Urteil Nr. V ZR 191/22 des V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, 19-01-2024

ECLIECLI:DE:BGH:2024:190124UVZR191.22.0
Date19 Enero 2024
Docket NumberV ZR 191/22
CourtV. Zivilsenat
ECLI:DE:BGH:2024:190124UVZR191.22.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 191/22 Verkündet am:
19. Januar 2024
Weschenfelder
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BauGB § 11 Abs. 2 Satz 1; ErbbauRG § 32 Abs. 1 Satz 2
a) Vereinbart eine Gemeinde als Grundstückseigentümerin mit einem Privaten
in einem Erbbaurechtsvertrag den Ausschluss der Heimfallvergütung, ver-
stößt dies für sich genommen nicht gegen das Gebot angemessener Ver-
tragsgestaltung aus § 11 Abs. 2 Satz 1 BauGB.
b) Der Ausschluss der Heimfallvergütung führt dazu, dass die Geltendma-
chung des Heimfallanspruchs einer strengen Ausübungskontrolle im Hin-
blick auf die Verhältnismäßigkeit des gemeindlichen Handelns unterliegt.
Die Forderung nach der vergütungslosen Rückübertragung des Erbbau-
rechts kann sich insbesondere dann als unverhältnismäßig darstellen, wenn
der Heimfall nicht auf einer schwerwiegenden Vertragsverletzung des Erb-
bauberechtigten beruht, das Bauwerk ganz oder weitestgehend fertigge-
stellt ist, der Erbbauberechtigte erhebliche Investitionen getätigt hat und die
Gemeinde absehbar in der Lage sein wird, das Bauwerk anderweitig zu nut-
zen oder zu verwerten.
BGH, Urteil vom 19. Januar 2024 - V ZR 191/22 - OLG Stuttgart
LG Stuttgart
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. November 2023 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Brückner, die
Richterin Haberkamp und die Richter Dr. Hamdorf, Dr. Malik und Dr. Schmidt
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart
- 10. Zivilsenat - vom 13. September 2022 wird auf Kosten des
Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin ist eine Stadt in Baden-Württemberg, der Beklagte ein ge-
meinnütziger Verein, dessen Zweck darin besteht, Menschen islamischen Glau-
bens soziale, kulturelle und religiöse Dienste anzubieten. Um ihren muslimischen
Bürgern die Ausübung ihres Glaubens in einer Moschee zu ermöglichen, verein-
barte die Klägerin mit dem Beklagten, dass dieser ein Grundstück der Klägerin in
einem ersten Bauabschnitt mit einer Moschee und einem Kulturhaus und in
einem zweiten Bauabschnitt mit einem Schülerwohnheim, einem Bistro, einem
Friseur und einem Geschäft für Halal-Produkte bebauen sollte. Die Parteien
schlossen am 26. November 2014 eine als Erbbaurechtsvertrag bezeichnete
notarielle Vereinbarung (nachfolgend ErbbV), mit der die Klägerin dem Beklagten
für die Dauer von 60 Jahren und einer Verlängerungsmöglichkeit von weiteren
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30 Jahren ein Erbbaurecht an ihrem Grundstück einräumte. Es wurde ein gestaf-
felter Erbbauzins vereinbart von anfänglich 35.336 € jährlich ab dem 1. Juli 2017.
Der Beklagte verpflichtete sich, den ersten Bauabschnitt innerhalb von vier Jah-
ren ab dem 1. November 2014 fertigzustellen. Nach Abschn. II Ziff. 7 ErbbV kann
die Klägerin vor Zeitablauf die Rückübertragung des Erbbaurechts verlangen, un-
ter anderem dann, wenn der Beklagte die Bauverpflichtung nicht erfüllt (Heimfall-
anspruch). Für diesen Fall ist die Vergütung für das Erbbaurecht ausgeschlos-
sen. Nach Abschn. II Ziff. 7 Abs. 3 ErbbV ist der Beklagte schuldrechtlich ver-
pflichtet, das Bauwerk auf Verlangen der Klägerin auf eigene Kosten zu beseiti-
gen. In dem Vertrag unterbreitete die Klägerin dem Beklagten ein Kaufangebot
für das Grundstück, das bis Ende 2023 ausgeübt werden konnte und mit einer
gleichlautenden Bauverpflichtung verknüpft war. Mit vollständiger Kaufpreiszah-
lung sollte der Besitz an dem Grundstück auf den Beklagten übergehen und die
Verpflichtung zur Zahlung von Erbbauzinsen enden. Die Klägerin behielt sich für
den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung der Bauverpflichtung ein Wiederkaufs-
recht vor. Als Wiederkaufspreis wurde der Ankaufpreis von 883.400 € vereinbart
zuzüglich des Werts der Verwendungen, insbesondere auf die Gebäude, soweit
sie zur Zeit des Wiederkaufs einen Verkaufswert haben. Das Erbbaurecht wurde
in das Erbbaugrundbuch eingetragen. Die Baugenehmigung für den ersten Bau-
abschnitt wurde im Februar 2015 erteilt, Baubeginn und Bauausführung verzö-
gerten sich jedoch. Im Juli 2018 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass er die
Frist für die Fertigstellung des ersten Bauabschnitts nicht werde einhalten kön-
nen. Im August 2018 nahm der Beklagte das Kaufangebot für das Grundstück an
und zahlte den vereinbarten Kaufpreis. Im Dezember 2018 machte die Klägerin
den Heimfall geltend und übte das Wiederkaufsrecht aus. Der erste Bauabschnitt
war auch im Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung im Mai 2022 nicht
fertiggestellt.

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