Urteil Nr. B 9 SB 2/18 R des Bundessozialgericht, 2020-09-24

Judgment Date24 Septiembre 2020
ECLIDE:BSG:2020:240920UB9SB218R0
Judgement NumberB 9 SB 2/18 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Vertretungsbefugnis eines Rentenberaters in Schwerbehindertenangelegenheiten - Bezug zu einer Rente oder zu Versorgungsleistungen - Alterlaubnis zur Rechtsberatung - Umfang der Alterlaubnis - Auslegung - Bestandsschutz - Registrierung im Rechtsdienstleistungsregister - Rechtswirkung der Registrierung - Verfassungsrecht - Berufsausübungsfreiheit - Schutz vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen
Leitsätze

1. Rentenberater, die bei der zuständigen Behörde registriert sind, dürfen Rechtsdienstleistungen im Bereich des Schwerbehindertenrechts nur mit Bezug zu einer gesetzlichen Rente oder zu Versorgungsleistungen erbringen.

2. Alterlaubnisinhaber dürfen weiterhin unter ihrer bisher geführten Berufsbezeichnung Rechtsdienstleistungen in allen Bereichen des Rechts erbringen, auf die sich ihre bisherige Erlaubnis erstreckt.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. Oktober 2018 aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 2. März 2017 zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens.

Der Streitwert wird auf 5000 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Befugnis des Klägers, als Verfahrensbevollmächtigter in einem Widerspruchsverfahren zur Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) aufzutreten.

Der Kläger bezeichnet sich als Rechtsbeistand für Sozial- und Rentenrecht. Er besaß seit dem 20.9.1977 eine vom Präsidenten des AG Karlsruhe nach Art 1 § 1 Abs 1 Rechtsberatungsgesetz (RBerG) erteilte Erlaubnis zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten mit der Beschränkung auf das Rechtsgebiet der gesetzlichen Rentenversicherung. Hierzu erteilte ihm der Präsident des LSG Baden-Württemberg am 14.11.1977 die Erlaubnis zum mündlichen Verhandeln vor dem SG Karlsruhe und dem LSG Baden-Württemberg. Die Erlaubnis wurde in der Folgezeit vom Präsidenten des AG Karlsruhe am 14.4.1980 ohne Geltung für die mündliche Verhandlung vor Gericht auf das Gebiet der Berechnung von Rentenanwartschaften und Aussichten auf eine Versorgung gemäß § 1587a Abs 2 Nr 2 BGB, §§ 1304 ff RVO erweitert und am 30.6.1982 für den Sachbereich "Rentenberater" (Original "Rentenberatern") erteilt. Der Präsident des LSG Baden-Württemberg erweiterte am 24.1.1984 die bisherige Erlaubnis zum mündlichen Verhandeln vor dem SG Karlsruhe und dem LSG Baden-Württemberg auf den Sachbereich "Rentenberatung" iS des Art 1 § 1 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RBerG. Auf Anfrage des Klägers führte der Präsident des LSG Baden-Württemberg mit Schreiben vom 10.8.2004 aus, nachdem die Verfügung vom 24.1.1984 den Sachbereich "Rentenberatung" abdecke, bedürfe es für das Sachgebiet "Versorgungs- und Schwerbehindertenrecht" keines besonderen Hinweises in der Erlaubnisverfügung. Der Präsident des AG Karlsruhe teilte auf eine weitere Anfrage des Klägers unter dem 15.2.2005 mit, die 1977 und 1982 erteilte Erlaubnis zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten auf dem Sachgebiet "Rentenberatung" beziehe sich auch auf das Schwerbehindertenrecht.

Nach Einführung des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) registrierte das AG Karlsruhe den Kläger am 7.10.2008 und 19.12.2008 antragsgemäß im Rechtsdienstleistungsregister als "registrierter Erlaubnisinhaber" mit dem Inhalt "Rechtsbeistand auf dem Gebiet des Sozial- und Rentenrechts; Rechtsbeistand/Prozessagent mit Befugnis nach § 73 Abs 6 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit … auf dem Gebiet des Sozial- und Rentenrechts mündlich zu verhandeln". Am 27.3.2009 erfolgte eine Ergänzung mit dem Inhalt: "Erlaubnis zur geschäftsmäßigen Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten auf dem Gebiet des Schwerbehinderten- und Kassenarztrechts sowie auf dem Gebiet der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Eingeschlossen ist die Erlaubnis zum mündlichen Verhandeln vor allen Sozial- und Landessozialgerichten …". Nach einem Zuständigkeitswechsel zum Präsidenten des LG Karlsruhe wurde diese Eintragung am 2.4.2015 aktualisiert und erneut bekanntgemacht. Hierzu teilte der Präsident des LG Karlsruhe als nunmehr zuständige Registrierungsbehörde mit Schreiben vom 29.6.2016 dem Kläger auf Anfrage ua mit, dass der Umfang der Erlaubnis im Rechtsdienstleistungsregister so genau bezeichnet sei, dass die registrierte Person bereits vor Inkrafttreten des RDG auch in Verfahren des Krankenversicherungs-, Pflegeversicherungs- und Schwerbehindertenrechts ohne konkreten Rentenbezug im Einzelfall zur Vertretung berechtigt gewesen sei.

Auf der Grundlage der erteilten Erlaubnisse und vorgenommenen Registrierungen übernahm der Kläger die Vertretung in einem Widerspruchsverfahren des P W (nachfolgend: W) gegen einen Bescheid des Beklagten vom 22.9.2016, mit dem dieser einen GdB von lediglich 30 ab dem 29.7.2016 festgestellt hatte. Nach Anhörung vom 13.10.2016 und ergänzender Stellungnahme des Klägers vom 17.10.2016 wies der Beklagte den Kläger als Bevollmächtigten zurück, weil registrierte Rentenberater, einschließlich derer mit einer Alterlaubnis nach dem RBerG, in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts nur dann befugt seien aufzutreten, wenn ein konkreter Zusammenhang mit Rentenfragen bestehe (Bescheid vom 27.10.2016; Widerspruchsbescheid vom 6.12.2016). Anschließend wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.7.2017 auch den Widerspruch im GdB-Feststellungsverfahren zurück.

Die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Zurückweisung als Verfahrensbevollmächtigter gerichtete Klage hat das SG abgewiesen, weil es der Angelegenheit am erforderlichen Rentenbezug nach § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 2 RDG fehle. Ein solcher müsse auch nach der unter Geltung des RBerG erteilten Alterlaubnis gegeben sein (Urteil vom 2.3.2017). Auf die Berufung des Klägers hat das LSG festgestellt, dass der Kläger berechtigt gewesen sei, in der Schwerbehindertenangelegenheit des W aufzutreten (Urteil vom 24.10.2018). Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Die Zurückweisung des Klägers im Widerspruchsverfahren des W sei zu Unrecht erfolgt. Die selbstständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen sei in dem Umfang zulässig, in dem sie durch das RDG oder durch oder aufgrund anderer Gesetze erlaubt werde. Diese Erlaubnis ergebe sich zwar nicht aus der Alterlaubnis des Klägers, weil diese allein für den Bereich "Rentenberatung" erteilt worden sei, in dem Sinne, dass das Tätigwerden Renten betreffen müsse. Die Vertretung weise indes keinen konkreten Renten- oder Versorgungsbezug auf. Der 1967 geborene W könne noch keine Altersrente für schwerbehinderte Menschen beantragen und habe auch sonst keine vergleichbaren Versorgungsansprüche.

Eine Erlaubnis für die vom Kläger erbrachte außergerichtliche Rechtsdienstleistung ergebe sich aber aus der Registrierung im Rechtsdienstleistungsregister. Diese erlaube ihm, außergerichtliche Rechtsdienstleistungen auf dem Gebiet des Schwerbehindertenrechts ohne konkreten Renten- oder Versorgungsbezug zu erbringen. Die Registrierung stelle einen Verwaltungsakt dar, dessen Feststellungen Tatbestandswirkung gegenüber anderen Behörden bzw Gerichten zukomme. Dies ergebe sich aus § 1 Abs 3 Satz 2 RDG-Einführungsgesetz (RDGEG), wonach Erlaubnisinhaber, deren Erlaubnis sich auf andere Bereiche erstrecke oder deren Befugnisse über die in § 10 Abs 1 RDG geregelten Befugnisse hinausgingen, als "registrierte Erlaubnisinhaber" registriert seien. Der Beklagte sei deshalb im Zurückweisungsverfahren an die Tatbestandswirkung der Registrierung gebunden gewesen.

Mit seiner Revision rügt der Beklagte einen Verstoß gegen § 1 Abs 3 Satz 2 RDGEG. Mit der Annahme einer Drittbindungswirkung werde der Beklagte von sämtlichen materiellen Einwendungen in Bezug auf die Vertretungsbefugnis ausgeschlossen und die Registrierung einer gerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle entzogen. Hierin liege ein Verstoß gegen die Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs 4 GG und die Verfahrensgrundrechte aus Art 101 Abs 1 Satz 2 und Art 103 Abs 1 GG.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. Oktober 2018 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 2. März 2017 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Er hält das vorinstanzliche Urteil für zutreffend. Die ihm im Jahr 1977 erteilte Erlaubnis nach Art 1 § 1 Abs 1 RBerG in der damals gültigen Fassung habe eine Vertretung im Schwerbehindertenrecht ohne Bezug zur gesetzlichen Rentenversicherung umfasst. Die im Rechtsdienstleistungsregister eingetragene Erlaubnis habe auch für den Fall ihrer Fehlerhaftigkeit Bestandskraft. Anderenfalls werde beantragt, das AG Karlsruhe als erlaubniserteilende Behörde beizuordnen.

Entscheidungsgründe

Die statthafte Revision des Beklagten ist zulässig und begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Das Urteil des LSG ist aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen. Der Kläger war nicht berechtigt, im Widerspruchsverfahren des W zur Feststellung eines höheren GdB als Verfahrensbevollmächtigter aufzutreten. Der Zurückweisungsbescheid vom 27.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.12.2016 (§ 95 SGG) war bis zu seiner Erledigung rechtmäßig und verletzte den Kläger nicht in seinen Rechten.

A. Einer Sachentscheidung des Senats stehen keine prozessualen Hindernisse entgegen. Die Vorinstanzen haben zu Recht die Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 131 Abs 1 Satz 3 SGG) des Klägers für zulässig erachtet, weil dieser ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 27.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.12.2016 hat. Der Zurückweisungsbescheid hat sich mit Abschluss des Widerspruchsverfahrens nach dem Schwerbehindertenrecht auf andere Weise erledigt (vgl § 39 Abs 2 SGB X). Das erforderliche Feststellungsinteresse des Klägers ergibt sich insbesondere daraus, dass für weitere Widerspruchsverfahren seiner Mandanten nach dem SGB IX...

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