Urteil Nr. B 1 KR 7/21 R des Bundessozialgericht, 2021-11-10

Judgment Date10 Noviembre 2021
ECLIDE:BSG:2021:101121UB1KR721R0
Judgement NumberB 1 KR 7/21 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Krankenversicherung - kein Anspruch eines gleichgeschlechtlichen Ehepaares auf Kinderwunschbehandlung in Form einer heterologen Insemination - Verfassungsmäßigkeit
Leitsätze

Es verstößt nicht gegen Verfassungsrecht, dass gleichgeschlechtliche Ehepaare im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung keinen Anspruch auf eine Kinderwunschbehandlung in Form einer heterologen Insemination haben.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. August 2020 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der beklagten Krankenkasse die Erstattung der Kosten einer Kinderwunschbehandlung mittels einer künstlichen Befruchtung.

Die Klägerin lebt in gleichgeschlechtlicher Ehe und leidet an einer Fertilitätsstörung. Im Jahr 2018 stellte sie bei der beklagten Krankenkasse Anträge auf Kostenübernahme für Arzneimittel und Behandlungsversuche der Insemination und In-vitro-Fertilisation sowie auf Übernahme von Laborleistungskosten im Rahmen der Kinderwunschbehandlung. Diese lehnte die Beklagte bestandskräftig ab (Bescheid vom 12.2.2018 und Widerspruchsbescheid vom 11.6.2018 sowie Bescheid vom 14.6.2018). Den gegen die bestandskräftigen Bescheide gerichteten Überprüfungsantrag der Klägerin lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 30.7.2018, Widerspruchsbescheid vom 16.8.2018). Während des Überprüfungsverfahrens wurde eine künstliche Befruchtung durchgeführt, nachdem während des ersten Verwaltungsverfahrens bereits eine Hormonbehandlung stattgefunden hatte. Mit der gegen den Überprüfungsbescheid und auf Erstattung der Kosten der Kinderwunschbehandlung in Höhe von insgesamt 8882,31 Euro nebst Prozesszinsen gerichteten Klage ist die Klägerin in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben (Urteil des SG vom 21.5.2019, Urteil des LSG vom 19.8.2020). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt: Die Voraussetzungen einer Kostenerstattung nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V seien nicht erfüllt. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung gehabt. Sie erfülle nicht die Voraussetzungen des maßgeblichen § 27a Abs 1 Nr 4 SGB V, der nur die Verwendung von Ei- und Samenzellen der Ehepartner zulasse (sog homologe Insemination). Die bei einer gleichgeschlechtlichen Ehe bestehende Notwendigkeit, Spendersamen zu nutzen (sog heterologe Insemination), sei von der Regelung nicht umfasst. Gegen die Regelung bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber habe bei der Bestimmung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) eine besonders weite Gestaltungsfreiheit. Weder ergebe sich aus dem Schutz von Ehe und Familie nach Art 6 Abs 1 GG ein Anspruch auf Ermöglichung einer Schwangerschaft. Noch verstoße § 27a Abs 1 Nr 4 SGB V gegen Art 3 GG. Die Norm sei nicht diskriminierend, weil sie nicht an das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung der Klägerin anknüpfe. Es handele sich vielmehr um eine geschlechterunabhängige Privilegierung der homologen gegenüber der heterologen Insemination, was sowohl gleichgeschlechtliche als auch absolut unfruchtbare verschiedengeschlechtliche Ehepaare betreffe. Die Unterscheidung der Behandlungsmethoden sei aus Kindeswohlgesichtspunkten gerechtfertigt, da das Kind bei einer homologen künstlichen Befruchtung automatisch zwei zum Unterhalt verpflichtete Elternteile habe, wohingegen es bei der heterologen künstlichen Befruchtung einen nicht erzwingbaren Akt der Annahme des Kindes durch den nicht austragenden Ehepartner bedürfe.

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision sinngemäß die Verletzung von Art 1, 3 und 6 GG. Spätestens seit der gesetzlichen Gleichstellung unterlägen auch gleichgeschlechtliche Ehepaare dem besonderen Schutz des Staates nach Art 6 GG. Die Kinderwunschbehandlung faktisch nur verschiedengeschlechtlichen Paaren zu eröffnen, unterlaufe die vom Gesetzgeber beabsichtigte Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Ehepaare. In diesem Zusammenhang seien auch die übergeordneten Wertungen von Art 2, 8 und 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie Art 2 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte zu berücksichtigen.

