Urteil Nr. B 10 EG 1/20 R des Bundessozialgericht, 2022-03-24

Judgment Date24 Marzo 2022
ECLIDE:BSG:2022:240322UB10EG120R0
Judgement NumberB 10 EG 1/20 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 27. März 2019 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über Bemessungsgrundlage und Höhe des Elterngelds der Klägerin.

Die 1980 geborene Klägerin stand vom 31.8.2013 bis zum 29.2.2016 bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) als Entwicklungshelferin in Jordanien unter Vertrag. Während der Vertragszeit erhielt sie Leistungen nach dem Entwicklungshelfer-Gesetz (EhfG).

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) bewilligte der Klägerin zunächst Arbeitslosengeld für ehemalige Entwicklungshelfer nach einem fiktiven Bemessungsentgelt der Qualifikationsgruppe 1 (Hochschul- oder Fachhochschulausbildung).

Am 28.4.2016 gebar die Klägerin eine Tochter. Vom 12.3.2016 bis zum 23.6.2016 erhielt sie Mutterschaftsgeld iHv kalendertäglich 42,95 Euro. Die BA hob deshalb die Arbeitslosengeld-Bewilligung ab dem 12.3.2016 auf.

Auf ihren Antrag bewilligte die beklagte Stadt der Klägerin mit Bescheid vom 4.8.2016 Elterngeld für die ersten zwölf Lebensmonate ihrer Tochter (vom 28.4.2016 bis zum 27.4.2017) in Höhe des Mindestbetrags von 300 Euro unter Anrechnung des Mutterschaftsgelds.

Mit ihrem Widerspruch reichte die Klägerin Abrechnungen über das steuerpflichtige Unterhaltsgeld für Entwicklungshelfer ein, das sie vor der Geburt ihrer Tochter bezogen hatte. Zugleich verlangte sie, das Bemessungseinkommen für ihr Elterngeld in entsprechender Anwendung der Berechnungsvorschriften für das Arbeitslosengeld von Entwicklungshelfern nach einem fiktiven Einkommen der Qualifikationsgruppe 1 zu bestimmen. Sie habe ein Diplom in Wirtschaftsrecht an der Fachhochschule Berlin sowie einen Master of Science an der Fachhochschule Köln und der Jordan University erworben.

Daraufhin legte die Beklagte mit Abhilfebescheid vom 5.5.2017 der Elterngeldbemessung das Unterhaltsgeld zugrunde und änderte die Elterngeldbewilligung auf null Euro für den ersten Lebensmonat, 74,08 Euro für den zweiten und 574,27 Euro für den dritten bis zwölften Lebensmonat. Den darüber hinausgehenden Widerspruch der Klägerin wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 2.6.2017).

Das SG hat die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin für den Bezugszeitraum monatlich weitere 37,67 Euro Elterngeld unter Anrechnung des Mutterschaftsgelds zu gewähren, weil die Beklagte zu Unrecht Abzüge für Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung vorgenommen habe. Für die Klägerin habe während der Tätigkeit als Entwicklungshelferin Versicherungsschutz gegen Krankheit durch eine Gruppenversicherung bei einem privaten Versicherungsunternehmen bestanden. Die weitergehende, auf Elterngeld nach einem höheren fiktiven Bemessungsentgelt in entsprechender Anwendung der Berechnungsvorschriften für das Arbeitslosengeld von Entwicklungshelfern gerichtete Klage hat das SG abgewiesen, weil es dafür an der erforderlichen planwidrigen Regelungslücke fehle (Urteil vom 21.6.2018).

Die Berufung der Klägerin hat das LSG ebenfalls mit Hinweis auf das Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke bei der Bemessung des Elterngelds für Entwicklungshelfer zurückgewiesen. Die Berechnung des Elterngelds auf Grundlage des Unterhaltsgelds verstoße nicht gegen das GG (Urteil vom 27.3.2019).

