Urteil Nr. B 6 KA 10/21 R des Bundessozialgericht, 2022-09-07

Judgment Date07 Septiembre 2022
ECLIDE:BSG:2022:070922UB6KA1021R0
Judgement NumberB 6 KA 10/21 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. Oktober 2020 und des Sozialgerichts München vom 21. Mai 2019 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Beklagte die Gewährung von Abschlagszahlungen an die Klägerin auf deren Honorar aus vertragsärztlicher Tätigkeit nicht von der Beibringung einer Bankbürgschaft abhängig machen darf.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in allen Rechtszügen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Abschlagszahlungen auf das vertragsärztliche Honorar.

Die klagende Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ist Trägerin eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ). Einzige Gesellschafterin der Träger-GmbH ist wiederum eine GmbH, die O GmbH. Bis zum Quartal 2/2012 gewährte die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) der Klägerin monatliche Abschlagszahlungen auf das zu erwartende Honorar aus der vertragsärztlichen Tätigkeit des MVZ. Mit Wirkung zum 1.7.2012 änderte die Beklagte ihre Abrechnungsbestimmungen (im Folgenden: AbrBestKVB) durch die Einführung eines neuen § 5 Abs 1a AbrBestKVB. Über die bevorstehende Änderung informierte sie die Klägerin mit Schreiben vom 18.4.2012 und machte die weitere Gewährung von Abschlagszahlungen - ausgehend von einem monatlichen Abschlag von 2 407 700 Euro - von der Beibringung einer Bankbürgschaft über 12 038 500 Euro abhängig. Die Klägerin brachte keine Bankbürgschaft bei, sodass die Beklagte keine weiteren Abschlagszahlungen leistete. Hiergegen sowie gegen das Schreiben vom 18.4.2012 legte die Klägerin Widerspruch ein, den die Beklagte als unzulässig und auch als unbegründet zurückwies (Widerspruchsbescheid vom 30.10.2013).

Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 21.5.2019; Urteil des LSG vom 7.10.2020). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, dass der Beklagten bei der Ausgestaltung der Regelungen zur Abschlagszahlung ein weiter Gestaltungsspielraum zukomme, den diese nicht überschritten habe. Die geänderte Regelung verstoße nicht gegen § 95 Abs 2 Satz 6 SGB V, die allein die Bürgschaftsverpflichtung als Voraussetzung für die Zulassung eines in der Rechtsform einer GmbH betriebenen MVZ regele. Sie habe hingegen nicht die Voraussetzungen für die Gewährung von Abschlagszahlungen zum Gegenstand. Die in den Abrechnungsbestimmungen getroffene Regelung zur Beibringung einer Bürgschaft verstoße auch nicht gegen Art 3 Abs 1 GG. Die Ungleichbehandlung knüpfe nicht an personenbezogene Merkmale, sondern überwiegend an verhaltensbezogene Umstände an, die beeinflussbar seien. Zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung sei daher nur ein sachlich einleuchtender Grund erforderlich, der hier vorliege. Während ein in Einzelpraxis oder in einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) tätiger Vertragsarzt oder Vertragsärzte, die als Gesellschafter eines MVZ zur Vorlage einer selbstschuldnerischen Bürgschaft verpflichtet seien, mit ihrem gesamten privaten Vermögen hafteten, sei die Haftung einer GmbH grundsätzlich auf deren Gesellschaftsvermögen begrenzt. Die Höhe der angeforderten Bürgschaft (fünf Abschläge) sei angemessen, da erst mehr als sechs Monate nach Beginn des Abrechnungsquartals die konkrete Höhe des Bruttohonorars feststehe.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 95 Abs 2 Satz 6 SGB V und Art 3 Abs 1 GG. Mit der von der Beklagten geforderten zusätzlichen Bürgschaft der MVZ-Trägergesellschaft werde § 95 Abs 2 Satz 6 SGB V unterlaufen und die dazu ergangene Rechtsprechung des BSG missachtet. Die angegriffene Regelung verletze zudem Art 3 Abs 1 GG, weil nur von MVZ, hinter deren Trägergesellschaft eine GmbH stehe, eine - mit Kosten verbundene - Bankbürgschaft vorzulegen sei. Für diese Ungleichbehandlung bestehe kein sachlicher Grund. Eine ausreichende Absicherung von Gläubigern werde bereits über § 95 Abs 2 Satz 6 SGB V erreicht. Eine GmbH hafte - ebenso wie eine natürliche Person - mit ihrem gesamten Vermögen. Bei Vermögenslosigkeit seien auch Rückforderungsansprüche gegen natürliche Personen nicht zu realisieren. Zudem hätte die Beklagte eine weitere Absicherung erreichen können, ohne die MVZ-GmbH mit den hohen Kosten einer Bankbürgschaft zu belasten, indem sie eine selbstschuldnerische Bürgschaft der hinter einer Träger-GmbH stehenden natürlichen Person verlangt. Aufgrund der seit dem 1.8.2021 geltenden Regelungen zum Transparenzregister seien die entsprechenden Personen leicht zu ermitteln.

