Urteil Nr. I ZB 43/22 des I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, 27-07-2023

ECLIECLI:DE:BGH:2023:270723BIZB43.22.0
Date27 Julio 2023
Docket NumberI ZB 43/22
CourtI. Zivilsenat
ECLI:DE:BGH:2023:270723BIZB43.22.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I ZB 43/22 Verkündet am:
27. Juli 2023
Hemminger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Verfahren
auf Feststellung der Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 1025 Abs. 1 und 2, § 1032 Abs. 2; Vertrag über die Energiecharta (ECV) Art. 26; Überein-
kommen vom 18. März 1965 zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und
Angehörigen anderer Staaten (ICSID-Übereinkommen) Art. 25, 26 Satz 1, Art. 41 Abs. 1, Art. 53,
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a) Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für einen Antrag gemäß § 1032 Abs. 2
ZPO folgt bei Schiedsverfahren ohne Schiedsort nach dem ICSID-Übereinkommen aus einer
analogen Anwendung von § 1025 Abs. 2 ZPO.
b) Die Kompetenz-Kompetenz des Schiedsgerichts gemäß Art. 41 Abs. 1 ICSID-Übereinkom-
men steht der Statthaftigkeit eines Verfahrens nach § 1032 Abs. 2 ZPO jedenfalls ab der Ein-
leitung eines ICSID-Schiedsverfahrens grundsätzlich entgegen.
c) In der besonderen Konstellation eines Intra-EU-Investor-Staat-Schiedsverfahrens nach dem
ICSID-Übereinkommen auf der Grundlage von Art. 26 ECV steht der Statthaftigkeit eines An-
trags nach § 1032 Abs. 2 ZPO die Sperrwirkung des Art. 41 Abs. 1 ICSID-Übereinkommen
wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts - auch gegenüber dem Völkerrecht - unter
Berücksichtigung des Effektivitätsgrundsatzes ausnahmsweise nicht entgegen.
d) Dem Abschluss einer wirksamen Schiedsvereinbarung in einem Intra -EU-Investor-Staat-
Schiedsverfahren auf der Grundlage von Art. 26 ECV steht entgegen, dass die Schiedsklausel
in Art. 26 Abs. 2 Buchst. c ECV nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen
Union für Intra-EU-Investor-Staat-Schiedsverfahren gegen Unionsrecht verstößt. Wegen der
Unvereinbarkeit insbesondere mit Art. 267, 344 AEUV fehlt es an einer wirksamen Einwilli-
gung und damit an einem Angebot des Gaststaats zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung.
BGH, Beschluss vom 27. Juli 2023 - I ZB 43/22 - Kammergericht
ECLI:DE:BGH:2023:270723BIZB43.22.0
- 3 -
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Mai 2023 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Koch, den Richter
Feddersen, die Richterinnen Pohl, Dr. Schmaltz und den Richter Odörfer
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss
des Kammergerichts - 12. Zivilsenat - vom 28. April 2022 aufgeho-
ben.
Es wird festgestellt, dass das von den Antragsgegnerinnen gegen die
Antragstellerin vor dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von
Investitionsstreitigkeiten (International Centre for Settlement of In-
vestment Disputes) eingeleitete schiedsrichterliche Verfahren, das
unter dem Aktenzeichen ICSID ARB/21/26 geführt wird, unzulässig
ist.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsgegnerinnen.
Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 30 Mio. € festge-
setzt.
Gründe:
A. Die Antragstellerin ist die Bundesrepublik Deutschland (nachfolgend
auch "Deutschland"). Die Antragsgegnerin zu 1 und ihre beiden Tochterunter-
nehmen, die Antragsgegnerinnen zu 2 und 3, haben ihren Sitz in Irland. Die An-
tragsgegnerin zu 2 hält jeweils 100 % der Geschäftsanteile an den Antragsgeg-
nerinnen zu 4 bis 6, die ihren Sitz in Deutschland haben.
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