Urteil vom 09.03.2023 - BVerwG 3 C 15.21

JurisdictionGermany
Judgment Date09 Marzo 2023
Neutral CitationBVerwG 3 C 15.21
ECLIDE:BVerwG:2023:090323U3C15.21.0
Record Number090323U3C15.21.0
CitationBVerwG, Urteil vom 09.03.2023 - 3 C 15.21 -
Registration Date07 Junio 2023
Subject MatterLebensmittelrecht (einschließlich Futtermittel, kosmetische Mittel und Bedarfsgegenstände), Recht der Tabakerzeugnisse und verwandter Erzeugnisse und Recht der Ernährungswirtschaft
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
Applied RulesGrCh Art. 15, Art. 16, Art. 20, Art. 52 Abs. 1,LMIV Art. 2 Abs. 2 Buchst. e, Art. 9 Abs. 1 Buchst. e, Art. 23 Abs. 1 und 3, Art. 44 Abs. 1, Anhang IX Nr. 3 und Nr. 4,VwGO § 43 Abs. 1, § 137 Abs. 1 und 2,FPackV § 9, § 16 Abs. 1, § 26 Abs. 1 und 2

BVerwG 3 C 15.21

  • VG Koblenz - 28.04.2021 - AZ: 2 K 511/20.KO
  • OVG Koblenz - 02.11.2021 - AZ: 6 A 10695/21

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 9. März 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Sinner und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hellmann
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 2. November 2021 wird zurückgewiesen
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens
Gründe I

1 Die Beteiligten streiten darüber, ob auf Verpackungen von Süßwaren die Zahl der enthaltenen Einzelstücke anzugeben ist.

2 Die Klägerin stellt Süßwaren her und bringt diese unter anderem in Beuteln in den Verkehr, in denen sich mehrere einzeln mit Bonbonpapier umwickelte oder auf ähnliche Weise umhüllte Stücke befinden. Bei einer amtlichen Kontrolle stellte das Landesamt für Mess- und Eichwesen des beklagten Landes im Juli 2019 fest, dass auf den Verpackungen der Produkte "K. Mini" und "m. Konfekt" die Füllmenge zwar nach Gewicht der Süßigkeiten angegeben war, nicht aber nach Zahl der enthaltenen Stücke. Wegen der fehlenden Stückzahlangabe wurde ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen einen Mitarbeiter der Klägerin eingeleitet, in das im Folgenden auch die Produkte "n. Familienpackung", "n.", "R.", "W. Candies" und "T. Melange" einbezogen wurden.

3 Die Klägerin hat im Juni 2020 Klage erhoben und beantragt festzustellen, dass das Inverkehrbringen der streitgegenständlichen Produkte ohne Angabe der Stückzahl keinen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 Buchst. e, Art. 23 Abs. 1 und 3 i. V. m. Anhang IX Nr. 4 der Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) darstelle.

4 Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 2. November 2021 zurückgewiesen. Die Pflicht, auf der Verpackung auch die Zahl der enthaltenen Stücke anzugeben, folgt aus Art. 9 Abs. 1 Buchst. e, Art. 23 Abs. 1 und 3 i. V. m. Anhang IX Nr. 4 LMIV. Zwar handle es sich bei den Produkten der Klägerin nicht um vorverpackte Lebensmittel im Sinne der Lebensmittelinformationsverordnung, weil es an der erforderlichen Unmittelbarkeit zwischen Lebensmittel und Vorverpackung fehle. Die streitgegenständlichen Produkte seien aber Vorverpackungen i. S. d. Anhangs IX Nr. 4 LMIV und enthielten zwei oder mehr Einzelpackungen, die nicht als Verkaufseinheiten anzusehen seien. Für eine Differenzierung zwischen Einzelpackungen nach Art oder Sinn und Zweck der jeweiligen Verpackung gebe die Lebensmittelinformationsverordnung nichts her. Die Regelung in Anhang IX Nr. 4 LMIV sei auch nicht unverhältnismäßig. Der Angabe der Zahl der enthaltenen Einzelpackungen könne ein ergänzender Informationswert nicht abgesprochen werden. Sie gebe dem Käufer eine Orientierungshilfe, die ihm, etwa wenn er eine bestimmte Zahl von Gästen erwarte, die Kaufentscheidung erleichtern könne. Demgegenüber sei nicht ersichtlich, dass die Kennzeichnungspflicht die Lebensmittelunternehmer über Gebühr belaste. Dies gelte auch, soweit die nach dem Fertigpackungsrecht bestehenden Vorschriften über die maximal zulässigen Füllmengenabweichungen sowohl im Hinblick auf das Gewicht als auch hinsichtlich der Stückzahl eingehalten werden müssten. Ein Weg, trotz der von der Klägerin angeführten Schwankungen des Gewichts der einzelnen Stücke der Süßwaren die Angabe der Stückzahl unter Beibehaltung des derzeitigen Abfüllprozesses der Klägerin rechtsbeständig vornehmen zu können, liege darin, die geringstmögliche Stückzahl (Gesamtnettofüllmenge unter Abzug der maximalen Minusabweichung dividiert durch das Maximalstückgewicht) zu ermitteln und auf den Vorverpackungen anzugeben. Soweit die Klägerin auf eine hieraus folgende mögliche Fehlerhaftigkeit der Nährwertangaben pro Portion verweise, handle es sich dabei um eine freiwillige Angabe.