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts. Das ihr gezahlte Unterhaltsgeld könne nicht als Einkommen aus Erwerbstätigkeit iS des BEEG gelten. Der Entwicklungsdienst werde ohne Erwerbsabsicht geleistet, was sich in der geringen Höhe des Unterhaltsgelds widerspiegele. Die Berechnung des Elterngelds unter Zugrundelegung eines höheren fiktiven Einkommens in entsprechender Anwendung der Berechnungsvorschriften für das Arbeitslosengeld von Entwicklungshelfern sei sachgerecht. Neben dem BEEG enthalte auch das EhfG eine planwidrige Regelungslücke. Die Berechnung des Elterngelds für Entwicklungshelfer auf Grundlage des Unterhaltsgelds verstoße gegen Art 3 Abs 1 GG und Art 6 Abs 1 und 2 GG. Es gebe keine sachlichen Gründe für eine Schlechterstellung von Entwicklungshelfern, die vor der Geburt eines Kindes im Interesse der Allgemeinheit tätig gewesen seien, gegenüber Eltern, die einen Beruf entsprechend ihrer Qualifikation ausgeübt hätten, ohne einen Dienst für die Gemeinschaft zu verrichten. Nicht zu rechtfertigen sei auch die Besserstellung von Entwicklungshelfern, die nach ihrem Entwicklungsdienst kein Eltern-, sondern Arbeitslosengeld bezögen.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 27. März 2019 aufzuheben und das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 21. Juni 2018 zu ändern und die Beklagte unter Änderung ihres Bescheids vom 4. August 2016 in der Gestalt des Teilabhilfebescheids vom 5. Mai 2017 und des Widerspruchsbescheids vom 2. Juni 2017 zu verurteilen, ihr Elterngeld für den ersten bis zwölften Lebensmonat ihrer am 28. April 2016 geborenen Tochter in Höhe von monatlich 1800 Euro unter Anrechnung des in den ersten beiden Lebensmonaten des Kindes bezogenen Mutterschaftsgelds zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene LSG-Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höheres Elterngeld. Zu Recht wurde das Elterngeld nach dem von ihr zuletzt vor der Geburt ihres Kindes (28.4.2016) bezogenen Unterhaltsgeld für Entwicklungshelfer berechnet. Eine Berechnung unter Zugrundelegung eines höheren fiktiven Einkommens in entsprechender Anwendung der Bemessungsvorschriften für das Arbeitslosengeld von Entwicklungshelfern kann sie nicht beanspruchen.

A. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Anspruch der Klägerin auf höheres Elterngeld iHv monatlich 1800 Euro unter Anrechnung des ihr gewährten Mutterschaftsgelds, soweit ihn der Beklagte mit Bescheid vom 4.8.2016 in Gestalt des Abhilfebescheids vom 5.5.2017 und des Widerspruchsbescheids vom 2.6.2017 (§ 95 SGG) versagt hat. Hiergegen wendet sie sich zulässigerweise im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG).

B. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höheres Elterngeld. Ihr Anspruch richtet sich nach dem BEEG grundsätzlich in der hier maßgeblichen ab 1.1.2015 geltenden Fassung des Gesetzes zur Einführung des Elterngeld Plus mit Partnerschaftsbonus und einer flexibleren Elternzeit im BEEG vom 18.12.2014 (BGBl I 2325).

Die Klägerin war dem Grunde nach zum Bezug von Elterngeld berechtigt (dazu unter 1.). Die Beklagte hat der Berechnung des Elterngelds mit dem Unterhaltsgeld das zutreffende Bemessungseinkommen zugrunde gelegt (dazu unter 2.). Die Klägerin kann nicht beanspruchen, wegen ihres Status als ehemalige Entwicklungshelferin Elterngeld unter Zugrundelegung eines fiktiven Einkommens in entsprechender Anwendung der Bemessungsvorschriften für das Arbeitslosengeld von Entwicklungshelfern nach der Qualifikationsgruppe I (Hochschul- oder Fachhochschulausbildung) zu erhalten (dazu unter 3.). Gegen dieses Ergebnis bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (dazu unter 4.).

