Urteil Nr. B 5 R 23/21 R des Bundessozialgericht, 2021-10-21

Judgment Date21 Octubre 2021
ECLIDE:BSG:2021:211021UB5R2321R0
Judgement NumberB 5 R 23/21 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Vormerkung von Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung - Beitragszeiten - Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung - Absolvierung eines Berufsgrundschuljahrs vor dem 17. Lebensjahr - Verfassungsmäßigkeit
Leitsätze

1. Der Rentenversicherungsträger hat im Vormerkungsbescheid ua die Art der zurückgelegten rentenrechtlichen Zeit festzustellen.

2. Abgesehen von den gesetzlich geregelten Fällen einer vermuteten oder fingierten Beitragszahlung hängen Beitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung von einer tatsächlichen Beitragsentrichtung ab.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Juli 2018 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vormerkung der Zeit vom 1.9.1981 bis zum 31.7.1982 im Versicherungsverlauf des Klägers.

In diesem Zeitraum absolvierte der Ende 1965 geborene Kläger ein Berufsgrundschuljahr des Berufsfelds "Bautechnik" an einer staatlichen Berufsschule in Bayern, Regierungsbezirk Mittelfranken. Anschließend durchlief er vom 2.8.1982 bis zum 30.4.1984 eine betriebliche Berufsausbildung zum Betonbauer.

Die Beklagte führte 2016 ein Kontenklärungsverfahren durch und stellte durch Bescheid vom 16.6.2016 die im beigefügten Versicherungsverlauf enthaltenen Daten, die länger als sechs Jahre zurücklagen, verbindlich fest. Sie merkte die Zeit vom 2.8.1982 bis zum 30.4.1984 als Pflichtbeitragszeit wegen beruflicher Ausbildung vor. Die Feststellung der streitbefangenen Zeit als Anrechnungszeit lehnte sie ab.

Der Kläger erhob Widerspruch "bezüglich Berufsausbildungszeiten 01.09.1981-31.07.1982". Er legte eine Bestätigung der Handwerkskammer Mittelfranken vor, wonach das Berufsgrundschuljahr auf seine Ausbildungszeit angerechnet worden sei. Er gab an, während der streitbefangenen Zeit Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) bezogen zu haben. Die Beklagte wies den Rechtsbehelf mit Widerspruchsbescheid vom 2.12.2016 zurück. Das Berufsgrundschuljahr könne nicht als Anrechnungszeit nach § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI anerkannt werden, weil diese Zeit der schulischen Ausbildung vor Vollendung des 17. Lebensjahres beendet worden sei. Es könne auch nicht als Beitragszeit berücksichtigt werden, denn für den Kläger seien erst ab August 1982 Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden.

Der seinerzeit nicht vertretene Kläger hat dagegen erfolglos Klage vor dem SG wegen der "Anerkennung meiner Schulausbildung (BGJ) (…) als Bestandteil der Ausbildung" erhoben (Gerichtsbescheid vom 29.8.2017). Seine Berufung hat der weiterhin unvertretene und in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG nicht erschienene Kläger "wegen Abklärung Ausbildungszeiten" eingelegt. Das LSG hat dies als einen auf die Vormerkung der streitbefangenen Zeit als Anrechnungszeit gerichteten Klageantrag aufgefasst und die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 19.7.2018). Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Vormerkung der streitbefangenen Zeit als Anrechnungszeit nach § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI. Es könne dahinstehen, ob das absolvierte Berufsgrundschuljahr unter den Begriff der "berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme" oder der "Fachschule" zu fassen sei. Eine schulische Ausbildung vor Vollendung des 17. Lebensjahres stelle generell keine vormerkungsfähige Anrechnungszeittatsache dar, was keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. Eine Anerkennung der streitbefangenen Zeit als Beitragszeit habe der Kläger zutreffend nicht begehrt. Für diese Zeit habe keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bestanden, weil keiner der in § 1 Satz 1 SGB VI geregelten Versicherungspflichttatbestände verwirklicht worden sei.

