Urteil vom 10.04.2019 - BVerwG 7 C 23.18

JurisdictionGermany
Judgment Date10 Abril 2019
Neutral CitationBVerwG 7 C 23.18
ECLIDE:BVerwG:2019:100419U7C23.18.0
Applied RulesAEUV Art. 263, 267 Abs. 3,VO(EG) 1049/2001 Art. 4 Abs. 1,KWG § 9 Abs. 1,WpHG a.F. § 8 Abs. 1,WpHG n.F. § 21 Abs. 1,IFG § 1 Abs. 1 und 3, § 2 Nr. 1, § 3 Nr. 1 Buchst. d, § 3 Nr. 2 und 4, § 7 Abs. 2, § 9 Abs. 3,BRAO § 43a Abs. 2 und 3,EGRL 2004/39/EG Art. 54 Abs. 1,VwGO § 99
Registration Date08 Agosto 2019
Record Number100419U7C23.18.0
Subject MatterInformationsfreiheitsrecht, Umweltinformationsrecht und Recht der Weiterverwendung von Informationen öffentlicher Stellen
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
CitationBVerwG, Urteil vom 10.04.2019 - 7 C 23.18

BVerwG 7 C 23.18

  • VG Frankfurt am Main - 23.06.2010 - AZ: VG 7 K 1424/09.F
  • VGH Kassel - 29.11.2013 - AZ: VGH 6 A 1426/13

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 10. April 2019
durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Korbmacher, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt, Dr. Schemmer und Dr. Günther
für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29. November 2013, soweit die Berufung der Beklagten zurückgewiesen worden ist, und das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 23. Juni 2010 werden aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen, soweit sie den Zugang zu den Prüfberichten des Wirtschaftsprüfers für die Geschäftsjahre 2004 und 2005 betrifft. Im Übrigen wird das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  2. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe I

1 Die Klägerin begehrt Zugang zu Unterlagen der beklagten Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die im Zusammenhang mit der Aufsicht - auch durch die zuvor zuständigen Behörden (Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen und Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel) - über die P. GmbH angefallen sind.

2 Die Klägerin zählt zum Kreis der durch betrügerische Machenschaften der P. GmbH geschädigten Anleger. Über das Vermögen des Unternehmens wurde im Jahr 2005 das Insolvenzverfahren eröffnet, nachdem sich herausgestellt hatte, dass das Finanzierungsmodell auf einem Schneeballsystem beruhte. Den im Anschluss an die in einem Parallelverfahren ergangene stattgebende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt vom 12. März 2008 gestellten Antrag auf Einsicht in das der Beklagten vorliegende Gutachten einer Sonderprüfung und Berichte der Wirtschaftsprüfer sowie interne Stellungnahmen, Berichte und Korrespondenzen in Bezug auf das Unternehmen lehnte die Beklagte ab. Auf die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte antragsgemäß, der Klägerin die begehrte Akteneinsicht in die Unterlagen zu gewähren, soweit diese neben den Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen der P. GmbH keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse Dritter enthielten. Im Berufungsverfahren forderte der Verwaltungsgerichtshof die Akten an, um das Vorliegen der von der Beklagten geltend gemachten Versagungsgründe zu überprüfen. Das Bundesministerium der Finanzen als oberste Aufsichtsbehörde verweigerte die Aktenvorlage mit Sperrerklärung vom 24. Oktober 2011; ausgenommen waren die darin im Einzelnen als "nicht geheimhaltungsbedürftig" bezeichneten Aktenbestandteile. Mit Beschluss vom 5. April 2013 (BVerwG 20 F 7.12 ) stellte der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts auf die Beschwerde der Klägerin unter Änderung des Beschlusses des Fachsenats des Verwaltungsgerichtshofs vom 9. März 2012 fest, dass die Verweigerung der Aktenvorlage in größerem Umfang als bereits von der Vorinstanz angenommen rechtswidrig war.