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Bayerischen LSG vom 7.10.2020 und des SG München vom 21.5.2019 aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagte die Gewährung von Abschlagszahlungen an die Klägerin auf deren Honorar aus vertragsärztlicher Tätigkeit nicht von der Beibringung einer Bankbürgschaft abhängig machen darf.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

§ 95 Abs 2 Satz 6 SGB V regele die Voraussetzungen der Zulassung des MVZ zur vertragsärztlichen Versorgung, entfalte aber keine Sperrwirkung auf der Ebene der Abrechnungsbestimmungen. Entgegen der Auffassung der Klägerin verstoße die in den Abrechnungsbestimmungen getroffene Regelung zum Bürgschaftserfordernis auch nicht gegen Art 3 Abs 1 GG. Vertragsärzte, die Gesellschafter einer MVZ-Trägergesellschaft seien und die nach § 95 Abs 2 Satz 6 SGB V zur Beibringung einer selbstschuldnerischen Bürgschaft verpflichtet seien, müssten mit ihrem gesamten Vermögen für etwaige Rückforderungen von KÄVen und Krankenkassen einstehen. Dagegen sei die Haftung einer GmbH auf das Vermögen der Gesellschaft beschränkt. Die Argumentation der Klägerin, nach der KÄVen die Möglichkeit haben, eine zusätzliche Absicherung durch selbstschuldnerische Bürgschaften der hinter der MVZ-Trägergesellschaft stehenden natürlichen Personen zu erlangen, sei unverständlich und mit der Rechtsprechung des BSG nicht zu vereinbaren. Es sei auch nicht Aufgabe der KÄVen oder der Zulassungsgremien, die Gesellschafter einer MVZ-Trägergesellschaft zu ermitteln.

Der Senat hat im Revisionsverfahren die die Einführung des § 5 Abs 1a AbrBestKVB betreffenden Materialien (Beschlussvorlage des Vorstands für die Vertreterversammlung am 26.11.2011, Protokoll der Sitzung der Vertreterversammlung am 26.11.2011, ua) beigezogen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin hat Erfolg (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Die Beklagte darf die Zahlung von Abschlägen auf das zu erwartende Honorar der Klägerin aus der vertragsärztlichen Tätigkeit des von ihr getragenen MVZ nicht von der Vorlage einer Bankbürgschaft abhängig machen. Soweit die Beklagte in ihren Abrechnungsbestimmungen Abweichendes geregelt hat, sind diese mit höherrangigem Recht unvereinbar und nichtig.

