Urteil Nr. B 5 R 37/21 R des Bundessozialgericht, 2022-11-10

Judgment Date10 Noviembre 2022
ECLIDE:BSG:2022:101122UB5R3721R0
Judgement NumberB 5 R 37/21 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. März 2021 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen für die Monate September bis November 2016.

Für den im Juli 1955 geborenen Kläger ist seit dem Jahr 2007 ein Grad der Behinderung von 90 festgestellt. Auf seinen Antrag vom August 2016 lehnte die Beklagte die Leistung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen beginnend ab dem 1.9.2016 wegen nicht erfüllter Wartezeit ab. Das Versichertenkonto weise zum 31.8.2016 von den erforderlichen 35 Jahren (420 Kalendermonate) nur 417 Monate mit rentenrechtlichen Zeiten auf. Einzelne Monate, in denen der Kläger zeitweise eine Hochschule besucht, an den übrigen Tagen Wehrdienst geleistet (November 1975) bzw eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt habe (März und Juli 1977), seien nicht doppelt als beitragsfreie Zeiten (Anrechnungszeiten) und als Pflichtbeitragszeiten zu berücksichtigen. Zur Wartezeit zählten auch keine weiteren, vom Kläger ab dem 1.1.1982 zurückgelegten Zeiten der Hochschulausbildung. Die Höchstgrenze für die Berücksichtigung schulischer Ausbildungszeiten von bis zu acht Jahren (96 Monaten) sei bereits mit Ablauf des 31.12.1981 erreicht gewesen. Dazu zählten auch die Kalendermonate ("Randmonate"), die sowohl mit Zeiten einer Hochschulausbildung als auch mit einer Pflichtbeitragszeit belegt seien (Bescheid vom 12.9.2016; Widerspruchsbescheid vom 15.12.2016). Nach Zahlung von freiwilligen Beiträgen für die Monate September bis November 2016 bewilligte die Beklagte dem Kläger auf seinen im Dezember 2016 neu gestellten Antrag eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem 1.12.2016 (Bescheid vom 24.3.2017).

Das SG hat die Klage mit dem Begehren, eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen bereits ab September 2016 zu erhalten, abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 12.3.2020). Das LSG hat einen früheren Rentenbeginn aufgrund der nicht erfüllten Wartezeit ebenfalls verneint und die Berufung zurückgewiesen. Die Monate November 1975, März und Juli 1977 zählten als volle Kalendermonate innerhalb der Höchstdauer von 96 Monaten, die mit Ablauf des 31.12.1981 erreicht gewesen sei. Der Kläger habe in Teilen dieser Monate studiert. Wehrdienst und versicherungspflichtige Beschäftigung seien nicht zeitgleich "neben" der Ausbildung, sondern vor deren Aufnahme bzw erst im Anschluss daran erfolgt. Dass diese Kalendermonate deshalb auch mit Pflichtbeitragszeiten belegt seien, schließe ihre Berücksichtigung als Anrechnungszeiten nicht aus. Eine Verdrängung "schwächerer" Zeiten durch "stärkere" finde nicht statt. Auf die Berücksichtigung der Monate November 1975, März und Juli 1977 als Anrechnungszeiten könne der Kläger auch nicht verzichten. Die Berechnung der Höchstdauer beginne nach dem Gesetz mit den am weitesten zurückliegenden Kalendermonaten. Etwas anderes ergebe sich weder aus den Gesetzesmaterialien noch aus systematischen Erwägungen. Der allgemeine Gleichheitssatz sei nicht verletzt (Urteil vom 17.3.2021).

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger insbesondere eine Verletzung von § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4, § 122 Abs 3 SGB VI, Art 3 Abs 1 GG. Durch die Berücksichtigung der Kalendermonate November 1975, März und Juli 1977 als beitragsgeminderte Zeiten und zugleich bei der Bestimmung der Höchstgrenze von acht Jahren werde er doppelt benachteiligt. Seine während der Studienzeit ausgeübte berufliche Tätigkeit bleibe unberücksichtigt. Monate, die auch mit Pflichtbeiträgen belegt seien, seien für die Höchstdauer des Studiums nicht zu berücksichtigen. Auch seien die Voraussetzungen für eine Anrechnungszeit in diesen Kalendermonaten bereits dem Grunde nach nicht erfüllt, weil er sich nicht überwiegend dem Studium gewidmet habe. Die Möglichkeit der Zahlung von freiwilligen Beiträgen vermöge die Ungleichbehandlung nicht auszugleichen.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. März 2021 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 12. März 2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Dezember 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. September 2016 bis zum 30. November 2016 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).

