Urteil Nr. B 12 R 4/21 R des Bundessozialgericht, 2023-03-13

Judgment Date13 Marzo 2023
ECLIDE:BSG:2023:130323UB12R421R0
Judgement NumberB 12 R 4/21 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. Februar 2021 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 18 850,82 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beigeladene zu 1. (im Folgenden: der Beigeladene) in seiner Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung in der Zeit vom 1.1.2013 bis zum 31.8.2014 unterlag.

Die klagende GmbH wurde mit notariell beurkundetem Gesellschaftsvertrag vom 2.10.1997 durch den Beigeladenen mit einer Stammeinlage iHv 24 500 DM, dessen Sohn mit einer Stammeinlage iHv 25 000 DM und eine dritte Person mit einer Stammeinlage iHv 500 DM errichtet. Entsprechende Angaben enthält auch die in das Handelsregister aufgenommene Gesellschafterliste vom selben Tag. Nach dem Gesellschaftsvertrag sind Beschlüsse grundsätzlich mit einfacher Mehrheit zu fassen und gewähren je 500 DM eines Geschäftsanteils eine Stimme.

Der Beigeladene war bis zum 31.8.2014 zum einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführer bestellt. Nach seinem "Anstellungsvertrag" mit der Klägerin vom 10.11.2006 (AV) war er ua von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Bei Geschäften "schwerwiegender Art" hatte er vor Abschluss die vorherige Einwilligung der Gesellschafterversammlung einzuholen. Ihm oblagen die Leitung und Überwachung des Gesamtunternehmens, unbeschadet gleicher Rechte und Pflichten etwaiger anderer Geschäftsführer. Er hatte nach jeder Veränderung in den Personen der Gesellschafter oder des Umfangs ihrer Beteiligungen unverzüglich eine von ihm unterschriebene Liste der Gesellschafter nach Maßgabe des § 40 Abs 1 GmbHG im Handelsregister einzureichen. Für seine Tätigkeit erhielt er eine feste monatliche Vergütung und darüber hinaus eine Tantieme iHv 25 vH des Steuerbilanzgewinns der Gesellschaft.

Bereits mit notarieller Urkunde vom 2.10.1997 verkaufte der dritte Gesellschafter seinen zukünftigen Geschäftsanteil von 500 DM an den Beigeladenen, wobei die Abtretung mit der Eintragung der GmbH im Handelsregister (29.1.1998) wirksam werden sollte. Aufgrund der Übertragung dieses Geschäftsanteils wurde keine neue Gesellschafterliste beim Handelsregister hinterlegt. Der Geschäftsanteil wurde - wie in einer notariellen Urkunde aus dem Jahr 2018 festgehalten - in der Folgezeit versehentlich dem Sohn des Beigeladenen zugeordnet. Notarielle Urkunden aus den Jahren 2007 und 2008 sowie - über die Umstellung (und Erhöhung) des Stammkapitals von 50 000 DM auf 26 000 Euro - 2014 legten ausdrücklich einen Anteil des Beigeladenen in Höhe von 24 500 DM bzw 12 740 Euro - dh von jeweils 49 vH - zugrunde. Entsprechende Angaben zu den unterschiedlichen Gesellschaftsanteilen enthalten auch noch die ins Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterlisten vom 28.8.2014 und 17.12.2015.

