Urteil Nr. B 3 KR 6/20 R des Bundessozialgericht, 2020-10-29

Judgment Date29 Octubre 2020
ECLIDE:BSG:2020:291020UB3KR620R0
Judgement NumberB 3 KR 6/20 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Krankenversicherung - Krankengeld - Beantwortung der formularmäßigen Anfrage der Krankenkasse bei Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit durch den Vertragsarzt
Leitsätze

Die Beantwortung der formularmäßigen Anfrage der Krankenkasse bei Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit durch den Vertragsarzt bedarf der Auslegung und ersetzt in aller Regel nicht die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit gegenüber dem Versicherten.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird der Beschluss des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 24. Juni 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Im Streit steht die Gewährung von Krankengeld (Krg) für die Zeit vom 26.3.2015 bis 17.5.2015.

Der 1975 geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) pflichtversicherte Kläger bezog bis 18.3.2015 Arbeitslosengeld (Alg) nach dem SGB III und im Anschluss daran Krg. Die ihn behandelnde Vertragsärztin bescheinigte ihm wegen eines operationsbedürftigen Leistenbruchs abschnittsweise Arbeitsunfähigkeit (AU) durchgehend ab dem 5.2.2015 und mit Folge-Bescheinigung vom 13.3.2015 weitere AU bis zum 25.3.2015. Auf die formularmäßige Anfrage der Beklagten bestätigte die behandelnde Ärztin die AU des Klägers am 25.3.2015 per Telefax. Sie gab ua an, dass ein Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit erst nach der anstehenden Operation absehbar sei. Am 2.4.2015 bescheinigte der Chirurg weiterhin AU zunächst bis 24.4.2015 und in Folgebescheinigungen abschnittsweise bis 17.5.2015. Der Chirurg teilte am 30.4.2015 ergänzend mit, dass AU durchgehend seit 5.2.2015 bestehe und dass die für den 25.3.2015 geplante Operation des Leistenbruchs auf den 1.4.2015 habe verschoben werden müssen. Die Beklagte lehnte die weitere Zahlung von Krg über den 25.3.2015 hinaus ab, weil die AU seit diesem Datum nicht lückenlos nachgewiesen sei (Bescheid vom 14.4.2015; Widerspruchsbescheid vom 21.10.2015). Auf die dagegen erhobene Klage hat das SG die Beklagte zur Zahlung von Krg vom 26.3.2015 bis 17.5.2015 verurteilt und hat im Übrigen die weitergehende Klage abgewiesen: Durch die Beantwortung der formularmäßigen Anfrage der Beklagten vom 25.3.2015 habe die behandelnde Ärztin die AU bis zur Operation bescheinigt, sodass eine lückenlose Feststellung der AU bis 17.5.2015 nach § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V idF bis 22.7.2015 (aF) vorgelegen habe. Auch die weitere AU-Bescheinigung durch den Chirurgen vom 2.4.2015 sei lückenlos erfolgt (Urteil vom 25.9.2018).

Die dagegen gerichtete Berufung nur der Beklagten hat das LSG zurückgewiesen und das Urteil des SG bestätigt: Die Voraussetzungen für den Krg-Anspruch seien nach §§ 44, 46 Satz 1 Nr 2 SGB V aF für die streitige Zeit vom 26.3.2015 bis 17.5.2015 erfüllt. Die Mitgliedschaft des Klägers als Versicherter mit Anspruch auf Krg sei nach Ende des Bezugs von Alg (§ 5 Abs 1 Nr 2 SGB V) zum 18.3.2015 nach § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V erhalten geblieben. Die AU sei während der streitigen Zeit lückenlos ärztlich bescheinigt gewesen. Die behandelnde Ärztin habe die AU des Klägers in der am 25.3.2015 ausgefüllten und am selben Tag der Beklagten übersandten Muster-Anfrage aus Anlass der geplanten Operation des Leistenbruchs prognostisch bis 1. und 2.4.2015 festgestellt. Für den Krg-Anspruch sei es unschädlich, wenn die AU auf keinem durch die AU-Richtlinie vorgesehenen Vordruck festgestellt werde. Hingegen sei die ärztliche Feststellung der AU lediglich ein über die innere ärztliche Überzeugungsbildung hinausgehender Akt mit Außenwirkung, der - vor allem gegenüber der als leistungspflichtig in Anspruch genommenen KK - beweissicher zu dokumentieren sei (Hinweis auf BSG Urteil vom 11.5.2017 - B 3 KR 22/15 R - BSGE 123, 134 = SozR 4-2500 § 46 Nr 8, RdNr 18). Entsprechendes sei auf dem ausgefüllten Fragebogen erfolgt. Eine (nochmalige) persönliche Vorstellung des Klägers am 25.3.2015 bei der behandelnden Ärztin sei nicht nötig gewesen. Ihre Einschätzung habe sie aus den regelmäßigen Vorstellungsterminen gewonnen, zuletzt nur zwölf Tage zuvor (am 13.3.2015). An der Richtigkeit der Feststellung vom 25.3.2015 bestünden keine Zweifel. Das BSG (aaO RdNr 23) habe nur in dem - hier nicht vorliegenden - Ausnahmefall einer für den Erhalt des Krg-Anspruchs nach § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V aF nicht rechtzeitigen bzw fehlenden ärztlichen AU-Feststellung einen unmittelbaren Arzt-Patienten-Kontakt für erforderlich gehalten. Da die Beklagte Kenntnis von der AU-Bescheinigung und davon gehabt habe, dass der Kläger weiterhin Krg beanspruche, seien die Obliegenheiten des Klägers nach § 46 Satz 1 Nr 2 aF, § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V erfüllt (Beschluss vom 24.6.2019).

