Urteil Nr. B 1 KR 43/20 R des Bundessozialgericht, 2021-11-10

Judgment Date10 Noviembre 2021
ECLIDE:BSG:2021:101121UB1KR4320R0
Judgement NumberB 1 KR 43/20 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Krankenversicherung - Krankenhausvergütung - Anwendbarkeit der Prüfverfahrensvereinbarung im Jahr 2015 nur auf die Wirtschaftlichkeitsprüfung - Fristwahrung bei der Übersendung von vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) angeforderten Unterlagen - Maßgeblichkeit des rechtzeitigen Zugangs - keine Präklusion bei fehlendem Vertretenmüssen der Fristversäumung
Leitsätze

1. Bei einem Fragen der Wirtschaftlichkeit und der sachlich-rechnerischen Richtigkeit umfassenden Prüfauftrag findet im Jahr 2015 die Prüfverfahrensvereinbarung nur auf die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Krankenhausbehandlung Anwendung.

2. Maßgeblich für die Wahrung der Frist zur Übermittlung der vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) angeforderten Unterlagen durch das Krankenhaus ist bei einer postalischen Übersendung der rechtzeitige Zugang beim MDK.

3. Dem MDK nicht fristgerecht übersandte Unterlagen sind nicht präkludiert, wenn die Versäumung der Frist auf Umständen beruht, die das Krankenhaus nicht zu vertreten hat.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Juli 2020 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 401 714,64 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.

Das klagende Universitätsklinikum, eine Anstalt des öffentlichen Rechts (im Folgenden: Krankenhaus) behandelte einen Versicherten der beklagten Krankenkasse (KK) vom 8.2. bis 26.3.2015 nach intensivstationärer Übernahme stationär und rechnete hierfür insgesamt 411 572,56 Euro ab (Teilrechnungen vom 14., 16. und 17.4.2015). Die KK zahlte lediglich einen Teilbetrag iH von 7922,23 Euro und beauftragte ihren Sozialmedizinischen Dienst (SMD) mit der Prüfung des Behandlungsfalls. Sie zeigte dem Krankenhaus die Prüfung mit Schreiben vom 23.4.2015 unter Hinweis auf eine beabsichtigte Vollprüfung betreffend Hauptdiagnose, Fehlbelegung sowie der Zusatzentgelte und nachfolgend mit weiteren Schreiben vom 24.4.2015 und vom 27.4.2015 an. Diese weiteren Schreiben nahmen jeweils auf das erste Schreiben Bezug. Der SMD erbat beim Krankenhaus mit Schreiben vom 23.4.2015 (per Telefax) unter Anzeige des Prüfverfahrens die Übersendung im Einzelnen aufgezählter Unterlagen. Das Krankenhaus übersandte die erbetenen Unterlagen mit Schreiben, das als Datum den 20.5.2015 ausweist. Dieses ging ausweislich des Eingangsstempels des SMD dort am 28.5.2015 ein. Die KK verweigerte unter Hinweis auf die Versäumung der Vier-Wochen-Frist zur Unterlagenübersendung weitere Zahlungen. Das SG hat die auf Zahlung von 403 590,33 Euro nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 4.5.2016). Das LSG hat das Urteil des SG geändert und die KK zur Zahlung von 401 714,64 Euro nebst Zinsen verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Dem Krankenhaus stehe der - der Höhe nach zwischen den Beteiligten zuletzt unstreitige - Vergütungsanspruch gegen die KK zu. Dieser sei nicht nach § 7 Abs 2 Satz 4 der für Behandlungsfälle ab dem 1.1.2015 geltenden, zwischen dem GKV-Spitzenverband und der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) geschlossenen Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Abs 1c SGB V vom 1.9.2014 (Prüfverfahrensvereinbarung - PrüfvV 2014) gemäß § 17c Abs 2 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) auf den "unstrittigen Rechnungsbetrag" beschränkt. Es spreche zwar viel dafür, dass die PrüfvV 2014 auf die hier erfolgte "Vollprüfung" Anwendung finde. § 7 Abs 2 Satz 4 PrüfvV 2014 sei auch grundsätzlich tatbestandlich einschlägig. Der SMD habe die seines Erachtens für die Prüfung "erforderlichen Unterlagen" konkret bezeichnet und es sei weder feststellbar, dass das Krankenhaus die Unterlagen am 20.5.2015 abgesandt habe, noch sei es feststellbar, dass diese dem SMD vor dem 28.5.2015 zugegangen seien. Es sei davon auszugehen, dass die vom SMD angeforderten Unterlagen diesem nicht innerhalb von vier Wochen nach Zugang von deren Anforderung übermittelt worden seien. Das Tatbestandsmerkmal "übermitteln" könne ungeachtet der Klarstellung in der ab dem 1.1.2017 geltenden PrüfvV 2016 bereits dem Wortsinn nach nicht dahingehend verstanden werden, dass die Absendung der Unterlagen zur Fristwahrung genüge. Ob eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht komme oder die prozessuale Fristen betreffende Rechtsprechung zum Vertrauen in für den Normalfall geltende Postlaufzeiten auf die Einhaltung materiell-rechtlicher Ausschlussfristen übertragbar sei, könne dahinstehen. Denn das Krankenhaus könne zum Zeitpunkt der Absendung der fraglichen Unterlagen weder substantiiert vortragen noch eine rechtzeitige Absendung belegen. Jedenfalls aber enthalte § 7 Abs 2 Satz 4 PrüfvV 2014 keine materiell-rechtliche Ausschlussfrist. Hierfür hätte es auch mit Blick auf die unverhältnismäßigen Folgen einer eindeutigen Regelung bedurft.