5 Mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Feststellungsbegehren weiter. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Bei den in Rede stehenden Verpackungen handle es sich unstreitig um Vorverpackungen, das Berufungsgericht habe dies aber unzutreffend begründet. Anders als im Urteil angenommen, seien ihre Produkte auch vorverpackte Lebensmittel; die vom Berufungsgericht geforderte Unmittelbarkeit zwischen Vorverpackung und Lebensmittel finde keine Stütze in den maßgeblichen Vorschriften. Auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Auslegung des Begriffs der Einzelpackung i. S. d. Anhangs IX Nr. 4 LMIV seien fehlerhaft. Kleinstückige Süßwaren stellten keine Einzelpackungen dar. Das Berufungsgericht habe bei seiner Auslegung weder die Abweichungen in der französischen und englischen Sprachfassung des Anhangs IX Nr. 3 und 4 LMIV noch die Sicht der Verbraucher berücksichtigt. Im Hinblick auf die bestehenden Unsicherheiten werde eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof angeregt. Die Regelung sei im Übrigen unverhältnismäßig. Auf Seiten des Verbrauchers bestehe kein nennenswertes Interesse an der Kenntnis der konkreten Anzahl der in einer Packung enthaltenen Stücke, während für den Hersteller unzumutbarer Aufwand entstehe. Zudem komme es zu unauflösbaren Widersprüchen zum Fertigpackungsrecht und den dort geltenden Toleranzgrenzen für Abweichungen von Gewichts- und Stückzahlangaben.

6 Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

II

7 Die zulässige Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (Art. 144 Abs. 2 VwGO). Das angegriffene Urteil beruht nicht auf einem Verstoß gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat die gegen die Klageabweisung gerichtete Berufung der Klägerin zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist unter Zugrundelegung der bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) zulässig (1.), aber unbegründet (2.).

8 1. Das Berufungsgericht hat im Einklang mit revisiblem Recht angenommen, dass die Klage als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO zulässig ist. Zwischen den Beteiligten besteht ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Sie streiten vor dem Hintergrund eines gegen einen Mitarbeiter der Klägerin eingeleiteten Ordnungswidrigkeitenverfahrens darüber, ob die in Rede stehenden Produkte der Klägerin ohne Angabe der Anzahl der enthaltenen Stücke in den Verkehr gebracht werden dürfen. Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, denn diese würde ihre Position in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht verbessern.

9 2. Die Klage ist indes unbegründet. Das Berufungsgericht hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die beantragte Feststellung verneint. Sie ist nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. e, Art. 23 Abs. 1 und 3 i. V. m. Anhang IX Nr. 4 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission (ABl. L 304 S. 18) - Lebensmittelinformationsverordnung - LMIV - in der maßgeblichen zum Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts geltenden Fassung der Verordnung (EU) 2015/2283 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über neuartige Lebensmittel, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 1852/2001 der Kommission (ABl. L 327 S. 1) verpflichtet, auf den im Antrag genannten Produkten neben dem Gesamtnettogewicht auch die Zahl der enthaltenen Stücke anzugeben.

10 Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Lebensmittelinformationsverordnung auf die Klägerin Anwendung findet (a). Gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. e LMIV ist für die in Rede stehenden Produkte die Nettofüllmenge anzugeben (b). Ohne Bundesrechtsverstoß hat das Berufungsgericht entschieden, dass dabei gemäß Art. 23 Abs. 1 und 3 i. V. m. Anhang IX Nr. 4 LMIV die Gesamtnettofüllmenge und die Gesamtzahl der enthaltenen Einzelpackungen...

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