Urteil vom 05.05.2022 - BVerwG 10 C 4.21

JurisdictionGermany
Judgment Date05 Mayo 2022
Neutral CitationBVerwG 10 C 4.21
Subject MatterSachen, die nicht einem anderen Senat zugewiesen sind
Registration Date18 Julio 2022
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
Record Number050522U10C4.21.0

BVerwG 10 C 4.21

  • VG Hamburg - 11.03.2015 - AZ: 19 K 1337/09
  • OVG Hamburg - 09.12.2020 - AZ: 3 Bf 188/19

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 5. Mai 2022
durch
den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schemmer, Dr. Günther,
Dr. Wöckel und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Bähr
für Recht erkannt:

  1. Die Revision des Beklagten gegen das Zwischenurteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 9. Dezember 2020 wird zurückgewiesen
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens
Gründe I

1 Gegenstand des angefochtenen Zwischenurteils ist die Zulässigkeit einer Klage, mit der die Klägerin - die ursprüngliche Beklagte - die Feststellung begehrt, dass ihr gegen den Beklagten - den ursprünglichen Kläger - eine in der Insolvenztabelle eingetragene und festgestellte, vom Beklagten bestrittene Forderung zusteht.

2 Der Beklagte war Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr. Auf seine Anträge erhielt er für Einsätze in den Jahren 2003 bis 2005 pauschale Anerkennungsbeträge für erlittene Verdienstausfälle nach dem Hamburger Feuerwehrgesetz in Höhe von insgesamt 115 134 €. Mit Bescheid vom 11. Januar 2008 hob die Klägerin sämtliche Bewilligungen von Anerkennungsbeträgen auf, forderte den Beklagten zur Rückzahlung bis zum 8. Februar 2008 auf und machte für den Fall nicht fristgemäßer Zahlung (Verzugs-)Zinsen geltend. Der Widerspruch des Beklagten blieb erfolglos.

3 Auf die Klage des Beklagten hob das Verwaltungsgericht den Bescheid mit Urteil vom 11. März 2015 auf. Auf den Antrag der Klägerin ließ das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 17. August 2016 die Berufung zu.

4 Bereits am 1. Juli 2016 hatte das Amtsgericht Hamburg über das Vermögen des Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet und einen Insolvenzverwalter ernannt. Nachdem das Oberverwaltungsgericht hiervon Kenntnis erlangt hatte, trennte es das gegen die Rückforderung und Geltendmachung von Zinsen gerichtete Verfahren ab. Mit Urteil vom 25. Juli 2017 änderte es das erstinstanzliche Urteil und wies die gegen die Aufhebung der Bewilligungen gerichtete Anfechtungsklage ab. Auf die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde des Beklagten hob der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts mit Beschluss vom 7. Juni 2018 - 6 B 1.18 - (Buchholz 310 § 138 Ziff. 4 VwGO Nr. 10) das Urteil auf und verwies die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurück. Das Urteil beruhe auf dem Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäßer Vertretung. Die aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beklagten eingetretene Unterbrechung des Rechtsstreits sei nicht auf das abgetrennte, die Rückforderung und Geltendmachung von Zinsen betreffende Verfahren beschränkt. Sie erfasse vielmehr auch das Verfahren wegen der Aufhebung der Bewilligungen, das ebenfalls die Insolvenzmasse betreffe.

5 Nachdem die Klägerin in beiden Verfahren erklärt hatte, den Rechtsstreit nach § 184 Abs. 1 Satz 2 InsO aufzunehmen, hat das Oberverwaltungsgericht den Trennungsbeschluss aufgehoben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht hat die Klägerin beantragt, unter Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts festzustellen, dass ihr eine Forderung gegen den Beklagten auf Rückzahlung der Anerkennungsbeträge in Höhe von 115 134 € sowie Zinsen in Höhe von 56 607,50 € zustehen. Eine entsprechende Forderung ist für die "BIS Feuerwehr Hamburg" als Gläubigerin zur Insolvenztabelle festgestellt. Aus dem Tabelleneintrag geht hervor, dass der Beklagte diese Forderung in voller Höhe bestritten hat.

