restbetrag iH von 5371,36 Euro ist nicht nach dem hier zeitlich anwendbaren § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 (dazu a) ausgeschlossen. § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 regelt keine materielle Ausschlussfrist, sondern eine materielle Präklusion (dazu b). Deren sachlicher Anwendungsbereich ist hier jedoch nicht eröffnet (dazu c). Der Anspruch des Krankenhauses auf Zahlung weiterer 5371,36 Euro ist auch nicht nach § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm § 242 BGB verwirkt (dazu d).

a) § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 ist zeitlich auf die im Jahr 2016 durchgeführte Krankenhausbehandlung des Versicherten anwendbar. Die mit Wirkung zum 1.9.2014 aufgrund der Ermächtigung des § 17c Abs 2 KHG (idF des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15.7.2013, BGBl I 2423) in Kraft getretene und später gekündigte PrüfvV 2014 erfasst Überprüfungen bei Versicherten, die ab dem 1.1.2015 aufgenommen wurden (§ 12 Abs 1 PrüfvV 2014; für Krankenhausaufnahmen ab dem 1.1.2017 gilt die zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretene PrüfvV vom 3.2.2016; vgl BSG vom 30.7.2019 - B 1 KR 31/18 R - BSGE 129, 1 = SozR 4-7610 § 366 Nr 2, RdNr 14). Ob die PrüfvV 2014 inhaltlich Rechtsfolgen hinsichtlich der Änderungen des Datensatzes für die Zeit ab 2016 wirksam regeln durfte, bedarf hier keiner abschließenden Beurteilung. § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 schließt auch - bei seiner nachfolgend unterstellten - sachlichen Anwendbarkeit den Anspruch des klagenden Krankenhauses hier nicht aus (dazu im Einzelnen 2.b und c).

§ 17c Abs 2a Satz 1 KHG (idF des Gesetzes für bessere und unabhängigere Prüfungen MDK-Reformgesetz> vom 14.12.2019, BGBl I 2789, mit Wirkung vom 1.1.2020, Art 15 Abs 1 MDK-Reformgesetz; zu den Grundsätzen des intertemporalen Sozialrechts vgl BSG vom 23.5.2017 - B 1 KR 24/16 R - SozR 4-2500 § 301 Nr 8 RdNr 32 mwN), wonach eine Korrektur der an die KK übermittelten Abrechnung durch das Krankenhaus grundsätzlich ausgeschlossen ist, ist jedenfalls nicht rückwirkend auf Sachverhalte anzuwenden, bei denen das Krankenhaus - wie hier - vor Inkrafttreten der Regelung wirksam die Abrechnung korrigiert hat.

b) § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 bewirkt eine materielle Präklusionsregelung mit der Rechtsfolge, dass Änderungen zugunsten des vom Krankenhaus zu Abrechnungszwecken an die KK übermittelten Datensatzes nach Ablauf der in der PrüfvV geregelten Änderungsfristen unzulässig sind, soweit der Datensatz Gegenstand des Prüfverfahrens geworden ist. Änderungen des MDK-geprüften Teils des Datensatzes nach § 301 SGB V außerhalb der in § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 geregelten Änderungsmöglichkeiten sind - auch mit Wirkung für ein ggf nachfolgendes Gerichtsverfahren - unzulässig. Der Vergütungsanspruch des Krankenhauses kann nicht erfolgreich auf Grundlage von neuen (geänderten oder ergänzten) Daten durchgesetzt werden, deren Übermittlung unzulässig ist.

Im Gegensatz...

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