Urteil Nr. B 14 AS 27/20 R des Bundessozialgericht, 2021-12-14

Judgment Date14 Diciembre 2021
ECLIDE:BSG:2021:141221UB14AS2720R0
Judgement NumberB 14 AS 27/20 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Dezember 2019 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Aufnahme in die von der beklagten Optionskommune geführte Liste von Anbietern der Leistungen zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft nach § 28 Abs 7 SGB II (im Folgenden Anbieter) sowie die Verurteilung der Beklagten, mit ihm eine Kooperationsvereinbarung abzuschließen.

Die Beklagte schließt zur näheren Ausgestaltung der Erbringung und der Abrechnung von Leistungen zur Deckung von Bedarfen für Bildung und Teilhabe mit Anbietern Kooperationsvereinbarungen ab. Im Anschluss an die Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft nach § 28 Abs 7 SGB II werden leistungsberechtigten Personen grundsätzlich Gutscheine ausgehändigt, auf denen die Kooperationspartner aufgelistet sind. Jugendverbände politischer Parteien nimmt die Beklagte in die Anbieterliste nicht auf.

Der Kläger, bei dem es sich um die Jugendorganisation der M Partei Deutschlands (MLPD) handelt, veranstaltet jährlich in T/Thüringen ein Sommercamp für Kinder und Jugendliche. Seinen auf "Zulassung als Leistungsanbieter von Leistungen zur sozialen und kulturellen Teilhabe" gerichteten Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 21.11.2016; Widerspruchsbescheid vom 3.3.2017). Der Abschluss einer Kooperationsvereinbarung mit einer politischen Partei oder deren Jugendorganisation entspreche nicht dem staatlichen Neutralitätsgebot. Der verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz sei nicht verletzt. Die Beklagte berücksichtige generell keine politischen Jugendorganisationen.

Das SG hat den Bescheid vom 21.11.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 3.3.2017 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen (Urteil vom 18.12.2018). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 5.12.2019). Ein gesetzliches Zulassungsverfahren sei im Bereich der §§ 28 ff SGB II nicht normiert. Eine Ermächtigung zum Erlass von Verwaltungsakten bestehe nicht. Wenn die Beklagte generell Kooperationsvereinbarungen abschließe und Anbieter, mit denen sie keine Vereinbarung abgeschlossen habe, faktisch nicht berücksichtige, sondern leistungsberechtigte Personen auf ihre Kooperationspartner verweise, sei sie verpflichtet, diesen Ausschluss rechtmäßig, insbesondere unter Beachtung grundrechtlicher Positionen der Anbieter diskriminierungsfrei zu gestalten. Weder Art 21 Abs 1 GG noch Art 3 Abs 1 GG begründeten einen Anspruch des Klägers. Die Beklagte schließe mit politischen Parteien oder deren Jugendorganisationen generell keine Kooperationsvereinbarungen ab, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung.

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 28 ff SGB II sowie der Art 3 und 21 GG. Das staatliche Neutralitätsgebot finde vorliegend keine Anwendung und könne eine Ungleichbehandlung von Jugendorganisationen politischer Parteien gegenüber zB kirchlichen Anbietern von Jugendfreizeiten nicht rechtfertigen. Der Kläger verlange keine staatliche Bezuschussung für sich, sondern seine diskriminierungsfreie Berücksichtigung als Anbieter. Im Übrigen sei der Regelungszusammenhang mit der Kinder- und Jugendhilfe zu berücksichtigen. Dies gelte insbesondere für § 83 Abs 1 Satz 2 SGB VIII, wonach die überregionalen Tätigkeiten der Jugendorganisationen der politischen Parteien auf dem Gebiet der Jugendarbeit förderfähig seien.

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Dezember 2019 sowie des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 18. Dezember 2018 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihn als Anbieter von Leistungen zur Deckung von Bedarfen nach § 28 Abs 7 SGB II in die von ihr geführte Liste aufzunehmen und mit ihm eine Kooperationsvereinbarung abzuschließen.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat seine Berufung im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.

1. Der Kläger ist nach § 70 Nr 2 SGG beteiligtenfähig. Danach sind im sozialgerichtlichen Verfahren auch nichtrechtsfähige Personenvereinigungen beteiligtenfähig, soweit ihnen in Bezug auf den Prozessgegenstand eigene Rechte und Pflichten zustehen (vgl nur BSG vom 13.5.2015 - B 6 KA 27/14 R - SozR 4-5540 § 25 Nr 1 RdNr 11 mwN). Nichtrechtsfähige Personenvereinigungen im Sinne dieser Vorschrift sind Personenmehrheiten einschließlich Verbände von juristischen Personen, die nicht selbst rechtsfähig sind oder sonst juristischen Personen gleichgestellt sind (BSG vom 5.9.2006 - B 2 U 8/05 R - BSGE 97, 47 = SozR 4-2700 § 34 Nr 1, RdNr 20). Der Kläger ist der Jugendverband der MLPD. Nach den vom LSG in Bezug genommenen "organisationspolitischen Grundsätzen" der MLPD ist er organisatorisch selbstständig, arbeitet aber unter "der ideologisch-politischen Führung" der MLPD und entwickelt "eine eigene Taktik zur Gewinnung der Jugend unter Berücksichtigung der Taktik der Partei" (§ 24). Da der Kläger geltend machen kann, einen eigenen Anspruch auf Aufnahme in die Anbieterliste und Abschluss einer Kooperationsvereinbarung zu haben, ist er in Bezug auf den Streitgegenstand beteiligtenfähig.