A. Gegenstand des Verfahrens sind die beiden vorinstanzlichen Urteile. Gegen den Widerspruchsbescheid, mit dem die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen das Schreiben vom 18.4.2012 (auch) als unzulässig zurückgewiesen hat, hat sich die Klägerin auch nicht mehr hilfsweise gewandt, nachdem der Senat im Revisionsverfahren darauf hingewiesen hat, dass es sich bei dem genannten Schreiben auch nach seiner Auffassung nicht um einen Verwaltungsakt iS des § 31 SGB X handelt.

B. Die Klage ist als Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG zulässig.

1. Das erforderliche Feststellungsinteresse folgt aus dem Umstand, dass die Beklagte es weiterhin ablehnt, der Klägerin monatliche Honorarabschläge ohne vorherige Beibringung einer Bankbürgschaft zu zahlen.

2. Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht nicht entgegen, dass sie auf die Klärung einzelner Elemente eines Rechtsverhältnisses gerichtet ist. Zwar hängt der Anspruch auf Abschlagszahlung nicht allein von der Beibringung einer Bankbürgschaft ab. Auch die auf Feststellung einzelner Elemente eines Rechtsverhältnisses gerichtete Elementenfeststellungsklage ist allerdings zulässig, wenn sicher anzunehmen ist, dass dadurch der Streit der Beteiligten insgesamt bereinigt wird (BSG Urteil vom 15.6.2016 - B 4 AS 36/15 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 90 RdNr 18 mwN; vgl auch BSG Urteil vom 25.11.2020 - B 6 KA 28/19 R - SozR 4-5531 Abschn 31.5.3 Nr 1 RdNr 16). So liegt der Fall hier. Auch die Beklagte stellt nicht in Frage, dass die Klägerin Anspruch auf Abschlagszahlungen hat, wenn eine Bankbürgschaft nicht verlangt werden darf.

3. Die Zulässigkeit des Feststellungsantrags hängt hier nicht davon ab, ob die Klägerin ihr Begehren möglicherweise auch mit einer Verpflichtungs- oder einer isolierten Leistungsklage hätte erreichen können. Zwar gilt der Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage auch im sozialgerichtlichen Verfahren, obwohl er - anders als in § 43 Abs 2 VwGO und § 41 Abs 2 FGO - keinen ausdrücklichen Niederschlag im Gesetzeswortlaut gefunden hat (stRspr; vgl BSG Urteil vom 2.7.2013 - B 4 AS 74/12 R - SozR 4-4200 § 6b Nr 2 RdNr 24 mwN). Dieser gilt jedoch bei Feststellungsklagen gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts nur eingeschränkt, da angenommen werden kann, dass solche Beklagte aufgrund ihrer verfassungsrechtlich verankerten Bindung an Gesetz und Recht (Art 20 Abs 3 GG) rechtskräftigen (feststellenden) Urteilen auch ohne Vollstreckungsdruck nachkommen (vgl BSG Urteil vom 14.5.2014 - B 6 KA 21/13 R - BSGE 116, 1 = SozR 4-2500 § 34 Nr 14, RdNr 20; BSG Urteil vom 26.5.2021 - B 6 KA 7/20 R - SozR 4-1300 § 56 Nr 2 RdNr 16; jeweils mwN).

4. Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht auch nicht das Erfordernis entgegen, vor ihrer Erhebung grundsätzlich ein Verwaltungs- und ein Vorverfahren durchzuführen (vgl BSG Beschluss vom 15.12.2020 - B 2 U 142/20 B - juris RdNr 8; BSG Urteil vom 4.11.2021 - B 6 KA 13/20 R - juris RdNr 19, zur Veröffentlichung in SozR 4-5540 Anl 9.1 Nr 15 vorgesehen). Zwar hat die Beklagte hier keinen Ausgangsbescheid erlassen und den Widerspruch der Klägerin in erster Linie als unzulässig zurückgewiesen. Sie hat aber sowohl in dem Schreiben vom 18.4.2012 als auch in der Begründung des Widerspruchsbescheides unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie die im Streit stehende...

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