Die Klägerin hat ihr zunächst auf Erstattung der vollen Behandlungskosten in Höhe von 8882,31 Euro nebst Prozesszinsen gerichtetes Klagebegehren in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat beschränkt und beantragt nunmehr,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. August 2020 und des Sozialgerichts Würzburg vom 21. Mai 2019 sowie den Überprüfungsbescheid vom 30. Juli 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 12. Februar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2018 sowie den Bescheid vom 14. Juni 2018 zurückzunehmen, und zu verurteilen, an sie 4441,16 Euro nebst vier Prozent Zinsen hierauf ab dem 1. Januar 2021 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, ist der Rechtsstreit erledigt (§ 102 Abs 1 Satz 2 SGG). Im Übrigen ist die Revision der Klägerin zulässig (dazu 1.) aber nicht begründet (dazu 2.).

1. Die Zulässigkeit der Revision scheitert entgegen der Ansicht der Beklagten nicht daran, dass in der Revisionsschrift das Aktenzeichen der angegriffenen Entscheidung des LSG nicht genannt wurde. Nach § 164 Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGG muss die Revision das angefochtene Urteil angeben. Hierfür reicht es, wenn sich aus dem Inhalt der Revisionsschrift oder aus weiteren Umständen ergibt, welche Entscheidung gemeint ist (vgl BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 135/04 B - SozR 4-1500 § 124 Nr 1 RdNr 3; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 164 RdNr 4b, mwN). Dies war hier der Fall. Die Klägerin hat die Revisionsschrift zu dem Aktenzeichen des der Revisionszulassung vorangegangenen Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde eingereicht und in der Revisionsschrift das Gericht und das Entscheidungsdatum der angefochtenen Entscheidung des LSG wie auch der vorangegangenen Entscheidung des SG angegeben.

2. Die Revision ist jedoch unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zu Recht hat das LSG die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Der Klägerin steht kein Kostenerstattungsanspruch nach § 27a SGB V zu.

a) Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Überprüfungsbescheid vom 30.7.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.8.2018 mit dem die Beklagte es abgelehnt hat, den die Kinderwunschbehandlung ablehnenden Bescheid vom 12.2.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.6.2018 und den Bescheid vom 14.6.2018 zurückzunehmen. Ferner begehrt die Klägerin die Erstattung von 50 vH der Kosten der von ihr inzwischen durchgeführten Kinderwunschbehandlung nebst der geltend gemachten Zinsen.

b) Richtige Klageart hierfür ist die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 SGG iVm § 56 SGG (vgl BSG vom 12.9.2019 - B 11 AL 19/18 R - SozR 4-4300 § 330 Nr 8 RdNr 11; BSG vom 16.12.2014 - B 9 V 6/13 R - SozR 4-7945 § 3 Nr 1 RdNr 10). Mit der Anfechtungsklage begehrt die Klägerin die Aufhebung der Überprüfungsentscheidung. Die Verpflichtungsklage ist sodann auf die Rücknahme der ablehnenden Leistungsbescheide gerichtet und mit der Leistungsklage macht sie die Erstattung der verauslagten Behandlungskosten nebst Zinsen geltend. Für die Geltendmachung des Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB V bedarf es der Beseitigung der Bindungswirkung der ablehnenden Leistungsbescheide (vgl BSG vom 16.12.2008 - B 1 KR 2/08 R - SozR 4-2500 § 13 Nr 20 RdNr 16).

c) Die auch im Übrigen zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Beklagte hat es rechtmäßig abgelehnt, der Klägerin Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft zu gewähren und diese Entscheidung nicht nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X zurückzunehmen. Der Klägerin steht deshalb auch der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch gemäß § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB V nicht zu (zu den Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB V vgl BSG vom 2.9.2014 - B 1 KR 3/13 R - BSGE 117, 1 = SozR 4-2500 § 28 Nr 8, RdNr 15 mwN; zum Fortbestehen bereits entstandener Kostenerstattungsansprüche bei einem Wechsel der Krankenkasse vgl BSG vom 3.7.2012 - B 1 KR 25/11 R - BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 9 mwN).

Die Klägerin hatte keinen Anspruch auf die durchgeführte Kinderwunschbehandlung im Wege einer heterologen Insemination. Diese ist nach § 27a Abs...

Um weiterzulesen

FORDERN SIE IHR PROBEABO AN

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT