Urteil Nr. B 7 AS 15/22 R des Bundessozialgericht, 2023-12-13

Judgment Date13 Diciembre 2023
ECLIDE:BSG:2023:270923UB7AS1722R0
Judgement NumberB 7 AS 15/22 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 18. Mai 2022 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anrechnung von Einnahmen aus einer Reservistenübung.

Der 1975 geborene Kläger war Soldat auf Zeit und wird als Oberstleutnant der Reserve bei der Bundeswehr regelmäßig zum Dienst zur Ableistung einer Übung herangezogen. Das beklagte Jobcenter bewilligte ihm Alg II ohne Anrechnung von Einkommen, ua für Juli 2017 iHv 856,70 Euro (Bescheid vom 9.2.2017). Wegen seiner Teilnahme an einer Übung vom 26. bis 30.6.2017 erhielt der Kläger vom Personalmanagement der Bundeswehr Ende Juli 2017 631,35 Euro (Summe aus Mindestleistung iHv 498,75 Euro und Reservistendienstleistungsprämie iHv 132,60 Euro). Weitere Einnahmen erzielte er in diesem Monat nicht.

Der Beklagte hob die Bewilligung von Alg II für Juli 2017, gestützt auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X teilweise auf und verlangte insoweit die Erstattung von 601,35 Euro (Bescheid vom 28.8.2017). Dem Widerspruch half er teilweise ab. Er bereinigte die Reservistendienstleistungsprämie, nicht aber die Mindestleistung als Erwerbseinkommen, bewilligte 331,87 Euro und verringerte daher den Aufhebungsbetrag sowie die Erstattungsforderung auf 524,83 Euro (Widerspruchsbescheid vom 7.11.2017). Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29.1.2019). Das LSG hat auf die von ihm zugelassene Berufung das Urteil des SG aufgehoben und den Bescheid des Beklagten vom 28.8.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.11.2017 dahingehend geändert, dass dem Kläger für Juli 2017 ein Leistungsanspruch iHv 431,62 Euro zusteht und von ihm lediglich ein Überzahlungsbetrag iHv 425,08 Euro zu erstatten ist (Urteil vom 18.5.2022). Bei der Teilnahme an einer Wehrübung als Soldat handele es sich um einen Beruf und damit eine auf eigener Arbeitsleistung beruhende und auf Erwerb und Existenzsicherung abzielende Tätigkeit. Davon ausgehend könne nichts Anderes für Dienstleistungen als Soldat im Rahmen von Wehrübungen gelten, die grundsätzlich an eine frühere Tätigkeit als Berufssoldat anknüpften. Da hierfür Reservistendienstleistungsprämie und Mindestleistung gezahlt würden, seien beide wie Erwerbseinkommen zu bereinigen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte die Verletzung von § 11b Abs 2 und 3 SGB II.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 18. Mai 2022 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 29. Januar 2019 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Einkommen des Klägers aus der Übung im Juni 2017 ist im Juli 2017 nicht anzurechnen.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid vom 28.8.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.11.2017. Der Beklagte hat darin die vorangegangene Bewilligung von Alg II für Juli 2017 wegen der Erzielung von Einkommen zuletzt teilweise iHv 524,83 Euro aufgehoben und die Erstattung dieses Betrags verlangt. Im Revisionsverfahren geht es noch darum, ob das LSG den Aufhebungs- und Erstattungsbetrag zu Recht weiter verringert hat, wegen der nur vom Beklagten eingelegten Revision begrenzt auf 425,08 Euro.

2. Der Sachentscheidung entgegenstehende prozessuale Hindernisse bestehen nicht. Hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Verringerung des Aufhebungs- und Erstattungsbetrags ist die reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGG) statthafte Klageart. Seine Berufung war statthaft, weil sie vom LSG zugelassen worden ist (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG).

3. Der Aufhebungsbescheid des Beklagten vom 28.8.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.11.2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Aufhebungsbescheids richtet sich nach § 40 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Nr 3 SGB II (idF der Neubekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850) iVm § 330 Abs 3 Satz 1 SGB III (idF des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011, BGBl I 2854) und § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X (idF der Neubekanntmachung vom 18.1.2001, BGBl I 130). Zutreffend hat der Beklagte nicht nur vorläufig Alg II bewilligt (vgl BSG vom 14.12.2021 - B 14 AS 73/20 R - SozR 4-4200 § 41a Nr 3 RdNr 12 ff).

Nach diesen Vorschriften ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit nach seinem Erlass Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Erforderlich ist ein Vergleich zwischen den Verhältnissen bei der Bewilligung des Alg II am 9.2.2017 und bei Berücksichtigung des Einkommens im Juli 2017 durch die angegriffenen Verwaltungsentscheidungen (vgl BSG vom 23.6.2016 - B 14 AS 4/15 R - SozR 4-4200 § 60 Nr 4 RdNr 12).

Die zugeflossenen Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz (idF des Gesetzes zur Neuregelung der Unterhaltssicherung sowie zur Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften vom 29.6.2015, BGBl I 1061; im Folgenden USG 2015) sind berücksichtigungsfähiges Einkommen. Sie können daher grundsätzlich zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs auf Alg II führen.

Als Einkommen zu berücksichtigen sind gemäß § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II (idF des Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26.7.2016, BGBl I 1824) Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen.

a) Die Mindestleistung unterfällt wie die Reservistendienstleistungsprämie nicht § 11a Abs 3 Satz 1 SGB II (idF der Neubekanntmachung vom 13.5.2011), ist also keine Einnahme, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht wird und deren Berücksichtigung so weit erfolgt, wie sie und die Leistungen nach dem SGB II demselben Zweck dienen. Hierfür fehlt es schon an einer ausdrücklichen gesetzlichen Zweckbestimmung (dazu zuletzt BSG vom 11.11.2021 - B 14 AS 15/20 R - BSGE 133, 149 = SozR 4-4200 § 11a Nr 6, RdNr 25 ff). Die Leistungen zählen auch nicht zu den in § 1 Abs 1 Nr 5 Alg II-V (idF vom 17.12.2007, BGBl I 2942) genannten anrechnungsfreien Einnahmen von Soldaten.

b) Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass auch die Mindestleistung als Einkommen aus Erwerbstätigkeit zu bereinigen ist.

Gemäß § 11b Abs 2 Satz 1 und 2 SGB II (idF vom 26.7.2016) ist bei erwerbsfähigen...

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