Urteil Nr. B 6 KA 9/20 R des Bundessozialgericht, 2021-11-04

Judgment Date04 Noviembre 2021
ECLIDE:BSG:2021:041121UB6KA920R0
Judgement NumberB 6 KA 9/20 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Vertragsärztliche Versorgung - Fortbildungspflicht - Fachgebietswechsel - Recht der Kassenärztlichen Vereinigung zur Sanktionierung eines Verstoßes gegen die Pflicht zum Nachweis der Fortbildung aus der Zeit vor dem Fachgebietswechsel
Leitsätze

Verzichtet ein zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassener Facharzt auf seine Zulassung und erhält er nahtlos eine Zulassung in einem anderen Fachgebiet, bleibt die Kassenärztliche Vereinigung berechtigt, eine Verletzung der Pflicht zum Nachweis der fachlichen Fortbildung während der Zeit vor dem Fachgebietswechsel durch eine Honorarminderung für die Zeit danach zu sanktionieren.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. Januar 2019 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine Honorarkürzung für das Quartal 4/2014 wegen einer Verletzung der Pflicht zum Nachweis der fachlichen Fortbildung nach § 95d SGB V.

Der Kläger war seit 2002 ununterbrochen als Facharzt für Anästhesie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Zum 30.6.2014 verzichtete er auf seine Zulassung als Anästhesist und erhielt zum 1.7.2014 eine neue Zulassung als Facharzt für Allgemeinmedizin. Im Zeitraum vom 1.7.2009 bis 30.6.2014 legte der Kläger trotz wiederholter Hinweise (Schreiben vom 31.7.2013, 5.2., 11.4. und 5.6.2014) der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) keine Fortbildungsnachweise vor. Der Nachweis, dass der Kläger in diesem Fünfjahreszeitraum seiner Fortbildungsverpflichtung nach § 95d SGB V nachgekommen war, ging erst am 15.6.2015 bei der Beklagten ein. Mit Honorarbescheid vom 20.5.2015 kürzte die Beklagte das Honorar des Klägers für das Quartal 4/2014 um 10 vH (7753,09 Euro). Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 3.2.2016).

Das SG hat den Bescheid aufgehoben, soweit er die Honorarkürzung zum Gegenstand hatte, und die Beklagte zur Zahlung von 7753,09 Euro verurteilt (Urteil vom 28.2.2018). Zwar habe der Kläger im hier maßgeblichen Fünfjahreszeitraum bis zum 30.6.2014 nicht die erforderlichen Fortbildungsnachweise erbracht. Dennoch habe die Beklagte das Honorar nicht kürzen dürfen. Die Fortbildungsverpflichtung habe mit dem Verzicht auf die Zulassung als Vertragsarzt für Anästhesie zum 30.6.2014 geendet. Damit sei auch die Berechtigung der Beklagten zur Sanktionierung eines Verstoßes hiergegen entfallen. Daran ändere auch die einen Tag später erfolgte Zulassung des Klägers im selben Zulassungsbezirk nichts, da diese als Neuzulassung anzusehen sei und eine neue Frist für die Fortbildungsverpflichtung in Gang setze.

Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 16.1.2019). Die Voraussetzungen, unter denen nach § 95d SGB V eine Honorarkürzung wegen der Verletzung der Pflicht zum Nachweis über die Fortbildung festzusetzen ist, seien erfüllt. Die Tatsache, dass der Kläger zum 30.6.2014 auf seine Zulassung als Anästhesist verzichtet und zum 1.7.2014 eine neue Zulassung als Allgemeinarzt erhalten habe, ändere nichts an der Zulässigkeit der Honorarkürzung. Das Gesetz knüpfe in § 95d Abs 3 Satz 1 SGB V die Voraussetzungen der Honorarkürzung nicht an ein bestimmtes Zulassungsgebiet, sondern lediglich an den Status als Vertragsarzt. Gefordert werde nur eine fachliche, aber keine fachspezifische Fortbildung. Insofern unterscheide sich die Fortbildungsverpflichtung von der Weiterbildung nach der Weiterbildungsordnung. Anders als der Kläger und das SG meinten, stelle die spätere Wiederzulassung keine Neuzulassung dar. Eine solche Auslegung stünde im Widerspruch zu § 1 Abs 6 der Regelung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zur Fortbildungsverpflichtung der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten nach § 95d SGB V (idF vom 16.9.2004, geändert durch Beschluss vom 31.3.2009; im Folgenden: KBV-Regelung), wonach der Fünfjahreszeitraum bei einem Verzicht auf die Zulassung und späterer Wiederzulassung lediglich unterbrochen werde. Auch könne sich der Vertragsarzt anderenfalls seiner Fortbildungsverpflichtung entziehen, indem er am Ende des Fünfjahreszeitraumes auf seine Zulassung verzichte und zu einem späteren Zeitpunkt eine neue Zulassung erwerbe, wobei es nicht einmal einer Zulassung auf einem anderen Fachgebiet bedürfe. Mit einem Zulassungsverzicht könne der Vertragsarzt, der seine Fortbildungsverpflichtung nicht erfülle, nicht nur einer Honorarkürzung, sondern auch einem Zulassungsentzug entgehen. Nach Sinn und Zweck der Fortbildungsverpflichtung nach § 95d Abs 1 SGB V sei daher auf den Vertragsarztstatus abzustellen.

