Urteil vom 09.07.2020 - BVerwG 3 C 20.18

JurisdictionGermany
Judgment Date09 Julio 2020
Neutral CitationBVerwG 3 C 20.18
ECLIDE:BVerwG:2020:090720U3C20.18.0
Applied RulesVwVfG NRW § 37 Abs. 1,RL 2001/83/EG Art. 4 Abs. 3, Art. 86 ff.,AMG § 78,GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1,HWG § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1,HeilBerG NRW § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6,AMPreisV § 3,RL 2006/123/EG Art. 2 Abs. 2 Buchst. f
Registration Date26 Octubre 2020
Record Number090720U3C20.18.0
Subject MatterGesundheitsverwaltungsrecht einschl. des Rechts der Heil- und Heilhilfsberufe und des Krankenhausfinanzierungsrechts sowie des Seuchenrechts
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
CitationBVerwG, Urteil vom 09.07.2020 - 3 C 20.18

BVerwG 3 C 20.18

  • VG Münster - 12.11.2015 - AZ: VG 5 K 954/14
  • OVG Münster - 08.09.2017 - AZ: OVG 13 A 2979/15

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juli 2020
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler, Prof. Dr. habil. Wysk,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. September 2017 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe I

1 Die Klägerin, Inhaberin einer Apotheke in Nordrhein-Westfalen, wendet sich gegen eine Ordnungsverfügung der beklagten Apothekerkammer.

2 Im November 2013 und Januar 2014 gab die Klägerin Werbeflyer mit Gutscheinen heraus, die bei Abgabe eines Rezeptes gegen eine Rolle Geschenkpapier (November 2013) bzw. ein Paar Kuschelsocken (Januar 2014) eingelöst werden konnten. Die Beklagte wies sie mit Schreiben vom 5. Februar 2014 darauf hin, dass sie mit diesem Verhalten gegen die Berufsordnung für Apothekerinnen und Apotheker der Apothekerkammer Westfalen-Lippe (im Folgenden: BO) verstoßen habe. Gemäß § 19 Nr. 3 BO sei das Abgehen von dem sich aus der Arzneimittelpreisverordnung ergebenden einheitlichen Apothekenabgabepreis sowie die Werbung hierfür verboten. Mit Stellungnahme vom 21. Februar 2014 wies die Klägerin den Vorwurf eines Verstoßes gegen das Arzneimittelpreisrecht zurück. Die Beklagte untersagte ihr daraufhin durch Ordnungsverfügung vom 1. April 2014, "gekoppelt mit dem Erwerb von verschreibungspflichtigen und/oder sonstigen preisgebundenen Arzneimitteln Vorteile wie z.B. eine Rolle Geschenkpapier, ein Paar Kuschelsocken oder Gutscheine hierfür zu gewähren oder gewähren zu lassen sowie dafür zu werben oder werben zu lassen". Für den Fall der Zuwiderhandlung drohte ihr die Beklagte ein Zwangsgeld in Höhe von 1 500 € an. Durch die Ankündigung bzw. das Angebot eines Gutscheins, gegen dessen Einlösung der Kunde z.B. eine Rolle Geschenkpapier oder ein Paar Kuschelsocken im Zusammenhang mit dem Erwerb auf Rezept verordneter, preisgebundener Arzneimittel erhalte, habe die Klägerin gegen ihre Verpflichtung zur Gewährleistung eines einheitlichen Apothekenabgabepreises und damit gegen § 19 Nr. 3 BO verstoßen. Werde dem Kunden gekoppelt mit dem Erwerb eines rezeptpflichtigen Arzneimittels ein Vorteil gewährt, der den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen lasse, werde das Arzneimittel nicht zum vorgeschriebenen Preis abgegeben. Auf den Wert des Gutscheins bzw. der einlösbaren Produkte komme es nicht an. Zugleich liege ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 BO vor, weil die Klägerin nicht die für ihre Berufsausübung geltenden Bestimmungen zum Arzneimittelpreisrecht nach § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 3 Satz 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG), § 1 Abs. 1 und 4, § 3 der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) beachtet habe. Die Apothekerkammer sehe sich zu einem Einschreiten veranlasst. Liege eine Berufspflichtverletzung vor, könne ihre Entschließung, das berufsrechtlich unzulässige Verhalten zu untersagen, nicht beanstandet werden. Die Zwangsgeldandrohung sei erforderlich, weil mit Blick auf die Reaktion der Klägerin auf das Schreiben vom 5. Februar 2014 nicht zu erwarten sei, dass sie der Untersagungsanordnung Folge leiste.