Nach einer Betriebsprüfung im Jahr 2017 forderte die Beklagte Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen iHv 18 850,82 Euro. Als Gesellschafter-Geschäftsführer mit einer Kapitalbeteiligung von 49 vH sei der Beigeladene in der geprüften Zeit ab 1.1.2013 bis zum Ende seiner Geschäftsführertätigkeit am 31.8.2014 aufgrund eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses versicherungspflichtig in der GRV und nach dem Recht der Arbeitsförderung gewesen (Bescheid vom 21.8.2017; Widerspruchsbescheid vom 29.10.2018). Das SG hat die Verwaltungsentscheidung aufgehoben. Der Beigeladene sei nach der Übertragung des Geschäftsanteils iHv 500 DM zu insgesamt 50 vH an der Gesellschaft beteiligt und damit selbstständig tätig gewesen. Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der AV enthalte typische Merkmale einer abhängigen Beschäftigung. Der Beigeladene habe entsprechend der im streitigen Zeitraum allein vorliegenden Gründergesellschafterliste von 1997 nur über eine Kapitalbeteiligung von 49 vH und damit über keine hinreichende Rechtsmacht verfügt, die Geschicke der GmbH zu bestimmen. Nach § 16 Abs 1 GmbHG in der ab 1.11.2008 geltenden Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG; BGBl I 2026) sei die Gesellschafterliste vom 2.10.1997 für den Rechtsverkehr maßgebend, ohne dass es auf die wahre Berechtigung des Beigeladenen ankomme. Der Gesetzeszweck der Transparenz und das Kriterium der Rechtssicherheit sprächen für die strenge Anwendung des Listensystems auf alle existierenden - auch vor Inkrafttreten des § 16 GmbHG am 1.11.2008 eingereichte und gegebenenfalls falsche - Listen (Urteil vom 17.2.2021).

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 16 Abs 1 Satz 1 GmbHG. Aufgrund der maßgeblichen materiellen Rechtslage habe der Beigeladene im streitgegenständlichen Zeitraum über 50 vH der Stimmanteile an der Klägerin und deshalb über eine die abhängige Beschäftigung ausschließende Rechtsmacht verfügt. Die Gesetzesänderung des § 16 GmbHG zum 1.11.2008 sei auf alte Gesellschafterlisten nicht anwendbar und berühre daher die nach früherer Rechtslage durch die ordnungsgemäße Anmeldung erworbene relative Gesellschafterstellung des Beigeladenen nicht. Dass nur für den gutgläubigen Erwerb nach § 16 Abs 3 GmbHG eine Übergangsregelung geschaffen worden sei, spreche dafür, dass der Gesetzgeber eine Erstreckung des § 16 Abs 1 GmbHG auf Altfälle nicht gewollt habe. Ansonsten würde durch die Fiktion des § 16 Abs 1 GmbHG die bereits erworbene relative Gesellschafterstellung entfallen; dies verstoße gegen das verfassungsrechtliche Verbot der echten Rückwirkung von Gesetzen. Aufgrund der Vielzahl nicht korrekter alter Gesellschafterlisten würde dies außerdem zu einer inakzeptablen Rechtsunsicherheit führen.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. Februar 2021 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 10. März 2020 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat zu Recht auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 21.8.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.10.2018 abgewiesen. Die angefochtene Verwaltungsentscheidung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Beigeladene unterlag vom 1.1.2013 bis zum 31.8.2014 in seiner Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in der GRV und nach dem Recht der Arbeitsförderung.

Rechtsgrundlage für die Feststellung der Versicherungspflicht und der Beitragsforderung ist § 28p Abs 1 Satz 1 und 5 SGB IV idF der Bekanntmachung vom 12.11.2009 (BGBl I 3710). Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen, insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre (Satz 1). Sie erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern (Satz 5). Ausgehend von den zu § 7 SGB IV geltenden Maßstäben (dazu 1.) unterlag der Beigeladene in seiner Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin aufgrund Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt der Versicherungspflicht in den hier streitigen Zweigen der Sozialversicherung (dazu 2.). Die Beklagte hat deshalb zu Recht die geforderten Beiträge und Umlagen festgesetzt (dazu 3.).

1. Im streitigen Zeitraum unterlagen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt waren, der Versicherungspflicht in der GRV sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI idF des Gesetzes zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung vom 24.4.2006, BGBl I 926 sowie § 25 Abs 1 Satz 1 SGB III). Nach § 7 Abs 1 SGB IV (idF der Bekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710) ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer von der Arbeitgeberin persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht der Arbeitgeberin unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmensrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Diese Abgrenzungsmaßstäbe gelten grundsätzlich auch für Geschäftsführer einer GmbH (stRspr; vgl BSG Urteil vom 1.2.2022 - B 12 KR 37/19 R - BSGE 133, 245 = SozR 4-2400 § 7 Nr 61, RdNr 12 mwN).

Ist ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft das wesentliche Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger...

Um weiterzulesen

FORDERN SIE IHR PROBEABO AN

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT