Urteil Nr. B 11 AL 14/18 R des Bundessozialgericht, 2019-06-27

Judgment Date27 Junio 2019
ECLIDE:BSG:2019:270619UB11AL1418R0
Judgement NumberB 11 AL 14/18 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs - mehrere Sperrzeiten wegen Arbeitsablehnung - Nichtbewerbung nach mehreren Vermittlungsvorschlägen - keine ausreichend konkreten Rechtsfolgenbelehrungen - keine Angabe der unmittelbaren und konkreten Auswirkung der Weigerung ohne wichtigen Grund - Individualisierung
Leitsätze

Der Eintritt einer zweiten und dritten Sperrzeit bei Arbeitsablehnung mit einer Dauer von sechs oder zwölf Wochen setzt voraus, dass der Arbeitslose vorab über die jeweiligen individuellen leistungsrechtlichen Folgen der jeweiligen Pflichtverletzung belehrt worden ist.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 1. Februar 2018 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Revisionsverfahren (noch) um die Aufhebung der Bewilligung von Alg wegen des Eintritts von zwei Sperrzeiten vom 10.6.2013 bis 21.7.2013 und 22.7.2013 bis 13.10.2013, die Minderung der Dauer des Anspruchs auf Alg um 42 Tage bzw 84 Tage und eine Erstattungsforderung der Beklagten.

Nach Beendigung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Lackierer bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg für die Zeit vom 1.5.2013 bis 30.4.2014 (Bescheid vom 15.5.2013, Änderungsbescheid vom 3.8.2013). Am 19.5.2013 übersandte sie ihm einen Vermittlungsvorschlag für eine Tätigkeit als Fahrzeuglackierer und forderte ihn auf, sich umgehend zu bewerben. Dem Vermittlungsvorschlag war eine Rechtsfolgenbelehrung beigefügt, die auszugsweise wie folgt lautete:

"Wenn Sie ohne wichtigen Grund die Ihnen angebotene Beschäftigung nicht annehmen oder - nicht antreten - oder - das Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses durch Ihr Verhalten verhindern (z.B. indem Sie sich nicht vorstellen), tritt eine Sperrzeit ein (Sperrzeit bei Arbeitsablehnung, § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB. III). Sie dauert längstens zwölf Wochen. Die Sperrzeit dauert drei Wochen bei erstmaligem versicherungswidrigen Verhalten (§ 159 Abs. 4 Nr. 1 SGB III), sechs Wochen bei dem zweiten versicherungswidrigen Verhalten (§ 159 Abs. 4 Nr. 2 SGB III). Ein versicherungswidriges Verhalten in diesem Sinne liegt vor, wenn Sie eine Arbeit oder berufliche Eingliederungsmaßnahme nach ihrer persönlichen Arbeitsuchendmeldung abgelehnt oder eine berufliche Eingliederungsmaßnahme abgebrochen haben."

Der Kläger bewarb sich nicht und begründete dies damit, dass es sich um eine Teilzeitbeschäftigung handele. Am 28.5.2013 und am 16.7.2013 übersandte die Beklagte ihm weitere Vermittlungsvorschläge für Tätigkeiten als Industrielackierer bzw als Helfer im Fahrzeugbau. Den Vorschlägen war die zuvor bezeichnete Rechtsfolgenbelehrung beigefügt. Der Kläger teilte der Beklagten am 31.5.2013 und am 24.7.2013 mit, er habe sich nicht beworben, weil das jeweilige Angebot nicht seinen Interessen und Fähigkeiten bzw das Berufsbild nicht seinem Profil und der Lohn nicht seinen Vorstellungen entspräche.

Wegen fehlender Bewerbung auf den ersten Vermittlungsvorschlag vom 19.5.2013 hob die Beklagte die Bewilligung von Alg vom 20.5.2013 bis zum 9.6.2013 auf, weil der Anspruch auf Alg wegen des Eintritts einer dreiwöchigen Sperrzeit bei Arbeitsablehnung ruhe (bindender Bescheid vom 8.8.2013). Auch für die Zeiträume vom 10.6.2013 bis 21.7.2013 und vom 22.7.2013 bis 13.10.2013 hob sie die Bewilligung jeweils wegen eines Ruhens des Anspruchs auf Alg auf Grund eines Sperrzeitsachverhalts auf. Die Sperrzeiten minderten seinen Anspruch auf Alg um 42 Tage bzw 84 Tage. Da es sich um das zweite bzw dritte versicherungswidrige Verhalten handele, dauerten die Sperrzeiten sechs bzw zwölf Wochen (Bescheide vom 12.8.2013). Mit weiteren Bescheiden vom 12.8.2013 stellte die Beklagte das Erlöschen des Alg-Anspruchs ab dem 21.7.2013 fest, hob die Bewilligung ab 21.7.2013 insgesamt auf und forderte die Erstattung des für den Zeitraum vom 10.6.2013 bis 31.7.2013 gezahlten Alg in Höhe von 1066,92 Euro. Die Widersprüche des Klägers gegen sämtliche Bescheide hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheide vom 24.9.2013). Am 19.8.2013 nahm er erneut eine versicherungspflichtige Beschäftigung auf.