Mit seiner Revision macht der Kläger eine Verletzung des § 95d SGB V geltend. Mit dem Verzicht auf die vertragsärztliche Zulassung ende die Fortbildungsverpflichtung wie jede andere vertragsärztliche Verpflichtung. Ebenso endeten der Fünfjahreszeitraum und die Möglichkeit der Beklagten zur rechtmäßigen Honorarkürzung. Hiervon sehe § 95d Abs 3 SGB V eine Ausnahme nur für den Fall vor, dass die Zulassung aufgrund des Wegzugs aus dem Zulassungsbezirk ende. Dann laufe die Frist auch bei Verzicht auf die Zulassung weiter und die Kürzung könne bei Wiederzulassung im anderen Bezirk rechtmäßig erfolgen.

Soweit § 1 Abs 6 der KBV-Regelung bestimme, dass bei Verzicht auf die Zulassung und späterer Neuzulassung der Fortbildungszeitraum für den Zeitraum der Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit unterbrochen sei, stehe das mit dem höherrangigen Gesetz in Widerspruch. Im Übrigen fehle der KBV insoweit jede Regelungskompetenz, weil § 95d Abs 6 SGB V die KBV lediglich zu Regelungen über die Inhalte der Fortbildung ermächtige. § 95d SGB V selbst erlaube nach seinem Wortlaut gerade keine Kürzung eines nach erfolgter Neuzulassung erwirtschafteten Honorars. Zu Unrecht ziehe die Beklagte aus § 95d Abs 3 Satz 2 SGB V den Schluss, dass eine Kürzung dann "erst recht" im Falle einer Neuzulassung im gleichen Bezirk zulässig sei. Dabei sei auch zu beachten, dass es sich bei der Honorarkürzung um eine disziplinarische Maßnahme handele, für die der strenge Gesetzesvorbehalt des Art 103 Abs 2 GG zu beachten sei. Folglich verbiete sich eine analoge Anwendung des § 95d Abs 3 Satz 2 SGB V. Darüber hinaus fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke, da der Gesetzgeber offenkundig die Möglichkeit der Neuzulassung nach einer vorherigen Zulassung als Option erkannt und sich dafür entschieden habe, nur für einen einzigen Fall eine Ausnahmeregelung vorzusehen.

Im Übrigen stelle die unterschiedliche Sanktionierung von Verstößen gegen die Fortbildungspflicht bei Aufnahme einer angestellten bzw einer freiberuflichen vertragsärztlichen Tätigkeit nach einem Verzicht auf die Zulassung einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG dar. Entsprechendes gelte für die ungleiche Behandlung von Ärzten, die erstmals zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden und von Ärzten, die bereits zuvor - ggf vor Jahrzehnten - als Vertragsarzt zugelassen waren und die in sehr viel kürzerer Zeit die Fortbildung nachweisen müssten.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 16.1.2019 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG München vom 28.2.2018 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Der Gesetzgeber differenziere nicht, ob der fortbildungsverpflichtete Arzt durchgängig unter einer Facharztbezeichnung zugelassen sei oder zwischenzeitlich ein Fachgebietswechsel stattgefunden habe, sondern stelle insgesamt auf die vertragsärztliche Tätigkeit ab. Die Kürzungsverpflichtung habe daher nicht mit dem Verzicht auf die Zulassung zum 30.6.2014 - nach Ablauf des fünfjährigen Fortbildungszeitraums - geendet, sondern wegen der (nahtlosen) weiteren vertragsärztlichen Tätigkeit des Klägers fortbestanden. Mit der Kürzung werde ua seine gröbliche Pflichtverletzung als Vertragsarzt der letzten fünf Jahre diszipliniert. Der Gesetzgeber stelle in § 95d Abs 3 Satz 3 SGB V entgegen der Auffassung des Klägers nicht auf das Fortbestehen der bisherigen Zulassung, sondern ausdrücklich auf die weitere vertragsärztliche Tätigkeit ab. Darüber hinaus zeige die KBV-Regelung zur Unterbrechung des Fünfjahreszeitraumes, dass hinsichtlich der Fortbildungsverpflichtung auf die gesamte vertragsärztliche Tätigkeit abzustellen sei. Daher sei bei - wie hier - Ablauf des Fortbildungszeitraumes und anschließender Neuzulassung auch nur von einer Unterbrechung des Fortbildungsprozederes (zweijährige Nachfrist mit Kürzungsmaßnahmen) auszugehen. Anderenfalls wären weder Kürzungsmaßnahmen zulässig, noch würde die zweijährige Nachfrist gelten. Dies hätte unweigerlich zur Konsequenz, dass der Kläger für jede sich an den nicht nachgewiesenen Fortbildungszeitraum anschließende Zulassung wegen vorangegangener gröblicher Pflichtverletzung ungeeignet wäre.

Auch der Hinweis auf § 95d Abs 3 Satz 2 SGB V als angeblich einzige Ausnahme, nach der der Fortbildungszeitraum weiterlaufe, könne das Anliegen des Klägers nicht stützen. Da bei Wegzug aus dem Bezirk des Vertragsarztsitzes die Zulassung nach § 95 Abs 7 SGB V von Gesetzes wegen ende, habe der Gesetzgeber klargestellt, dass bei Wiederzulassung in einem anderen Zulassungsbezirk der Fortbildungszeitraum fortgelte. Dies müsse erst recht für den Fall gelten, dass der Vertragsarzt das Ende seiner Zulassung durch einseitige Verzichtserklärung selbst herbeiführe und anschließend im gleichen Zulassungsbezirk eine neue Zulassung beantrage. Im Ergebnis habe der Kläger hier eine Fachgebietsänderung vorgenommen, die auch über § 24 Abs 6 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) durch einen Antrag beim Zulassungsausschuss hätte herbeigeführt werden können und bei der die Fortbildungspflicht unstreitig unverändert fortbestehe. Im Regelfall verzichte allerdings der Vertragsarzt - wie hier der Kläger - auf seine bisherige Zulassung und stelle einen Antrag auf...

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