1. Mit seiner kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) begehrt der Kläger die Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen für die Monate September bis November 2016. Auf diesen Zeitraum hat er die zunächst zeitlich unbegrenzt erhobene Klage ("bereits ab 1. September 2016") im Berufungsverfahren beschränkt (§ 99 Abs 3 Nr 2 SGG). Dementsprechend hat das LSG nur über den Zeitraum September bis November 2016 entschieden. Der Streitgegenstand war insoweit auch teilbar (zur Gewährung einer Altersrente für einen begrenzten Zeitraum vgl bereits BSG Urteil vom 22.10.1996 - 13 RJ 23/95 - BSGE 79, 168 ff = SozR 3-2600 § 115 Nr 1 - juris RdNr 23 BSGE und SozR nicht abgedruckt> und für den Fall einer befristeten Erwerbsminderungsrente vgl BSG Urteil vom 6.5.2010 - B 13 R 16/09 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 19 RdNr 24).

Gegenstand der revisionsrechtlichen Überprüfung ist die ablehnende Verwaltungsentscheidung der Beklagten im Bescheid vom 12.9.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.12.2016. Der auf den weiteren Antrag des Klägers vom Dezember 2016 ergangene Rentenbescheid vom 24.3.2017 hat den früheren Bescheid hinsichtlich der Monate September bis November 2016 nicht abgeändert oder ersetzt und wurde deshalb auch nicht Gegenstand des Verfahrens (§ 96 Abs 1 SGG). Regelungsgegenstand dieses Bescheides ist ausschließlich die Bewilligung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem 1.12.2016, nicht auch die Ablehnung einer Rentengewährung ab dem 1.9.2012 (zur Auslegung von Formularbescheiden durch das Revisionsgericht vgl zuletzt BSG Urteil vom 7.4.2022 - B 5 R 24/21 R - RdNr 12 mwN, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen).

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen für die Zeit vom 1.9.2016 bis zum 30.11.2016.

Rechtsgrundlage für die Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen ist § 236a Abs 1 Satz 1 SGB VI in der ab dem 1.1.2008 geltenden Fassung des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) vom 20.4.2007 (BGBl I 554). Versicherte, die vor dem 1.1.1964 geboren sind, haben hiernach frühestens Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen, wenn sie (Nr 1) das 63. Lebensjahr vollendet haben, (Nr 2) bei Beginn der Altersrente als schwerbehinderte Menschen (§ 2 Abs 2 SGB IX) anerkannt sind und (Nr 3) die Wartezeit von 35 Jahren (vgl § 50 Abs 4 Nr 2 SGB VI) erfüllt haben. Die vorzeitige Inanspruchnahme dieser Altersrente ist gemäß § 236a Abs 1 Satz 2 SGB VI frühestens nach Vollendung des 60. Lebensjahres möglich. Für Versicherte, die nach dem 31.12.1951 geboren sind, regelt § 236a Abs 2 Satz 2 SGB VI abweichende Zeitgrenzen. Danach ist für den Geburtsjahrgang 1955, zu dem auch der Kläger zählt, die Altersgrenze von 63 Jahren auf 63 Jahre und 9 Monate und die Altersgrenze für die vorzeitige Inanspruchnahme von 60 Jahren auf 60 Jahre und 9 Monate angehoben.

Zum Zeitpunkt des begehrten Rentenbeginns am 1.9.2016 war der Kläger zwar als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Auch hatte er die für die vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen geltende Altersgrenze erreicht. Die Wartezeit von 35 Jahren (420 Monate) war jedoch nicht erfüllt. Dies war erst nach der Zahlung weiterer freiwilliger Beiträge für die Monate September, Oktober und November 2016 der Fall.

Welche Zeiten auf die Wartezeit von 35 Jahren (§ 50 Abs 4 Nr 2 SGB VI) anzurechnen sind, bestimmt § 51 Abs 3 SGB VI. Danach werden alle Kalendermonate mit rentenrechtlichen Zeiten angerechnet. Gemäß § 54 Abs 1 SGB VI sind rentenrechtliche Zeiten Beitragszeiten (§ 54 Abs 1 Nr 1 SGB VI), beitragsfreie Zeiten (§ 54 Abs 1 Nr 2 SGB VI) und Berücksichtigungszeiten (§ 54 Abs 1 Nr 3 SGB VI). Beitragszeiten können neben Kalendermonaten mit vollwertigen Beiträgen (§ 54 Abs 1 Nr 1 Buchst a SGB VI) auch Kalendermonate mit beitragsgeminderten Zeiten sein (§ 54 Abs 1 Nr 1 Buchst b SGB VI), die sowohl mit Beitragszeiten als auch mit Anrechnungs-, Zurechnungs- oder Ersatzzeiten belegt sind (§ 54 Abs 3 Satz 1 SGB VI). Beitragsfreie Zeiten sind Kalendermonate, die mit Anrechnungszeiten, mit einer Zurechnungszeit oder mit Ersatzzeiten belegt sind, wenn für sie nicht auch Beiträge gezahlt worden sind (§ 54 Abs 4 ...

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