Urteil Nr. B 2 U 9/19 R des Bundessozialgericht, 2020-10-06

Judgment Date06 Octubre 2020
ECLIDE:BSG:2020:061020UB2U919R0
Judgement NumberB 2 U 9/19 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Sozialgerichtliches Verfahren - Feststellungsklage - Feststellungsinteresse - Hinterbliebenenleistung - gesetzliche Unfallversicherung - Wegeunfall - sachlicher Zusammenhang - subjektive Handlungstendenz - objektive Umstände des Einzelfalls - ungewöhnliches Verhalten des Versicherten am Unfalltag - Nichterweislichkeit - Beweislast - Beweisschwierigkeit
Leitsätze

1. Die Klage einer Hinterbliebenen auf Feststellung eines Arbeitsunfalls ist mangels Feststellungsinteresses unzulässig.

2. Zur objektiven Beweislast bei Hinterbliebenenleistungen dafür, dass der tödlich Verunglückte die subjektive Handlungstendenz hatte, einen versicherten Weg zurückzulegen.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 28. November 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob der tödliche Verkehrsunfall des Ehemannes der Klägerin ein Arbeitsunfall war.

Der Ehemann der Klägerin war als Produktionsmitarbeiter tätig. Am 25.6.2014 verließ er während der Schicht bei laufender Maschine vorzeitig seinen Arbeitsplatz, ohne dass hierfür ein Grund ermittelt werden konnte. Er meldete sich auch bei der Arbeitszeiterfassung nicht ab. Mit seinem PKW fuhr er sodann auf der Route seines direkten Heimweges. Kurz vor der Abzweigung zu seinem Wohnort geriet er mit seinem Fahrzeug auf die linke Fahrbahnseite, stieß mit einem entgegenkommenden LKW zusammen und verstarb. Vor seinem Fahrtantritt hatte der Ehemann der Klägerin diese entgegen seiner sonstigen Gewohnheit nicht per SMS über die beginnende Heimfahrt informiert.

Die Beklagte lehnte einen Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Der tödliche Verkehrsunfall des Ehemannes sei nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen. Es sei nicht feststellbar, dass der Verstorbene sich bei dem Unfallereignis auf dem versicherten Weg nach Hause befunden habe (Bescheid vom 27.1.2015 und Widerspruchsbescheid vom 22.7.2015). Die Klägerin hat Klage zum SG erhoben mit dem Antrag, ihr unter Aufhebung dieser Bescheide Hinterbliebenenleistungen nach §§ 63 ff SGB VII zu gewähren. Das SG hat eine Stellungnahme der Staatsanwaltschaft D eingeholt sowie die Klägerin und Arbeitskollegen des Verstorbenen befragt. Der Klageantrag wurde sodann dahingehend geändert, dass die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide einen Arbeitsunfall festzustellen habe. Das SG hat durch Urteil vom 4.5.2017 die Bescheide der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, den Unfall des Ehemannes der Klägerin als Arbeitsunfall anzuerkennen. Richtige Klageart sei eine Feststellungsklage, die auch Hinterbliebene erheben dürften. Der Verstorbene habe sich zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem versicherten Heimweg befunden. Die darauf gerichtete subjektive Handlungstendenz des Verstorbenen sei nach Auswertung der zur Verfügung stehenden Beweismittel nach freier richterlicher Überzeugung unter Berücksichtigung der einschlägigen Beweisregeln zu bejahen. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat die Klage auf Feststellung eines Arbeitsunfalls zwar als zulässig, aber unbegründet angesehen. Das Zurücklegen des versicherten Weges müsse im Vollbeweis festgestellt werden. Mit dem hierfür erforderlichen Beweisgrad könne weder aus dem Verhalten des Verstorbenen noch aus den sonstigen Umständen die notwendige subjektive Handlungstendenz, nach Beendigung der Tätigkeit in den Privatbereich zurückzukehren, abgeleitet werden. Es komme auch keine Beweiserleichterung aufgrund einer typischen Beweisnot in Betracht, da dem Zurücklegen des Weges gerade kein typischer Ablauf der Geschehnisse vorausgegangen sei (Urteil vom 28.11.2018).

