Urteil Nr. B 12 KR 18/18 R des Bundessozialgericht, 2020-07-07

Judgment Date07 Julio 2020
ECLIDE:BSG:2020:070720UB12KR1818R0
Judgement NumberB 12 KR 18/18 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 27. November 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Erhebung und Erstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV) auf die Kapitalleistung einer Lebensversicherung für die Zeit von August 2011 bis März 2015 streitig.

Der am 15.3.1950 geborene Kläger war in der Zeit vom 1.8.2011 bis zum 31.3.2013 als Beschäftigter in Altersteilzeit und anschließend bis zum 31.3.2015 in der Krankenversicherung der Rentner bei der beklagten Krankenkasse kranken- und der beigeladenen Pflegekasse pflegeversichert. Neben seiner Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) bezieht er eine Betriebsrente.

Die frühere Arbeitgeberin des Klägers schloss zum 1.7.1988 für ihn eine Lebensversicherung als Direktversicherung innerhalb eines Gruppenversicherungsvertrags auf den Todes- und Erlebensfall ab (Nr 6). Während nach einer Bescheinigung des Versicherers vom 23.10.1990 die Versicherung am 1.7.2010 enden sollte, sieht eine weitere Bescheinigung vom 22.3.1999 den 1.7.2015 als Ablauftag vor, wobei die Versicherungsleistung bereits in den letzten fünf Jahren vor Ablauf abgerufen werden könne. Versicherungsnehmerin war bis zur Auszahlung der Kapitalleistung in Höhe von 58 390,07 Euro an den Kläger am 1.7.2011 seine Arbeitgeberin.

Die beklagte Krankenkasse setzte - auch im Namen der beigeladenen Pflegekasse - für die Zeit ab 1.8.2011 Beiträge zur GKV und sPV in Höhe von insgesamt 84,91 Euro monatlich fest. Dabei legte sie 1/120 des ausgezahlten Kapitalbetrags zugrunde (Bescheid vom 25.8.2011). Für die Zeit ab 1.4.2013 wurden monatliche Beiträge zur GKV und sPV in Höhe von insgesamt 176,65 Euro erhoben (Bescheid vom 22.5.2013). Den nach Zurückweisung des Widerspruchs (Widerspruchsbescheid vom 30.10.2013) gestellten Antrag des Klägers auf Überprüfung der Beitragsfestsetzung und Erstattung bereits gezahlter Beiträge lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 29.3.2014, Widerspruchsbescheid vom 14.8.2014).

Das SG Lüneburg hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 12.5.2017). Das LSG Niedersachsen-Bremen hat die Berufung zurückgewiesen. Bei der Lebensversicherung aufgrund eines Gruppenversicherungsvertrags handele es sich unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG und des BVerfG um eine in der GKV und sPV beitragspflichtige betriebliche Altersversorgung. Die Kapitalleistung beruhe auf einer Direktversicherung, deren Versicherungsnehmerin die Arbeitgeberin des Klägers gewesen sei. Damit komme es auf von einem Arbeitnehmer gezahlte Versicherungsprämien nicht an. Die Lebensversicherung stehe im Zusammenhang mit der früheren Beschäftigung des Klägers und habe Entgeltersatzfunktion. Der vorzeitige Abruf der Leistung durch den Kläger ändere daran ebenso wenig wie ein Ablaufdatum zum 1.7.2010 (Urteil vom 27.11.2018).