Die beklagte KK rügt mit ihrer Revision eine Verletzung von § 7 Abs 2 PrüfvV 2014. Die Vorschrift regele entgegen der Ansicht des LSG eine von der Ermächtigungsgrundlage in § 17c Abs 2 KHG gedeckte materielle Ausschlussfrist.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Juli 2020 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 4. Mai 2016 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Das klagende Krankenhaus ist der Ansicht, die PrüfvV 2014 finde vorliegend bereits keine Anwendung, weil und soweit es um die Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung gehe. Für die Wahrung der Frist genüge die rechtzeitige Absendung der Unterlagen an den SMD, auf den Zugang komme es nicht an. Ein etwaiges Fristversäumnis sei ihm mangels Verschuldens auch nicht zurechenbar. Schließlich regele § 7 Abs 2 Satz 3 PrüfvV 2014 keine materielle Ausschlussfrist. Sie wäre auch nicht durch § 17c Abs 2 KHG (aF) gedeckt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der beklagten KK ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Der Senat kann auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht abschließend entscheiden, ob dem Krankenhaus der geltend gemachte weitere Vergütungsanspruch zusteht.

Das LSG hat den zwischen den Beteiligten in der Sache unstreitigen Vergütungsanspruch bejaht. Es ist davon ausgegangen, dass die Versäumung der Frist zur Übersendung der Unterlagen gemäß § 7 Abs 2 Satz 3 und 4 PrüfvV 2014 durch das Krankenhaus unerheblich sei. Dies hält einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. § 7 Abs 2 Satz 2 bis 4 PrüfvV 2014 enthält zwar - wie dies auch das LSG zu Recht angenommen hat - keine materielle Ausschlussfrist. Die vom Krankenhaus zu vertretende Versäumung der Frist hat aber zur Folge, dass die vom SMD angeforderten, ihrer Art nach konkret bezeichneten Unterlagen, die das Krankenhaus aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht fristgerecht übermittelt hat, als Beweismittel präkludiert sind. Das LSG muss daher unter Außerachtlassung dieser Unterlagen erneut über den Vergütungsanspruch des Krankenhauses entscheiden.

1. Wie der Senat bereits entschieden hat, enthält § 7 Abs 2 Satz 2 bis 4 PrüfvV 2014 eine materielle Präklusionsregelung mit der Rechtsfolge, dass konkret bezeichnete Unterlagen, die der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) im Rahmen eines ordnungsgemäßen Prüfverfahrens angefordert, das Krankenhaus aber nicht innerhalb der Frist von vier Wochen vorgelegt hat, auch in einem späteren Gerichtsverfahren nicht mehr zur Begründung des Vergütungsanspruchs berücksichtigt werden dürfen. Der SMD nimmt insoweit für die KK die Aufgaben des MDK wahr (§ 283 SGB V; seit 1.1.2020 § 283a SGB V idF durch das Gesetz für bessere und unabhängigere Prüfungen MDK-Reformgesetz> vom 14.12.2019, BGBl I 2789). Die präkludierten Unterlagen sind als Beweismittel endgültig ausgeschlossen. Dies ist auch von der Ermächtigungsgrundlage in § 17c Abs 2 KHG (idF des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15.7.2013, BGBl I 2423) getragen und mit dem GG vereinbar (siehe dazu im Einzelnen BSG vom 18.5.2021 - B 1 KR 32/20 R - juris; BSG vom 18.5.2021 - B 1 KR 24/20 R - juris).

2. Die PrüfvV 2014 ist entgegen der Ansicht des Krankenhauses auch nicht deshalb insgesamt unwirksam, weil die für die Entscheidung der KK über die Wirtschaftlichkeit oder die Korrektur der Abrechnung geltende Ausschlussfrist gemäß § 8 Satz 3 und 4 PrüfvV 2014 nicht von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist und/oder gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstößt. § 8 Satz 3 und 4 PrüfvV 2014 dienen ebenso wie die Regelungen des § 7 Abs 2 PrüfvV der Beschleunigung und Konzentration des Prüfverfahrens und sind insofern ebenfalls durch die Ermächtigung des § 17c Abs 2 KHG, "das Nähere zum Prüfverfahren" zu regeln, gedeckt (vgl BSG vom 18.5.2021 - B 1 KR 32/20 R - juris RdNr 31; BSG vom 18.5.2021 - B 1 KR 24/20 R - juris RdNr 33; ferner BSG vom 3.7.2012 - B 1 KR 16/11 R - SozR 4-2500 § 129 Nr 7 RdNr 15). Sie schaffen einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Interesse der KK sowie der Versichertengemeinschaft an der Durchsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebots und einem zügigen Abschluss des Prüfverfahrens und damit der Rechtssicherheit (vgl entsprechend zu § 7 Abs 2 PrüfvV BSG vom 18.5.2021 - B 1 KR 32/20 R - juris RdNr 24; BSG vom 18.5.2021 - B 1 KR 24/20 R - juris RdNr 26). Dass der Gesetzgeber unter bestimmten Voraussetzungen dem Interesse an der Beschleunigung des Prüfverfahrens den Vorrang vor den Interessen der Versichertengemeinschaft an einer Abwehr unberechtigter Vergütungsansprüche einräumt, belegen im Übrigen auch die Regelungen des § 275 Abs 1c SGB V in der hier noch maßgeblichen Fassung des Gesetzes zum ordnungspolitischen Rahmen der Krankenhausfinanzierung ab dem Jahr 2009 vom 17.3.2009...

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