Das SG hat die Sperrzeitbescheide vom 12.8.2013 sowie die am selben Tag ergangenen Erlöschens- und Erstattungsbescheide, alle in der Fassung der Widerspruchsbescheide, aufgehoben (Urteil vom 17.2.2014). Zur Begründung hat es ausgeführt, den Vermittlungsvorschlägen vom 28.5.2013 und 16.7.2013 sei keine wirksame Rechtsfolgenbelehrung beigefügt gewesen. Die Belehrungen seien nicht konkret gewesen, weil sie dem Kläger nicht zweifelsfrei erklärten, mit welchen Rechtsfolgen er zu rechnen habe, falls er ohne wichtigen Grund den Aufforderungen nicht nachkomme. Sie erschöpften sich in der sinngemäßen Wiedergabe des Gesetzestextes. Unabhängig hiervon habe der Kläger kein zweites bzw drittes versicherungswidriges Verhalten verwirklicht, weil dieses in gleicher Weise wie im Bereich des SGB II ein gestuftes Verfahren mit den vorangegangenen Sperrzeiten umsetzenden Bescheiden voraussetze. Das LSG hat die Berufung der Beklagten, die sich nicht gegen die Aufhebung des Erlöschensbescheids wendet, zurückgewiesen. Es hat ergänzend ausgeführt, die Formulierung in der Rechtsfolgenbelehrung, wonach die Sperrzeit "längstens zwölf Wochen" dauere, suggeriere einen tatsächlich nicht vorhandenen Ermessensspielraum (Urteil vom 1.2.2018).

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 159 Abs 1 Satz 1 iVm Satz 2 Nr 2 SGB III. Die streitige Rechtsfolgenbelehrung entspreche den vom BSG formulierten Anforderungen. Ihr sei zu entnehmen, dass der Hinweis auf die zwölfwöchige Sperrzeit nur für den Fall der dritten Arbeitsablehnung gelte. Es sei nicht notwendig, vor Erlass eines Bescheides über die Feststellung des Eintritts einer dritten Sperrzeit einen Bescheid über den Eintritt einer zweiten Sperrzeit zu erlassen. Auch der Beginn der Sperrzeiten sei zutreffend festgelegt.

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Sächsischen Landessozialgerichts vom 1. Februar 2018 und des Sozialgerichts Chemnitz vom 17. Februar 2014, soweit damit nicht der Erlöschensbescheid vom 12. August 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2013 aufgehoben worden ist, aufzuheben und die Klagen insoweit abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten hat im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung Erfolg (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind neben den Entscheidungen der Vorinstanzen zunächst die Bescheide vom 12.8.2013 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 24.9.2013, mit denen die Beklagte wegen des Eintritts einer sechs- und einer zwölfwöchigen Sperrzeit das bewilligte Alg zum Teil rückwirkend aufgehoben und die Dauer des Anspruchs auf Alg entsprechend gemindert hat, sowie die ebenfalls am 12.8.2013 ergangenen Änderungsbescheide über die Leistungsberechnung unter Berücksichtigung der Sperrzeiten, die mit den vorgenannten Bescheiden eine rechtliche Einheit darstellen (vgl BSG vom 4.4.2017 - B 11 AL 19/16 R - SozR 4-4300 § 144 Nr 25 RdNr 15 mwN). Weiter einbezogen ist der Erstattungsbescheid vom 12.8.2013, nicht hingegen der vom SG aufgehobene Erlöschensbescheid vom 12.8.2013.

Der Kläger greift die Bescheide vom 12.8.2013 zu Recht mit isolierten Anfechtungsklagen an (§ 54 Abs 1, § 56 SGG). Auf Grund der zuvor mit dem Bescheid vom 15.5.2013 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 3.8.2013 erfolgten bindenden Bewilligung von Alg für die hier streitbefangenen Zeiträume bedurfte es keiner damit verbundenen Leistungsklage hinsichtlich der Bewilligung von Alg für die Zeiträume der festgestellten Sperrzeiten (vgl BSG vom 3.5.2018 - B 11 AL 2/17 R - Soz...

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