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG), der § 237 Abs 1 Satz 1 Nr 2, § 226 Abs 1 Satz 1 Nr 3 und § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 5 und Satz 3 SGB V sowie des Art 3 Abs 1 GG. Die ihn in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG unterstützende Person habe sich nicht hinreichend äußern können. Bei der 1988 vereinbarten Direktversicherung handele es sich nicht um betriebliche Altersversorgung, sondern um eine besondere Form der Abgeltung für übertariflich geleistete Mehrarbeit. Die bereits 2011 während der Freistellungsphase ausgezahlte Kapitalleistung habe nicht der Versorgung, sondern der Überbrückung in den Ruhestand gedient. Es fehle am zeitlichen Zusammenhang zwischen Auszahlung der Versicherungssumme und seinem Eintritt in die Rente erst am 1.4.2013 und damit auch an der notwendigen Einkommensersatzfunktion. Vergleichbar einem Wertguthaben habe er durch "Lohnverzicht" erworbene Leistungen lange vor Erreichen der Regelaltersgrenze abgerufen. Zudem setzte eine betriebliche Altersversorgung das Vorliegen der Voraussetzungen des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz - BetrAVG) voraus. Die Arbeitgeberin habe aber weder eine Zusage im Sinne des BetrAVG erteilt noch eine Haftung übernommen. Auch sehe das BetrAVG eine betriebliche Altersversorgung frühestens mit Beginn einer Altersrente der GRV vor. Ungeachtet dessen seien bereits für die Versicherungsprämien Beiträge zur Sozialversicherung - soweit sein Verdienst nicht ohnehin die Beitragsbemessungsgrenze überschritten habe - und pauschale Steuern entrichtet worden. Wegen der oberhalb der Entgeltgrenze erzielten Arbeitseinkünfte habe er in seiner aktiven Phase nicht von der Beitragsfreiheit in der GKV und sPV profitiert. Riesterrenten seien in der Auszahlungsphase hingegen beitragsfrei. Auch werde er gegenüber Beziehern einer nur zur Hälfte beitragspflichtigen Rente der sogenannten zweiten Schweizer Säule ungerechtfertigt schlechter behandelt. Die ausgezahlte Kapitalleistung sei auch nicht iS des § 229 Abs 1 Satz 3 SGB V an die Stelle einer Rentenzahlung getreten.

Betreffend die Höhe der Beiträge zur sPV für April 2013 hat die Beklagte ein Teilanerkenntnis abgegeben, das der Kläger angenommen hat.

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 27. November 2018 und des Sozialgerichts Lüneburg vom 12. Mai 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. August 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 25. August 2011 insgesamt sowie den Bescheid vom 22. Mai 2013, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Oktober 2013, sowie in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 8. Juli 2020 insoweit zurückzunehmen, als auf die Kapitalleistung der A Lebensversicherungs (Nr 6) Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung festgesetzt worden sind, sowie die insoweit für die Zeit vom 1. August 2011 bis zum 31. März 2015 gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat verfahrensfehlerfrei (dazu A.) hinsichtlich des nicht durch die Annahme des Teilanerkenntnisses erledigten Rechtsstreits (§ 101 Abs 2 SGG) dessen Berufung gegen das die Klage abweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 29.3.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.8.2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Sie hat es zu Recht abgelehnt, ihre über das Teilanerkenntnis hinausgehende Beitragsfestsetzung in den Bescheiden vom 25.8.2011 und 22.5.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.10.2013 zurückzunehmen, soweit die Kapitalleistung der A Lebensversicherungs betroffen ist (dazu B.).

A. Der Kläger hat die geltend gemachte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) nicht hinreichend dargelegt. Es sind nicht alle Tatsachen bezeichnet, die den Verfahrensmangel ergeben sollen (vgl § 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Das Vorbringen, eine den Kläger als Beistand unterstützende Person habe sich in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG nicht umfassend äußern dürfen, genügt hierfür nicht. Es fehlt bereits an Ausführungen dazu, welche entscheidungserheblichen Umstände der Beistand ohne die gerügte Gehörsverletzung noch vorgetragen hätte.

B. Die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X für eine (weitere) Rücknahme der Beitragsfestsetzung in den Bescheiden vom 25.8.2011 und 22.5.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.10.2013 liegen nicht vor. Die Beklagte hat weder das Recht unrichtig angewandt noch einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde gelegt und deshalb zu Unrecht Beiträge erhoben. Die Beitragsfestsetzung - auch im...

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