3 Die dagegen gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat in seinem Urteil vom 8. September 2017 im Wesentlichen ausgeführt: Die angefochtene Ordnungsverfügung sei rechtmäßig. Die Untersagungsanordnung finde ihre Rechtsgrundlage in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 des Heilberufsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen und § 19 Nr. 3, § 1 Abs. 2 BO i.V.m. § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3 AMG, § 3 AMPreisV. Die Anordnung sei hinreichend bestimmt gemäß § 37 Abs. 1 VwVfG NRW. An der Verfassungsmäßigkeit der für inländische Apotheken geltenden arzneimittelrechtlichen Preisbindungsvorschriften bestünden auch unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Oktober 2016 - C-148/15 [ECLI:​EU:​C:​2016:​776], Deutsche Parkinson Vereinigung e.V. - keine Bedenken. Der Gerichtshof habe entschieden, dass die nationale Regelung eines einheitlichen Apothekenabgabepreises für verschreibungspflichtige Arzneimittel gegen Art. 34 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstoße. Aufgrund dieses Urteils könnten Apotheken aus dem EU-Ausland auch auf verschreibungspflichtige Arzneimittel Rabatte und Boni gewähren und dadurch in einen Preiswettbewerb mit inländischen Apotheken treten. Einen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG begründe dies nicht. Zwar stellten die Regelungen über die Preisbindung einen Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit der Apotheker dar. Der Eingriff sei aber weiterhin gerechtfertigt. Die für inländische Apotheken fortbestehende Preisbindung erweise sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Inländerdiskriminierung als unverhältnismäßig. Angesichts des bislang noch geringen Marktanteils ausländischer Versandapotheken an der Abgabe rezeptpflichtiger Arzneimittel sei es nicht zu beanstanden, wenn dem Ziel des Gesetzgebers, zur Sicherstellung einer flächendeckenden und gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln einen Preiswettbewerb unter den Apotheken bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln zu unterbinden, Vorrang zukomme vor der Ermöglichung eines Preiswettbewerbs mit ausländischen Versandapotheken. Die Preisvorschriften stünden auch im Einklang mit Art. 3 Abs. 1 GG sowie Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG. Die Tatbestandsvoraussetzungen für den Erlass der berufsrechtlichen Ordnungsverfügung lägen vor. Indem die Klägerin ihren Kunden für den Erwerb eines preisgebundenen Arzneimittels eine Sachzuwendung verspreche und gewähre, verstoße sie gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung. Der Bescheid leide auch nicht an Ermessensfehlern. Die Zwangsgeldandrohung begegne keinen rechtlichen Bedenken.

4 Mit der vom Bundesverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Aufhebung der Ordnungsverfügung weiter. Sie rügt insbesondere, dass es infolge des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Oktober 2016 an einer verfassungsmäßigen Rechtsgrundlage für die Untersagungsanordnung fehle. Die arzneimittelrechtlichen Preisbindungsvorschriften verstießen gegen Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG. Es könne nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Preisbindung einem legitimen Ziel diene. Sie sei zur Sicherstellung einer flächendeckenden und gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln weder geeignet noch erforderlich. Darüber hinaus seien die arzneimittelrechtlichen Preisbindungsvorschriften angesichts der durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union bewirkten Inländerdiskriminierung unverhältnismäßig. Die Unanwendbarkeit der Regelungen ergebe sich zudem aus der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG. Die Ordnungsverfügung sei auch wegen fehlerhafter Ermessensausübung rechtswidrig. Weil die Preisbindung auf ausländische EU-Versandapotheken keine Anwendung finde, sei die mit ihr bezweckte Unterbindung von Preiswettbewerb nicht mehr gewährleistet. Die Beklagte hätte daher von einem Einschreiten Abstand nehmen müssen. Des Weiteren sei die Ordnungsverfügung nicht hinreichend bestimmt und auf die falsche Rechtsgrundlage gestützt worden. Die Gewährung von Sachzugaben wie einer Rolle Geschenkpapier oder einem Paar Kuschelsocken begründe auch keinen Verstoß gegen das Arzneimittelpreisrecht. Schließlich beruhe das angegriffene Berufungsurteil auf einem Verfahrensmangel. Das Oberverwaltungsgericht hätte den Marktanteil ausländischer Versandapotheken im Bereich rezeptpflichtiger Arzneimittel nicht ohne weitere Sachaufklärung als gering einstufen dürfen.

5 Die Beklagte tritt dem Revisionsvorbringen entgegen und verteidigt das Berufungsurteil.

II

6 Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO). Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Ordnungsverfügung der Beklagten sei rechtmäßig, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Danach hat die Klage keinen Erfolg (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

7 1. a) Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Untersagungsverfügung ihre Rechtsgrundlage in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 des Heilberufsgesetzes (HeilBerG) vom 9. Mai 2000 (GV. NRW S. 403) - im hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Revisionsgericht zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. April 2020 (GV. NRW S. 218b) - und in § 19 Nr. 3, § 1 Abs. 2 der gemäß § 31 Abs. 3, § 32 HeilBerG erlassenen Berufsordnung der Beklagten vom 30. Mai 2007 (MBl. NRW S. 617) - zuletzt geändert am 28. November 2018 (MBl. NRW S. 741) - findet. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 HeilBerG sei es Aufgabe der Beklagten, für die Erhaltung eines hoch stehenden Berufsstandes zu sorgen und die Erfüllung der Berufspflichten der Kammerangehörigen zu überwachen sowie die notwendigen Maßnahmen zur Beseitigung berufsrechtswidriger Zustände zu treffen; hierzu könne sie auch belastende Verwaltungsakte erlassen. § 19 Nr. 3 BO in der seit dem 15. Mai 2014 geltenden Fassung vom 27. November 2013 (MBl. NRW 2014 S. 273) verbiete dem Apotheker das Abgehen von...

Um weiterzulesen

FORDERN SIE IHR PROBEABO AN

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT