Urteil Nr. B 14 AS 3/19 R des Bundessozialgericht, 2020-02-20

Judgment Date20 Febrero 2020
ECLIDE:BSG:2020:200220UB14AS319R0
Judgement NumberB 14 AS 3/19 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Erstattung von Vorverfahrenskosten - Beratungshilfemandat - Aufrechnung durch ein Jobcenter mit Erstattungsforderungen - Verstoß gegen normatives Aufrechnungsverbot
Leitsätze

Die Aufrechnung von Kostenerstattungsansprüchen für Vorverfahren mit Erstattungsforderungen eines Jobcenters aufgrund der Überzahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II verstößt gegen ein normatives Aufrechnungsverbot.

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25. Januar 2019 aufgehoben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 30. August 2017 zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits für das Berufungs- und das Revisionsverfahren trägt der Beklagte.

Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 380,80 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Umstritten ist ein Kostenerstattungsanspruch gemäß § 63 SGB X nach Aufrechnung des beklagten Jobcenters.

Die Kläger - eine Rechtsanwältin und ein Rechtsanwalt - hatten eine Widerspruchsführerin gegenüber dem Beklagten vertreten, wofür Beratungshilfe bewilligt worden war. Der Beklagte hatte dem Widerspruch stattgegeben und sich bereit erklärt, die notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Außerdem hatte er die Zuziehung der Bevollmächtigten als notwendig verfügt (Bescheid vom 30.10.2014). Auf die Kostennote der Kläger erkannte der Beklagte die geltend gemachten 380,80 Euro als erstattungsfähig an. Außerdem erklärte er, er rechne mit gegenüber der Widerspruchsführerin bestehenden höheren Erstattungsforderungen auf und lehne daher eine Zahlung ab (Schreiben vom 14.1.2015).

Das SG hat den Beklagten zur Zahlung verurteilt und die Berufung zugelassen (Urteil vom 30.8.2017). Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben, die Klagen abgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 25.1.2019). Die Forderungen der Kläger seien nach allgemeinen zivilrechtlichen Aufrechnungsvorschriften erloschen. Der ursprünglich der Widerspruchsführerin zustehende Freistellungsanspruch sei gemäß § 9 Satz 2 des Gesetzes über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (BerHG) übergegangen. Dadurch seien die Forderungen gleichartig geworden und hätten gegeneinander aufgerechnet werden können.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger ua eine Verletzung des § 387 BGB. Der Beklagte habe die zu treffende Ermessensentscheidung nicht ausreichend begründet. Die Widerspruchsführerin sei zu keinem Zeitpunkt Inhaberin des Kostenerstattungsanspruchs gewesen. Die Schutzfunktion des § 9 Satz 2 BerHG zugunsten von Rechtsanwälten werde verkannt.

Die Kläger beantragen,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25. Januar 2019 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 30. August 2017 zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Die Kläger haben Anspruch auf Ausgleich ihrer Kostennote, weshalb das Urteil des LSG aufzuheben und mit der Zurückweisung der Berufung des Beklagten das zusprechende Urteil des SG wiederherzustellen ist.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen die Pflicht des Beklagten zur Zahlung von 380,80 Euro aus der Kostennote der Kläger. Dass die Geltendmachung eines Kostenausgleichs mit Anwaltsgebühren dem Grunde nach berechtigt war, ist nach den bestandskräftigen Entscheidungen über die Kostenlast (§ 63 Abs 1 Satz 1 SGB X) und die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten (§ 63 Abs 2, Abs 3 Satz 2 SGB X) nicht mehr zu prüfen.

Durch seinen Kostenfestsetzungsverwaltungsakt (§ 63 Abs 3 Satz 1 Halbsatz 1 SGB X) vom 14.1.2015 hat der Beklagte die geltend gemachten Kosten vollumfänglich anerkannt. Die vom LSG festgestellte Erklärung über die Erstattungsfähigkeit bezog sich auf die Kostennote über 380,80 Euro, auch die Höhe der Forderung der Kläger ist damit nicht im Streit.

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Streitigkeiten wegen der Kosten eines isolierten Vorverfahrens (§§ 78 ff SGG) sind keine Kosten des Verfahrens iS von § 144 Abs 4 SGG (stRspr; vgl BSG vom 12.12.2019 - B 14 AS 48/18 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Wegen der Höhe der Kostennote war die Berufung statthaft, nachdem sie das SG in seinem Urteil zugelassen hat (vgl § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG).

Zutreffende Klageart ist die echte Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG). Mit dieser Klageart kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hat. Leistung in diesem Sinne ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 54 RdNr 37; zur Zahlung aus einem nicht aufgehobenen Bewilligungsverwaltungsakt BSG vom 27.3.1980 - 10 RV 23/79 - BSGE 50, 82 = SozR 1500 § 54 Nr 40), demgemäß auch die Zahlung aus der bewilligten Kostenerstattung, die von den Klägern aus übergegangenem Recht der Widerspruchsführerin geltend gemacht wird.