3 Mit Urteil vom 29. November 2013 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und den Tenor des verwaltungsgerichtlichen Urteils unter Berücksichtigung des Beschlusses des Fachsenats des Bundesverwaltungsgerichts neu gefasst. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe nach § 1 Abs. 1 IFG einen Anspruch auf Zugang zu den bezeichneten Unterlagen. Handels- und gesellschaftsrechtliche Offenlegungspflichten und Auskunftsrechte schlössen Informationszugangsansprüche nicht gemäß § 1 Abs. 3 IFG aus. Der Schutz der Aufsichts- und Kontrollaufgaben der Finanzbehörden nach § 3 Nr. 1 Buchst. d IFG stehe dem Anspruch nicht entgegen. Die von der Beklagten befürchtete Beeinträchtigung durch einen Vertrauensverlust der beaufsichtigten Institute und Personen sei vom Gesetzeszweck zwar umfasst. Eine durch Fakten untermauerte konkrete Möglichkeit, dass durch eine Informationsweitergabe generell die Ausübung der Aufgaben der Behörde nachteilig beeinflusst werde, sei aber nicht nachvollziehbar dargelegt. § 3 Nr. 2 IFG sei durch eine Verletzung von Transparenz-, Offenlegungs- und Verschwiegenheitsbestimmungen aus anderen Rechtsbereichen nicht berührt. Dem Informationszugang stehe § 7 Abs. 2 Satz 1 IFG nicht entgegen. Die Erfüllung des der Klägerin teilweise - nach Aussonderung, Anonymisierung oder Unkenntlichmachung der geheimhaltungsbedürftigen Informationen - zustehenden Anspruchs sei nicht mit einem unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand verbunden. Den hierzu erforderlichen Nachweis habe die Beklagte mit dem Vorbringen zu einem erforderlichen Aufwand von 90 Arbeitstagen mit Personalkosten von mindestens 30 000 € nicht erbracht. Der Informationszugang sei nicht in genereller Weise nach § 9 KWG und § 8 WpHG (a.F.) i.V.m. § 3 Nr. 4 IFG zu versagen. § 9 KWG sei ebenso wenig wie § 8 WpHG (a.F.) eine dem Geheimnisschutz dienenden Vorschrift, sondern lediglich eine besondere Verschwiegenheitspflicht. Schutzwürdig seien vielmehr, wie sich aus der Rechtsprechung des Fachsenats ergebe, die im konkreten Einzelfall zu ermittelnden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie personenbezogene Daten Dritter nach § 5 Abs. 1 IFG. Ohne Erfolg mache die Beklagte geltend, dass die Klägerin über ihren Bevollmächtigten bereits Kenntnis von den Prüfberichten erlangt habe. Ein Ablehnungsgrund nach § 9 Abs. 3 IFG folge daraus nicht. Weder liege eine allgemein zugängliche Quelle im Sinne dieser Bestimmung vor noch verfüge die Klägerin über die begehrten Informationen, obwohl ihr Prozessbevollmächtigter für Schadensersatzklagen anderer Mandanten gegen den Wirtschaftsprüfer die Unterlagen von Dritten erhalten habe. Die Klägerin müsse sich die Kenntnis des Bevollmächtigten nicht zurechnen lassen. Denn der Rechtsanwalt sei nach § 43a BRAO zur Verschwiegenheit verpflichtet. Dies erstrecke sich auch auf Dokumente, die keinen mandatsbezogenen persönlichen Bezug aufwiesen, wenn diese dem Rechtsanwalt im Zusammenhang mit dem konkreten Mandat vom Auftraggeber überlassen worden seien und die eingeschränkte Verwendung sich aus der Natur der Sache oder der eindeutigen oder konkludenten Weisung des Mandanten ergebe. Schließlich stünden dem Anspruch der Klägerin keine Rechte der P. GmbH als Insolvenzschuldnerin oder des beigeladenen Insolvenzverwalters entgegen. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse hätten nicht den Schutzzweck, Ansprüche in Insolvenzverfahren abzuwehren. Vielmehr müsse eine fortbestehende Wettbewerbsrelevanz der Offenlegung der Unterlagen entgegenstehen. Mit dem Hinweis des Beigeladenen auf eventuell weiter vorhandene Wertpositionen wie die Vertriebsstruktur oder Kundendaten seien schutzwürdige Interessen nicht nachgewiesen. Der Zugangsanspruch sei hiernach nur mit Einschränkungen begründet. Im Ergebnis zu Recht habe das Verwaltungsgericht Unterlagen ausgenommen, die in Gestalt von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen schützenswerte Rechte Dritter beträfen. Nach der Durchführung des Zwischenverfahrens seien überdies die von den Fachsenaten getroffenen Feststellungen zu berücksichtigen. Im Rahmen der Beweiswürdigung sei der Entscheidung des Fachsenats, soweit er das Vorliegen von Geheimhaltungsgründen festgestellt habe, präjudizielle Wirkung auch für dieses Verfahren beizumessen. Insoweit sei der Tenor zu präzisieren.

4 Gegen das Urteil hat die Beklagte die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision eingelegt und zur Begründung insbesondere eine Verletzung von § 3 Nr. 4 IFG i.V.m. § 9 KWG gerügt.

5 Mit Beschluss vom 4. November 2015 - BVerwG 7 C 3.14 - hat der Senat das Verfahren im Hinblick auf das mit Beschluss vom selben Tag in der Parallelsache - BVerwG 7 C 4.14 - eingeleitete Vorabentscheidungsverfahren ausgesetzt. Der Senat hat den Gerichtshof der Europäischen Union um die Klärung mehrerer Fragen zur Auslegung des Berufsgeheimnisses nach Art. 54 Abs. 1 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 gebeten. Der Gerichtshof hat mit Urteil vom 19. Juni 2018 - C-15/16 [ECLI:​EU:​C:​2018:​464], Baumeister - über die Vorlage entschieden.

6 Im Anschluss daran macht die Beklagte geltend, dass die begehrten Informationen - jeweils für sich betrachtet - unter das aufsichtsrechtliche Geheimnis nach § 3 Nr. 4 i.V.m. § 9 KWG fielen; hierzu zählten insbesondere die von der Behörde angewandten Überwachungsmethoden, die sich im Prüfungsbericht als Ergebnis einer Prüfungsanordnung nach § 44 Abs. 1 KWG niederschlügen. Auch aus einer Gesamtschau aller von der Klägerin begehrten Unterlagen ergebe sich die schützenswerte Aufsichtsstrategie; denn sie spiegelten den kompletten aufsichtlich zu würdigenden Lebenslauf des Unternehmens wider. Hiernach könne die Klage keinen Erfolg haben; einer weiteren Tatsachenaufklärung bedürfe es nicht. Jedenfalls sei aber zu beachten, dass nach der Entscheidung des EuGH mindestens fünf Jahre alte Unternehmensinformationen bis zum Beweis des Gegenteils als nicht mehr aktuell und deshalb als nicht mehr vertraulich anzusehen sein. Insoweit sei auf den Zeitpunkt des Erlasses des Ablehnungsbescheids (17. Dezember 2008) abzustellen. Weiteren tatsächlichen Aufklärungsbedarf könne es demnach nur für Informationen geben, die bis zum 17. Dezember 2003 zu den Akten der Beklagten gelangt seien, während für spätere Informationen die Geheimhaltungsbedürftigkeit bereits feststehe. Darüber hinaus stünden dem Anspruch noch andere Versagungsgründe entgegen. Hinsichtlich der Prüfberichte sei der Prozessbevollmächtigte weder...

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