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V aF. Die Vorschrift setze "unabdingbar" sowohl bei der Erstfeststellung der AU als auch bei jeder weiteren Folge-AU-Feststellung einen unmittelbaren Arzt-Patienten-Kontakt und die persönliche Untersuchung durch einen Arzt voraus. Dies folge aus der Rechtsprechung des BSG, von der das LSG abgewichen sei (Hinweis auf BSG Urteil vom 16.12.2014 - B 1 KR 25/14 R - juris RdNr 13 und auf BSG Urteil vom 22.3.2005 - B 1 KR 22/04 R - BSGE 94, 247 = SozR 4-2500 § 44 Nr 6, RdNr 29; BSG Urteil vom 8.8.2019 - B 3 KR 18/18 R - juris RdNr 23 ff). Selbst im Urteil vom 11.5.2017 (BSG aaO), das Ausnahmen von der Lückenlosigkeit der AU-Feststellung zugelassen habe, werde am Erfordernis eines unmittelbaren Arzt-Patienten-Kontaktes zur Erlangung einer Folge-AU-Bescheinigung festgehalten. Die in der formularmäßigen Anfrage ohne persönliche Untersuchung des Versicherten getroffene ärztliche Aussage, dass der Zeitpunkt des Wiedereintritts der Arbeitsfähigkeit erst nach Durchführung der Operation absehbar sei, genüge daher nicht diesen Anforderungen. Die erst am 2.4.2015 ärztlich attestierte AU wahre den Krg-Anspruch auch nicht ausnahmsweise. Der Beklagten zurechenbare Umstände, die den Kläger gehindert hätten, rechtzeitig vor Ablauf des 25.3.2015 seine AU ärztlich feststellen zu lassen, lägen nicht vor. Im Übrigen diene die formularmäßige Befragung der behandelnden Ärzte der Absehbarkeit des Wiedereintritts der Arbeitsfähigkeit, zur Planung weiterer Maßnahmen der Krankenbehandlung und zur Prüfung der Beteiligung des MDK. Das Arztanfrageformular werde auf der Grundlage der in der Patientendatei enthaltenen Informationen ausgefüllt. Dieser Erklärungsinhalt entspreche daher nicht einer ärztlichen AU-Bescheinigung (Hinweis auf LSG Baden-Württemberg Urteil vom 21.10.2015 - L 5 KR 5084/14 - juris = NZS 2016, 24).

Die Beklagte beantragt,
den Beschluss des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 24. Juni 2019 aufzuheben und das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 25. September 2018 zu ändern sowie die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger hat sich mangels Prozessvertretung nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung der Entscheidung des LSG und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Der Senat kann auf der Grundlage der Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen, ob der Kläger Anspruch auf Zahlung von Krg dem Grunde nach über den 25.3.2015 hinaus hat.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die Entscheidungen der Vorinstanzen, die unter Änderung des Bescheids der Beklagten vom 14.4.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.10.2015 den Anspruch des Klägers auf Weiterzahlung von Krg vom 26.3.2015 bis zum 17.5.2015 bestätigt haben.

2. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs auf Krg für Pflichtversicherte der GKV sind hier § 44 Abs 1 und § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V in der bis 22.7.2015 geltenden Fassung (idF des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17.7.2009, BGBl I 1990, 3578 - aF) iVm § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V, der den Erhalt der Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger bei Anspruch auf oder Bezug von Krg bestimmt.

Nach § 44 Abs 1 SGB V aF haben Versicherte Anspruch auf Krg ua dann, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krg beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für das Krg vorliegt (stRspr; vgl nur BSG Urteil vom 16.12.2014 - B 1 KR 37/14 R - BSGE 118, 52 = SozR 4-2500 § 192 Nr 7, RdNr 8; BSG Urteil vom 11.5.2017 - B 3 KR 22/15 R - BSGE 123, 134 = SozR 4-2500 § 46 Nr 8, RdNr 15). Nach § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V aF entsteht der Anspruch auf Krg von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der AU folgt. Dies gilt auch für an die ärztliche Erstfeststellung von AU anschließende Folgefeststellungen (stRspr; vgl nur BSGE 118, 52 = SozR 4-2500 § 192 Nr 7, RdNr 13 ff; BSGE 123, 134 = SozR 4-2500 § 46 Nr 8, RdNr 20).

3. Für den streitigen Anspruch des Klägers auf Krg ab 26.3.2015 kommt es darauf an, ob am 25.3.2015, dem letzten Tag innerhalb des vom 13.3.2015 bis zum 25.3.2015 ärztlich festgestellten AU-Zeitraums, eine ärztliche Folge-AU-Feststellung vorlag. Letzteres kann der Senat auf der Grundlage der Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen.

a) Um die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger nach § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V zu erhalten, war es erforderlich, dass am ersten Tag nach dem Ende der zuletzt ärztlich festgestellten AU Anspruch auf Krg bestand. Dies setzt einen lückenlosen Krg-Anspruch oder Krg-Bezug voraus, der nach § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V aF nach stRspr des BSG auch bei fortbestehenden Dauererkrankungen erst vom Folgetag der ärztlichen AU-Feststellung an entsteht. Daher muss eine erneute ärztliche AU-Feststellung - ohne dass ein Karenztag eintritt - spätestens am letzten Tag des zuvor bescheinigten AU-Zeitraums erfolgen (s erneut BSGE 118, 52 = SozR 4-2500 § 192 Nr 7, RdNr 12 ff; BSGE 123, 134 = SozR 4-2500 § 46 Nr 8, RdNr 20).

b) Hier liegen - nicht im Streit stehende - ärztliche Folge-AU-Bescheinigungen über folgende Zeiträume vor: für die Zeit...

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