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 1 Satz 5 Nr 1 iVm Satz 1 Nr 1 SGB VI sowie einen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG. Er bringt vor, das Berufsgrundschuljahr sei integraler Bestandteil seiner Ausbildung und unabdingbare Voraussetzung für die Aufnahme der betrieblichen Ausbildung gewesen. Werde der Berufsgrundschuljahrbesuch auch nicht als Anrechnungszeit berücksichtigt, liege hierin eine ungerechtfertigte Benachteiligung gegenüber Absolventen einer dreijährigen betrieblichen Ausbildung. Bei diesen würden unabhängig vom Lebensalter drei Jahre Pflichtbeitragszeit anerkannt. Im Wege einer verfassungskonformen Auslegung des § 1 Satz 5 Nr 1 SGB VI sei die Zeit eines Berufsgrundschuljahrbesuchs zumindest dann als Pflichtbeitragszeit anzusehen, wenn sich hieran eine Ausbildung im selben Berufsfeld anschließe.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Juli 2018 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. August 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 16. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember 2016 zu verpflichten, die Zeit vom 1. September 1981 bis zum 31. Juli 1982 als rentenrechtliche Zeit vorzumerken.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

A. Nach Schließung des 13. Senats zum 1.7.2021 durch Erlass des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 24.6.2021 (vgl § 202 Satz 1 SGG iVm § 130 Abs 1 Satz 2 GVG) ist nach dem Geschäftsverteilungsplan des BSG nunmehr der 5. Senat zuständig.

B. Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zutreffend hat das LSG einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Feststellung der Zeit vom 1.9.1981 bis zum 31.7.1982 verneint.

I. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das vom Kläger zulässigerweise im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) verfolgte Begehren, die während des Berufsgrundschuljahrs zurückgelegte Zeit als zusätzliche rentenrechtliche Zeit vorzumerken (vgl zur statthaften Klageart zuletzt BSG Urteil vom 16.6.2021 - B 5 RE 5/20 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Dass es dem Kläger um die Vormerkung einer rentenrechtlichen Zeiten gleich welcher Art geht, hat er beginnend mit seinem Widerspruch stets geltend gemacht. Hierüber hat das LSG vollständig entschieden, indem es in der Sache sowohl einen Anspruch auf Anerkennung der streitbefangenen Zeit als Anrechnungszeit als auch einen solchen auf Anerkennung als Beitragszeit wegen Ausbildung verneint hat. Die Vormerkung als eine andere rentenrechtliche Zeit kommt - auch nach Auffassung des Klägers - nicht in Betracht.

II. § 149 Abs 5 Satz 1 SGB VI (hier anzuwenden in der weiterhin aktuellen Fassung der Neubekanntmachung vom 19.2.2002 BGBl I 754>) ist die einzig in Frage kommende Rechtsgrundlage für den behaupteten Anspruch des Klägers. Nach dieser Vorschrift hat der Versicherungsträger nach Klärung des Versicherungskontos die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, festzustellen (sog Vormerkungsbescheid). Die Verpflichtung umfasst die tatbestandsmäßige Feststellung aller geklärten, länger als sechs Jahre zurückliegenden Beitrags-, Versicherungs-, Ersatz- und Ausfallzeiten (vgl BSG Urteil vom 21.3.2018 - B 13 R 19/14 R - SozR 4-2600 § 149 Nr 5 RdNr 16 mwN). Festzustellen sind ua Umfang und Art der zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten (vgl zB Diel in Hauck/Noftz, SGB VI, Stand: 12/2009, K § 149 RdNr 31; Paulus in jurisPK-SGB VI, 3. Aufl 2021, § 149 RdNr 49; Rehbein in Ruland/Dünn, GK-SGB VI, Bd 4, 256. EL, Stand Februar 2021, § 149 RdNr 17, Stand April 2020; Westphal in Kreikebohm/Roßbach, SGB VI, 6. Aufl 2021, § 149 RdNr 10). Nach § 54 Abs 1 SGB VI (hier anzuwenden in der insoweit weiterhin aktuellen Fassung der Neubekanntmachung vom 19.2.2002 BGBl I 754>) sind rentenrechtliche Zeiten Beitragszeiten (Nr 1 Buchst a und b) - entweder als Zeiten mit vollwertigen Beiträgen oder als beitragsgeminderte Zeiten -, beitragsfreie Zeiten (Nr 2) und Berücksichtigungszeiten (Nr 3). Die streitbefangene Zeit fällt nicht hierunter.

1. Eine Vormerkung als beitragsfreie Zeit in Gestalt einer Anrechnungszeit...

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