Urteil Nr. B 5 LW 1/21 R des Bundessozialgericht, 2023-02-08

Judgment Date08 Febrero 2023
ECLIDE:BSG:2023:080223UB5LW121R0
Judgement NumberB 5 LW 1/21 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. Mai 2021 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger begehrt für die Zeit vom 1.9.2010 bis zum 30.9.2018 eine Verzinsung seiner für die Monate März 2010 bis Dezember 2015 von der Beklagten im Jahr 2019 nachgezahlten Regelaltersrente.

Der im Jahr 1943 geborene Kläger beantragte im März 2010 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Landwirtschaftlichen Alterskasse Nordrhein-Westfalen, zunächst erfolglos eine Regelaltersrente. Das sich anschließende Klageverfahren wurde im Hinblick auf zwei zum BVerfG erhobene Verfassungsbeschwerden gegen Regelungen im Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) ruhend gestellt. Nach der sog "Hofabgabeklausel" konnten Landwirte eine Regelaltersrente nur beanspruchen, wenn das Unternehmen der Landwirtschaft abgegeben worden war. Dementsprechend bewilligte die Beklagte dem Kläger auf einen erneuten Antrag eine Regelaltersrente ab Januar 2016, nachdem er seine landwirtschaftlichen Flächen verpachtet hatte.

Mit Beschluss vom 23.5.2018 (1 BvR 97/14, 1 BvR 2392/14), veröffentlicht mit Pressemitteilung Nr 68/2018 vom 9.8.2018, erklärte das BVerfG die Hofabgabeklausel mit dem Grundgesetz für unvereinbar. In der Folge hob der Gesetzgeber rückwirkend zum 9.8.2018 die entsprechende Regelung durch das Gesetz zur Stärkung der Chancen für Qualifizierung und für mehr Schutz in der Arbeitslosenversicherung (Qualifizierungschancengesetz) vom 18.12.2018 (BGBl I 2651) auf.

Aufgrund einer vergleichsweisen Beendigung des ruhend gestellten Rechtsstreits gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 29.5.2019 eine Regelaltersrente ab dem 1.3.2010. Die Rentennachzahlung für die Monate März 2010 bis Dezember 2015 in Höhe von insgesamt 24 989,86 Euro verzinste die Beklagte beginnend am 1.10.2018 und endend am 31.5.2019 (Bescheid vom 31.5.2019). Mit seinem Widerspruch forderte der Kläger eine frühere Verzinsung seiner Rentenansprüche ab dem 1.9.2010. Die Beklagte wies den Widerspruch mit der Begründung zurück, Ansprüche auf Gewährung einer Regelaltersrente nach Wegfall der Hofabgabeklausel könnten nicht vor dem Inkrafttreten der entsprechenden Gesetzesänderung zum 9.8.2018 fällig werden. Da Rentenansprüche erst am Ende des jeweiligen Monats fällig würden und die Rentennachzahlung gemäß § 44 SGB I frühestens nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt der Fälligkeit zu verzinsen sei, beginne die Verzinsung erst mit dem 1.10.2018 (Widerspruchsbescheid vom 11.7.2019).

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 18.11.2019). Das LSG hat einen Anspruch auf eine frühere Verzinsung ebenfalls abgelehnt und die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Der Rentennachzahlungsanspruch sei erst am 31.8.2018 fällig geworden, weil die Anspruchsvoraussetzungen erst mit dem rückwirkenden Inkrafttreten der Gesetzesänderung zum 9.8.2018 vorgelegen hätten. Ein früherer Zinsbeginn ergebe sich auch nicht aus dem Beschluss des BVerfG vom 23.5.2018 (1 BvR 97/14, 1 BvR 2392/14). Das BVerfG habe den mit der Hofabgabe verbundenen Eingriff in das Sacheigentum lediglich in bestimmten, näher bezeichneten Härtefällen für verfassungswidrig erachtet, die Hofabgabeklausel nur für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt und von einer Nichtigerklärung abgesehen. Verwaltungsbehörden und Gerichte hätten bis zu einer Gesetzesänderung bereits laufende Verfahren nur aussetzen müssen. Es bestehe keine verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Rente schon für Zeiträume vor Inkrafttreten der Ge-setzesänderung zu verzinsen (Urteil vom 26.5.2021).

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 44 Abs 1 SGB I iVm § 45 Abs 1 ALG iVm § 118 Abs 1 SGB VI. Sein Rentenanspruch bestehe bereits ab dem 1.3.2010. Ab diesem Zeitpunkt habe die Beklagte die Regelaltersrente mit bestandskräftigem Bescheid bewilligt. Auf die Durchsetzbarkeit seines Anspruchs komme es nicht an. Die frühere Verzinsung sei bei festgestellter Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Verzinsung geboten, um Nachteile der verspäteten Auszahlung auszugleichen.

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. Mai 2021 und des Sozialgerichts Münster vom 18. November 2019 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheids vom 31. Mai 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Juli 2019 zu verurteilen, die Nachzahlung der Regelaltersrente für die Monate März 2010 bis Dezember 2015 bis einschließlich zum 30. September 2018 mit vier vom Hundert zu verzinsen, die Ansprüche für März bis Juli 2010 beginnend ab dem 1. September 2010 und die Ansprüche für die weiteren Monate jeweils beginnend am ersten Tag des übernächsten Monats.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).

1. Mit seiner kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG) begehrt der Kläger einen früheren Beginn der Verzinsung seiner Rentennachzahlung für die Monate März 2010 bis Dezember 2015, und zwar für die Ansprüche für März bis Juli 2010 einen Verzinsungsbeginn am 1.9.2010 und für die Ansprüche für die weiteren Monate jeweils einen Beginn der Verzinsung am ersten Tag des übernächsten Monats. Den noch im Berufungsverfahren zuletzt gestellten Antrag auf Verzinsung der Rentennachzahlung "bis zum 31.5.2019" hat der Kläger im Revisionsverfahren im Hinblick auf die von der Beklagten mit Bescheid vom 31.5.2019 bereits ab dem 1.10.2018 festgestellte Verzinsung auf den Zeitraum bis zum 30.9.2018 zulässig beschränkt (§ 165 Satz 1, § 153 Abs 1, § 99 Abs 3 Nr 2 SGG). Gegenstand der revisionsrechtlichen Überprüfung ist daher die Verwaltungsentscheidung der Beklagten im Bescheid vom 31.5.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.7.2019 nur noch insoweit, als auf die Rentennachzahlungen Zinsen nicht schon für einen Zeitraum vor dem 1.10.2018 gezahlt wurden.

2. Der Kläger kann von der Beklagten keine frühere Verzinsung seiner Rentenansprüche für die Monate März 2010 bis Dezember 2015 verlangen. Sein Anspruch auf Leistung einer Regelaltersrente aus der Alterssicherung der Landwirte ist nicht zu einem früheren Zeitpunkt als dem von der Beklagten angenommenen fällig geworden. Der Kläger konnte von der Beklagten vor dem 9.8.2018 keine Rentennachzahlung verlangen.

a) Anspruchsgrundlage seines Zinsanspruchs ist § 44 Abs 1 SGB I. Danach sind Ansprüche auf...

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