1. Der Klägerin steht dem Grunde nach Elterngeld für die ersten zwölf Lebensmonate ihrer Tochter (28.4.2016 bis 27.4.2017) zu. Sie erfüllt die Grundvoraussetzungen des Elterngeldanspruchs nach § 1 Abs 1 Satz 1 BEEG. Wie in § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 bis 4 BEEG vorausgesetzt, hatte die Klägerin nach den für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) im Bezugszeitraum des Elterngelds ihren Wohnsitz in Deutschland, lebte in einem Haushalt mit der von ihr selbst betreuten und erzogenen Tochter und übte im Bezugszeitraum keine volle Erwerbstätigkeit iS von § 1 Abs 4 BEEG (idF des Gesetzes vom 18.12.2014, aaO) aus.

2. Als Bemessungseinkommen für das Elterngeld der Klägerin haben die Beklagte und die Vorinstanzen zutreffend das ihr als Entwicklungshelferin im Bemessungszeitraum gezahlte steuerpflichtige Unterhaltsgeld herangezogen.

a) Die Bemessungsgrundlage des Elterngelds bildet nach § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG das "Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes". Das maßgebliche Einkommen aus Erwerbstätigkeit der Klägerin errechnet sich gemäß § 2 Abs 1 Satz 3 Nr 1 BEEG nach Maßgabe der §§ 2c bis 2f BEEG aus der um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben verminderten "Summe der positiven Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit nach § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 4 EStG".

b) Bei dem der Klägerin nach § 4 Abs 1 Nr 1 EhfG als Geldleistung gezahlten Unterhaltsgeld handelt es sich um eine Einkunft aus nichtselbstständiger Arbeit nach § 2 Abs 1 Satz 3 Nr 1 BEEG iVm § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 4, § 19 Abs 1 Satz 1 Nr 1 EStG. Denn die Klägerin hat während ihrer Tätigkeit als Entwicklungshelferin im Dienst der GIZ nichtselbstständige Arbeit im Sinne dieser Bestimmungen verrichtet (dazu unter aa) und dafür Unterhaltsgeld als Einkunft bezogen (dazu unter bb), das auch nicht wegen ihres Auslandsaufenthalts steuerfrei war (dazu unter cc).

aa) Für die Einstufung einer Tätigkeit als nichtselbstständige Arbeit iS von § 2 Abs 1 Satz 3 Nr 1 BEEG iVm § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 4, § 19 Abs 1 Satz 1 Nr 1 EStG kann auf die Definitionen in § 1 Abs 1 und 2 Lohnsteuerdurchführungsverordnung (LStDV) (iVm § 51 Abs 1 Nr 1 Buchst a EStG) zurückgegriffen werden (vgl Brose in Brose/Weth/Volk, MuSchG, BEEG, 9. Aufl 2020, § 2 BEEG RdNr 28; BFH Urteil vom 11.7.2018 - I R 44/16 - juris RdNr 14; BFH Beschluss vom 11.8.2009 - VI B 46/08 - juris RdNr 3; BFH Urteil vom 18.1.1991 - VI R 122/87 - juris RdNr 22; Eisgruber in Kirchhof/Seer, EStG, 21. Aufl 2022, § 19 EStG RdNr 1a). Denn bei der Bestimmung des elterngeldrechtlichen Einkommensbegriffs hat der Gesetzgeber von Anfang an ein steuerrechtsakzessorisches Regelungskonzept gewählt und dieses im Verlauf der Zeit wiederholt ausdrücklich bestätigt. Darauf hat der Senat bereits mehrfach hingewiesen (vgl zB BSG Urteil vom 25.6.2020 - B 10 EG 3/19...

Um weiterzulesen

FORDERN SIE IHR PROBEABO AN

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT