Urteil Nr. B 14 AS 4/19 R des Bundessozialgericht, 2020-02-20

Judgment Date20 Febrero 2020
ECLIDE:BSG:2020:200220UB14AS419R0
Judgement NumberB 14 AS 4/19 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 8. November 2018 geändert und der Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere 197,46 Euro zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits für alle Instanzen trägt der Beklagte.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 197,46 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um einen abgetretenen Kostenerstattungsanspruch aus § 63 SGB X nach Aufrechnung des beklagten Jobcenters.

Der klagende Rechtsanwalt hatte zwei Widerspruchsführerinnen - eine Mutter und deren minderjährige Tochter - in einer Angelegenheit nach dem SGB II vertreten. Der Beklagte hatte den Widerspruch zurückgewiesen und entschieden, er werde die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Widerspruchsführerinnen zur Hälfte erstatten (Widerspruchsbescheid vom 3.3.2014). Die Mutter hatte ua Kostenerstattungsansprüche nach § 63 SGB X an den Kläger abgetreten. Das hatte der Beklagte seit der Einlegung des Widerspruchs gewusst. Der Kläger forderte von dem Beklagten die Zahlung von 243,95 Euro für die Vertretung im Widerspruchsverfahren. Der Beklagte erklärte gegenüber der Mutter, er halte die geltend gemachten Kosten für erstattungsfähig. Er rechne mit eigenen Forderungen gegen die Widerspruchsführerinnen auf und zahle nichts (Schreiben vom 11.3.2014).

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29.5.2017). Das LSG hat den Beklagten auf die zugelassene Berufung zur Zahlung von 46,49 Euro verurteilt, die weitergehende Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 8.11.2018). Zwar sei der Anspruch aus § 63 SGB X auf Freistellung gerichtet. Mit der wirksamen Abtretung stünden sich aber zwei gleichartige Forderungen gegenüber. Der Kostenerstattungsanspruch sei auf beide Widerspruchsführerinnen hälftig aufzuteilen. Gegen die Tochter habe der Beklagte nur einen Erstattungsanspruch in Höhe von 75,49 Euro und müsse daher den Restbetrag zahlen.

Der Kläger rügt die Verletzung von § 387 BGB, weil die Forderungen nicht gleichartig seien. Die Widerspruchsführerinnen hätten einen Freistellungsanspruch gehabt. Zudem sei ungeklärt, ob die Aufrechnung durch Willenserklärung oder durch Verwaltungsakt habe erfolgen müssen, und der Beklagte habe kein Ermessen ausgeübt.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 8. November 2018 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm weitere 197,46 Euro zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat Anspruch auf vollen Ausgleich seiner Kostennote, weshalb das Urteil des LSG abzuändern und ihm ein weiterer Betrag von 197,46 Euro zuzusprechen ist.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen die Pflicht des Beklagten zur Zahlung weiterer 197,46 Euro aus der Kostennote des Klägers. Der Beklagte hat seine Verurteilung nicht angegriffen. Die Entscheidung des LSG ist insoweit rechtskräftig.

Dass die Geltendmachung der Kostenerstattung dem Grunde nach berechtigt war, ist nach der bestandskräftigen Entscheidung über die Kostenlast (§ 63 Abs 1 Satz 1 SGB X) nicht mehr zu prüfen. Auch die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten (§ 63 Abs 2, Abs 3 Satz 2 SGB X) ist festgestellt. Diese Regelung hat der Beklagte inzident mit der Anerkennung der Höhe des grundsätzlich erstattungsfähigen Betrags getroffen (vgl BSG vom 25.2.2010 - B 11 AL 24/08 R - BSGE 106, 21 = SozR 4-1300 § 63 Nr 12, RdNr 12; BSG vom 5.5.2009 - B 13 R 137/08 R - RdNr 12). Die geltend gemachten Kosten hat der Beklagte auch der Höhe nach durch sein Schreiben vom 11.3.2014 mittels bestandskräftigem Kostenfestsetzungsverwaltungsakt vollumfänglich anerkannt (§ 63 Abs 3 Satz 1 Halbsatz 1 SGB X).

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Streitigkeiten wegen der Kosten eines isolierten Vorverfahrens (§§ 78 ff SGG) sind keine Kosten des Verfahrens iS von § 144 Abs 4 SGG (stRspr; vgl BSG vom 12.12.2019 - B 14 AS 48/18 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Wegen der Höhe der Kostennote war die Berufung statthaft, nachdem sie das SG in seinem Urteil zugelassen hat (vgl § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG).

Zutreffende Klageart ist die echte Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG). Mit dieser Klageart kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hat. Leistung in diesem Sinne ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 54 RdNr 37; zur Zahlung aus einem nicht aufgehobenen Bewilligungsbescheid BSG vom 27.3.1980 - 10 RV 23/79 - BSGE 50, 82 = SozR 1500 § 54 Nr 40), also auch die Zahlung aus der bewilligten Kostenerstattung, die von dem Kläger aus übertragenem Recht der Widerspruchsführerinnen geltend gemacht wird.