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin sinngemäß eine Verletzung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII. Bei nicht mehr aufklärbarer Handlungstendenz treffe die Beklagte die Beweislast dafür, dass der Verstorbene nicht die Handlungstendenz gehabt habe, auf dem versicherten Weg von dem Ort der Tätigkeit nach Hause zu fahren.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 28. November 2018 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 4. Mai 2017 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Allerdings war die im Revisionsverfahren anhängige Klage auf Aufhebung der Bescheide der Beklagten und Feststellung, dass es sich bei dem Ereignis am 25.6.2014 um einen Arbeitsunfall des Verstorbenen gehandelt hatte, bereits unzulässig. Der Klägerin als Hinterbliebene des Verstorbenen fehlte das erforderliche Feststellungs- bzw Rechtsschutzinteresse. Aber selbst bei Zulässigkeit der Klage wäre sie im Ergebnis abzuweisen gewesen, weil der verstorbene Ehemann der Klägerin keinen gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII versicherten Wegeunfall erlitten hat. Die Entscheidung des LSG, das davon ausging, dass nicht erwiesen ist, dass der Verstorbene sich zum Zeitpunkt des Unfalls auf der Wegstrecke von seinem Betrieb mit der Handlungstendenz fortbewegte, einen versicherten Weg iS des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII zurückzulegen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Nichterweislichkeit einer versicherungsbezogenen Handlungstendenz des Verstorbenen geht zu Lasten der Klägerin.

1. Die Revision der Klägerin ist entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten zulässig. Die Revisionsbegründung entspricht den gesetzlichen Anforderungen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG. Hiernach muss die Begründung der Revision einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Bei Sachrügen müssen unter Auseinandersetzung mit der Begründung der angefochtenen Entscheidung die Gründe aufgezeigt werden, die die vorinstanzliche Entscheidung als unrichtig erscheinen lassen; der Bezeichnung von Tatsachen bedarf es bei Sachrügen nur, soweit dies zum Verständnis der gerügten Rechtsverletzung unerlässlich ist (vgl BSG Urteil vom 26.11.2019 - B 2 U 3/18 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 53 RdNr 10 mwN). Die Revisionsbegründung der Klägerin genügt noch diesen Anforderungen, wie sie in dem Beschluss des Großen Senats des BSG vom 13.6.2018 (GS 1/17 - BSGE 127, 133 = SozR 4-1500 § 164 Nr 9) konkretisiert wurden. Auch wenn sich die Revisionsbegründung formal an der Begründung einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision orientiert (vgl dazu BSG Urteil vom 20.12.2016 - B 2 U 16/15 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 60 RdNr 10), setzt sie sich unter Darlegung des vom LSG festgestellten Sachverhalts mit dessen Entscheidungsgründen hinreichend auseinander und lässt erkennen, aus welchen Gründen die Klägerin die Entscheidung des LSG für unzutreffend hält.

2. Die Revision ist unbegründet. Die im Revisionsverfahren noch anhängige, von der Klägerin erhobene Anfechtungs- und Feststellungsklage (dazu unter a) ist bereits unzulässig (dazu unter b). Die Klage wäre jedoch auch unbegründet, weil die Beklagte es in dem angefochtenen Bescheid vom 27.1.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.7.2015 zu Recht abgelehnt hat, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen zu gewähren. Der Ehemann der Klägerin hat am 25.6.2014 keinen in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Wegeunfall erlitten (dazu unter c). Der Senat gibt diese beiläufigen Hinweise auf die Rechtslage auch, um weiteren Verwaltungsverfahren über den Streitgegenstand vorzubeugen.

a) Gegenstand des Revisionsverfahrens ist lediglich die mit einer Anfechtungsklage gegen die Bescheide der Beklagten (§ 54 Abs 1 Satz 1 1. Alt SGG) verbundene Klage auf Feststellung eines Arbeitsunfalls (§ 55 Abs 1 SGG). Nur hierüber hatte das LSG in seinem Urteil, das die Klägerin mit ihrer Revision angreift, entschieden. Gegenstand des Berufungsverfahrens war lediglich die vom SG ausgesprochene Aufhebung der Bescheide der Beklagten und Verurteilung zur Anerkennung des Ereignisses vom 25.6.2014 als Arbeitsunfall. Zwar hatte die Klägerin in ihrer Klageschrift beim SG ursprünglich ausdrücklich die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen nach §§ 63 ff SGB VII begehrt, in der mündlichen Verhandlung vor dem SG allerdings - anwaltlich vertreten - nur noch die Aufhebung der Bescheide der Beklagten und die Feststellung des Ereignisses vom 25.6.2014 als Arbeitsunfall beantragt.

Es kann dahinstehen, ob die Klägerin damit wirksam ihre gemäß § 54 Abs 4 SGG zunächst erhobene Leistungsklage zurückgenommen hat. Gegen das zusprechende Urteil des SG hat sich die Klägerin jedenfalls nicht mit einer (Anschluss-)Berufung gewandt, um einen Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen mit ihrer ursprünglich erhobenen Anfechtungs- und Leistungsklage iS des § 54 Abs 1 iVm Abs 4 SGG weiter zu verfolgen (vgl BSG Urteil vom 23.1.2018...

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