Dem Klageziel steht kein weiterer Verwaltungsakt entgegen, mit dem Rechte der Widerspruchsführerin aus dem Kostenfestsetzungsverwaltungsakt oder solche der Kläger aus übergegangenem Recht wieder beseitigt worden sind (vgl § 39 Abs 2 SGB X) und der deswegen hätte angefochten werden müssen. Eine hierfür erforderliche Regelung (§ 31 SGB X) hat der Beklagte erkennbar nicht treffen wollen und stattdessen die Aufrechnung erklärt (vgl BSG vom 24.7.2003 - B 4 RA 60/02 R - SozR 4-1200 § 52 Nr 1 RdNr 17; zur Verrechnung BSG vom 31.8.2011 - GS 2/10 - BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr 4, RdNr 15; vgl zur Aufrechnungserklärung gegenüber dem Zessionar BGH vom 26.6.2002 - VIII ZR 327/00 - NJW 2002, 2865; Rosch in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, § 406 RdNr 8, Stand 1.12.2016). Wegen der Aufrechnung hat er nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG weder Aktivitäten entfaltet, die Verwaltungsverfahren mit dem Ziel des Abschlusses durch Verwaltungsakt hätten sein können (vgl § 8 SGB X), noch seine Entscheidung als Verwaltungsakt bezeichnet oder anderweitig den Eindruck erweckt, er habe durch Verwaltungsakt über die Aufrechnung entschieden (vgl zur Entscheidung in der Form des Verwaltungsakts, ohne dass die Merkmale des § 31 SGB X gegeben sind Littmann in Hauck/Noftz, K § 31 SGB X, RdNr 35, Stand Dezember 2011; BSG vom 3.4.2003 - B 13 RJ 39/02 R - BSGE 91, 68 = SozR 4-1300 § 31 Nr 1 RdNr 12). Die durch den Beklagten abgegebene Erklärung, er werde nicht zahlen, ist kein (feststellender) Verwaltungsakt und auch keine gesonderte Ablehnung der Auszahlung.

3. In der Sache stützen die Kläger ihren Zahlungsanspruch zutreffend auf den Kostenfestsetzungsverwaltungsakt des Beklagten vom 14.1.2015 iVm § 9 Satz 2 BerHG. Der Anspruch aus übergegangenem Recht (dazu a.) ist nicht durch Aufrechnung des Beklagten erloschen. Der Aufrechnung stand ein Aufrechnungsverbot entgegen (dazu b.).

a. Da der Kostenerstattungsanspruch aus § 63 SGB X von der Ersatzpflicht des Gegners aus § 9 Satz 1 BerHG erfasst ist, haben die Kläger über § 9 Satz 2 BerHG Anspruch aus übergegangenem Recht gegen den Beklagten auf Zahlung ihrer Kostennote.

Gemäß § 9 Satz 1 und 2 BerHG idF durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts vom 31.8.2013 (BGBl I S 3533) gilt: Ist der Gegner verpflichtet, dem Rechtsuchenden die Kosten der Wahrnehmung seiner Rechte zu ersetzen, hat er für die Tätigkeit der Beratungsperson die Vergütung nach den allgemeinen Vorschriften zu zahlen. Der Anspruch geht auf die Beratungsperson über.

Inhalt des gesetzlichen Anspruchsübergangs aus § 9 Satz 2 BerHG ist der Ersatzanspruch des Rechtsuchenden aus Satz 1 Halbsatz 1 der Vorschrift, hier konkretisiert durch den Kostenfestsetzungsverwaltungsakt vom 14.1.2015.

Jedenfalls nach dem Sinn und Zweck des § 9 BerHG ist der Kostenerstattungsanspruch aus § 63 SGB X eine Ersatzpflicht iS von § 9 Satz 1 BerHG, gleich ob er jeweils in Teilbereichen oder insgesamt verfahrensrechtlicher oder materiellrechtlicher Natur ist (vgl zur materiellrechtlichen Natur BSG vom 25.2.2010 - B 11 AL 24/08 R - BSGE 106, 21 = SozR 4-1300 § 63 Nr 12, RdNr 29; zur verfahrensrechtlichen Anknüpfung BSG vom 25.6.1986 - 9a RVs 22/84 - SozR 1300 § 63 Nr 9 S 32; BSG vom 24.7.1986 - 7 RAr 86/84 - juris; BSG vom 25.11.1999 - B 13 RJ 23/99 R - SozR 3-1300 § 63 Nr 14 S 49; Straßfeld, SGb 2013, 326 sowie differenzierend BSG vom 31.5.2006 - B 6 KA 78/04 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 3 RdNr 11 f).

Abgrenzungskriterium für eine Vergütungspflicht des Gegners nach allgemeinen Vorschriften aus § 9 Satz 1 BerHG ist zuvörderst die Frage, ob die zu vergütende Tätigkeit für die Wahrnehmung von Rechten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens (und im obligatorischen Güteverfahren nach § 15a EGZPO; vgl § 1 Satz 1 BerHG) oder innerhalb eines solchen geleistet wird. Dieses Kriterium gilt für den gesamten Anwendungsbereich des BerHG, also auch für das Sozialrecht (vgl § 2 Abs 1 Satz 1 BerHG). Der hinter der Anordnung eines Zahlungsanspruchs nach allgemeinen Vorschriften stehende Gedanke, der Gegner des Rechtsuchenden solle keinen Nutzen daraus ziehen, dass durch den Einsatz öffentlicher Mittel die Rechtsverfolgung verbilligt werde (vgl die Ausführungen zu § 12 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Gesetz über Hilfe durch kostenlose Beratung in Rechtsangelegenheiten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens, BT-Drucks 8/3311 S 15), greift daher für alle an Sozialrechtsverhältnisse anknüpfende Ersatzpflichten.

b. Der Anspruch der Kläger ist nicht durch die Aufrechnungserklärung des Beklagten vom 14.1.2015 erloschen. Das gegenüber dem Kostenerstattungsanspruch der Widerspruchsführerin...

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