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Der Kläger verfolgt sein Begehren zulässigerweise im Wege einer reinen Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG). Die Beteiligten des vorliegenden Verfahrens stehen sich in einem Gleichordnungsverhältnis gegenüber (hierzu nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 54 RdNr 41 mwN), weshalb bereits das SG die von der Beklagten erlassenen Bescheide mangels Befugnis zum Erlass einseitiger Regelungen aufgehoben hat. Entscheidet die Beklagte in Ermangelung einer dazu ermächtigenden Rechtsgrundlage nicht durch Verwaltungsakt über die Aufnahme in eine von ihr geführte Anbieterliste, ist im Hinblick auf die Verurteilung der Beklagten zur Aufnahme in die Liste und den Abschluss einer Kooperationsvereinbarung die Leistungsklage statthaft.

3. Rechtsgrundlage eines möglichen Anspruchs des Klägers auf Aufnahme in die von der Beklagten geführte Anbieterliste und auf Abschluss einer Kooperationsvereinbarung ist der Gleichheitsgrundsatz nach Art 3 Abs 1 GG iVm der ständigen Verwaltungspraxis der Beklagten.

4. Die Berechtigung der Leistungsträger nach dem SGB II, eine Liste geeigneter Anbieter iS des § 29 Abs 2 Satz 2 SGB II zu führen und mit geeigneten Anbietern Kooperationsvereinbarungen zu schließen, ist bereichsspezifisch nicht normiert (hierzu 5.). Sie folgt aus der Gewährleistungsverantwortung des § 4 Abs 2 Satz 2 bis 4 SGB II (hierzu 6.). Diese begründet keine subjektiven Rechte eines Anbieters (hierzu 7.). Ein Anspruch eines Anbieters ergibt sich aus dem Gleichheitsgrundsatz nach Art 3 Abs 1 GG iVm der Selbstbindung der Träger der Leistungen nach dem SGB II aufgrund einer ständigen rechtmäßigen Verwaltungspraxis (hierzu 8.). Rechtswidrig ist es, Anbieter, die Aktivitäten auf dem Gebiet der politischen Teilhabe durchführen, generell auszuschließen (hierzu 9.). Zulässiges Differenzierungskriterium ist demgegenüber die Geeignetheit des Anbieters, die im Fall des Klägers nicht vorliegt, weshalb er keinen Anspruch auf Aufnahme in die Liste und Abschluss einer Kooperationsvereinbarung hat (hierzu 10.).

5. Ob und unter welchen Voraussetzungen die Träger der Leistungen nach dem SGB II im Rahmen der Erbringung von Leistungen zur Deckung von Bedarfen für Bildung und Teilhabe berechtigt sind, Anbieterlisten zu führen und Kooperationsvereinbarungen abzuschließen, ist in §§ 28 f SGB II nicht geregelt. § 29 SGB II bestimmt als Sondervorschrift zu § 4 Abs 1 SGB II, auf welche Art und Weise die Leistungen gegenüber den Anspruchsberechtigten zu erbringen sind, indem die Modalitäten der Abrechnung im Verhältnis zwischen einem Anbieter und dem für die Leistungen nach § 28 SGB II verantwortlichen kommunalen Träger (§ 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II) näher ausgestaltet werden (vgl § 29 Abs 1 Satz 4, Abs 2 Satz 2, Abs 3 und 6 SGB II). Soweit der Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 26.10.2010 in § 29 Abs 2 und 3 SGB II ausdifferenzierte Regelungen zum Abschluss von Leistungsvereinbarungen zwischen den Grundsicherungsträgern und Anbietern unter entsprechender Anwendung des § 17 Abs 2 SGB II vorsah (BT-Drucks 17/3404 S 19), ist diese Entwurfsfassung nicht Gesetz geworden.

6. Die grundsätzliche Berechtigung zum Führen von Anbieterlisten durch die Träger der Leistungen nach dem SGB II, in denen geeignete Anbieter iS des § 29 Abs 2 Satz 2 SGB II aufgeführt sind und die leistungsberechtigten Personen zugänglich gemacht werden können, folgt - als Konkretisierung des § 17 Abs 1 SGB I (hierzu BSG vom 10.8.2016 - B 14 AS 23/15 R - BSGE 122, 46 = SozR 4-4200 § 16a Nr 1, RdNr 16) - aus der in § 4 Abs 2 Satz 2 und 4 SGB II normierten Gewährleistungsverantwortung der Leistungsträger. Hiernach wirken die nach § 6 SGB II zuständigen Träger darauf hin, dass Kinder und Jugendliche Zugang zu geeigneten vorhandenen Angeboten der gesellschaftlichen Teilhabe erhalten (§ 4 Abs 2 Satz 2 SGB II) und sollen die Leistungsträger die Eltern unterstützen und in geeigneter Weise dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche Leistungen für Bildung und Teilhabe möglichst in Anspruch nehmen (§ 4 Abs 2 Satz 4 SGB II). Hieraus folgt zwar kein Sicherstellungsauftrag der Träger der Leistungen nach dem SGB II und obliegt die Bereitstellung einer Angebotsstruktur weiterhin den Gemeinden und Gemeindeverbänden im Rahmen der Daseinsvorsorge (BT-Drucks 17/3404 S 91). Bestandteil dieser Gewährleistungsverantwortung ist aber die Schaffung von Strukturen, um den Zugang...

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