6 Mit Beschluss vom 22. November 2019 hat das Amtsgericht Hamburg das Insolvenzverfahren aufgehoben.

7 Mit Zwischenurteil vom 9. Dezember 2020 hat das Oberverwaltungsgericht die Zulässigkeit der Feststellungsklage festgestellt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Berufung der Klägerin sei zulässig, insbesondere durch den Beschluss vom 17. August 2016 trotz Verfahrensunterbrechung wirksam zugelassen worden. Ein Zulassungsbeschluss ergehe nicht in Ansehung der Hauptsache, sondern betreffe das Vorliegen von Zulassungsgründen und damit eine bloße Vorfrage. Im Übrigen führe eine unterbrechungsbedingte relative Unwirksamkeit nicht zur Nichtigkeit, sondern zur Angreifbarkeit der betreffenden Prozesshandlung mit dem jeweils statthaften Rechtsmittel. Bei Unanfechtbarkeit bleibe ein Beschluss wirksam. Die Forderungsanmeldung der Klägerin im Insolvenzverfahren genüge den Anforderungen des § 174 InsO. Dass in der Insolvenztabelle als Gläubigerin nicht das Rubrum der Klägerin, sondern die "BIS Feuerwehr Hamburg" eingetragen sei, sei unerheblich.

8 Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision. Er macht geltend: Die Berufung sei nicht wirksam zugelassen. Der Zulassungsbeschluss habe wegen der Unterbrechung des Verfahrens nicht ergehen dürfen. Die Annahme bloßer Anfechtbarkeit - nicht Nichtigkeit - unzulässigerweise ergangener Entscheidungen sei zwar zutreffend. Das Oberverwaltungsrecht verkenne aber, dass hier die erfolgreiche Anfechtung des Berufungsurteils vom 25. Juli 2017 vor dem Bundesverwaltungsgericht auch den Berufungszulassungsbeschluss erfasse. Die Verfahrensaufnahme sei unwirksam, weil sie nicht gegenüber dem Insolvenzverwalter erklärt worden sei. Der Klägerin fehle ein Rechtsschutzbedürfnis, insbesondere, weil die Gläubigerbezeichnung in der Insolvenztabelle bislang nicht berichtigt worden sei.

9 Der Beklagte beantragt,
das Zwischenurteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 9. Dezember 2020 aufzuheben.

10 Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

11 Sie verteidigt das angefochtene Zwischenurteil. Insbesondere habe der Berufungszulassungsbeschluss in entsprechender Anwendung von § 249 Abs. 3 ZPO trotz Verfahrensunterbrechung ergehen dürfen.

II

12 A. Die Revision ist zulässig.

13 Sie genügt den Begründungsanforderungen aus § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO. Soweit danach die Begründung der Revision die verletzte Rechtsnorm angeben muss, gehört dazu eine Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs und eine damit verbundene sachliche Auseinandersetzung mit den die Entscheidung der Vorinstanz tragenden Gründen, aus der hervorgeht, warum der Revisionskläger diese Begründung nicht als zutreffend erachtet (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 3. März 1998 - 9 C 20.97 - BVerwGE 106, 202 m. w. N.). Für die Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm bedarf es dann keines ausdrücklichen Paragraphenzitats, wenn sich aus dem Revisionsvorbringen ohne Weiteres und eindeutig entnehmen lässt, welche Rechtsnorm oder welcher Rechtsgrundsatz vom Revisionskläger als verletzt angesehen wird (BVerwG, Beschluss vom 4. April 2019 - 1 C 44.18 - Buchholz 310 § 139 VwGO Nr. 90 Rn. 11 m. w. N.).

14 Dem wird die Revisionsbegründung des Beklagten gerecht. Er legt dar, weshalb er die Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts, der Berufungszulassungsbeschluss vom 17. August 2016 habe trotz Verfahrensunterbrechung nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 240 ZPO ergehen dürfen, für falsch hält. Der Beklagte rügt der Sache nach einen Verstoß gegen das sich aus § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 249 ZPO ergebende grundsätzliche Entscheidungsverbot, einen daraus folgenden Mangel der Berufungszulassung und somit der Zulässigkeit der Berufung der Klägerin. Er setzt sich auch mit der weiteren Erwägung des Oberverwaltungsgerichts auseinander, ein etwaiger Verstoß gegen das Entscheidungsverbot führe nicht zur Nichtigkeit der gleichwohl ergangenen Entscheidung.

15 B. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das angefochtene Zwischenurteil beruht nicht auf einer Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht durfte...

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