Dem Klageziel steht kein weiterer Verwaltungsakt entgegen, mit dem Rechte der Widerspruchsführerinnen aus dem Kostenfestsetzungsverwaltungsakt oder solche des Klägers aus übertragenem Recht wieder beseitigt worden sind (vgl § 39 Abs 2 SGB X) und der deswegen hätte angefochten werden müssen. Eine hierfür erforderliche Regelung (§ 31 SGB X) hat der Beklagte erkennbar nicht treffen wollen und stattdessen die Aufrechnung erklärt (vgl BSG vom 24.7.2003 - B 4 RA 60/02 R - SozR 4-1200 § 52 Nr 1 RdNr 17; zur Verrechnung BSG vom 31.8.2011 - GS 2/10 - BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr 4, RdNr 15; vgl zur Aufrechnungserklärung gegenüber dem Zessionar BGH vom 26.6.2002 - VIII ZR 327/00 - NJW 2002, 2865; Rosch in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, § 406 RdNr 8, Stand 1.12.2016). Wegen der Aufrechnung hat er nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG weder Aktivitäten entfaltet, die Verwaltungsverfahren mit dem Ziel des Abschlusses durch Verwaltungsakt hätten sein können (vgl § 8 SGB X), noch seine Entscheidung als Verwaltungsakt bezeichnet oder anderweitig den Eindruck erweckt, er habe durch Verwaltungsakt über die Aufrechnung entschieden (vgl zur Entscheidung in der Form des Verwaltungsakts, ohne dass die Merkmale des § 31 SGB X gegeben sind Littmann in Hauck/Noftz, K § 31 SGB X, RdNr 35, Stand Dezember 2011; BSG vom 3.4.2003 - B 13 RJ 39/02 R - BSGE 91, 68 = SozR 4-1300 § 31 Nr 1 RdNr 12). Die durch den Beklagten abgegebene Erklärung, er werde nicht zahlen, ist kein (feststellender) Verwaltungsakt und auch keine gesonderte Ablehnung der Auszahlung.

3. In der Sache stützt der Kläger seinen Zahlungsanspruch zutreffend auf den Kostenfestsetzungsverwaltungsakt des Beklagten vom 11.3.2014 iVm der Abtretung der Ansprüche der Widerspruchsführerinnen gemäß § 398 BGB. Der Anspruch aus abgetretenem Recht (dazu a.) ist nicht durch Aufrechnung des Beklagten erloschen (dazu b.).

a. Wegen der Abtretung der Kostenerstattungsansprüche aus § 63 SGB X durch die Widerspruchsführerinnen ist der Kläger Inhaber des geltend gemachten Zahlungsanspruchs.

Die Voraussetzungen der Abtretung richten sich nicht nach § 53 Abs 2 SGB I. Dessen sachlicher Anwendungsbereich ist nicht eröffnet. Der Kostenerstattungsanspruch aus § 63 SGB X ist kein Anspruch auf Sozialleistungen, der § 53 SGB I unterfällt (vgl zum Geldleistungsbegriff in § 44 SGB I BSG vom 27.6.2017 - B 2 U 13/15 R - BSGE 123, 238 = SozR 4-7610 § 677 Nr 1, RdNr 13). Gründe für andere im Sozialrecht wurzelnde Beschränkungen der Möglichkeit, die Abtretung des Kostenerstattungsanspruchs aus § 63 SGB X überhaupt erklären zu können, sind nicht erkennbar. Seine Abtretung ist daher in entsprechender Anwendung der §§ 398 ff BGB möglich.

Gemäß § 398 BGB kann eine Forderung von dem Gläubiger durch Vertrag mit einem anderen auf diesen übertragen werden. Mit dem Abschluss des Vertrags tritt der neue Gläubiger an die Stelle des alten Gläubigers.

Nach dem Gesamtzusammenhang der bindenden Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG hat die Mutter für sich und ihre Tochter ein Abtretungsangebot abgegeben, das der Kläger wirksam angenommen hat. Der Schriftform der Annahmeerklärung bedurfte es nicht (vgl für die Übertragung nach § 53 SGB I BSG vom 15.6.2010 - B 2 U 26/09 R - SozR 4-1200 § 53 Nr 3 RdNr 23 ff). Die Abtretung war nicht ausgeschlossen, weil sie im Verhältnis zwischen den freistellungsberechtigten Widerspruchsführerinnen und ihrem Bevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren erfolgt ist (vgl Rosch in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, § 399 BGB RdNr 11 mwN, Stand 1.2.2020).

b. Der Anspruch des Klägers ist nicht durch die Aufrechnungserklärungen des Beklagten vom 11.3.2014 erloschen. Das gegenüber den Kostenerstattungsansprüchen der Widerspruchsführerinnen bestehende Aufrechnungsverbot (dazu aa.) wirkt auch für den Kläger (dazu bb.).

aa. Zwar hat der Beklagte, weil er die Kostenerstattungsansprüche nicht durch Zahlung erfüllen wollte, Aufrechnungen durch öffentlich-rechtliche Willenserklärungen erklärt. Hierzu war er grundsätzlich...

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