Urteil vom 11.12.2020 - BVerwG 5 C 9.19

JurisdictionGermany
Judgment Date11 Diciembre 2020
Neutral CitationBVerwG 5 C 9.19
ECLIDE:BVerwG:2020:111220U5C9.19.0
Applied RulesVwGO § 137 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 Halbs. 1,SGB VIII § 1 Abs. 1, § 7 Abs. 1 Nr. 3, §§ 34, 41 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 93 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2, 3 und 4 Satz 1, § 94 Abs. 6 Satz 1, 2 und 3
Registration Date29 Marzo 2021
Record Number111220U5C9.19.0
Subject MatterJugendhilfe- und Jugendschutzrecht
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
CitationBVerwG, Urteil vom 11.12.2020 - 5 C 9.19

BVerwG 5 C 9.19

  • VG Dresden - 18.04.2018 - AZ: VG 1 K 2114/16
  • OVG Bautzen - 09.05.2019 - AZ: OVG 3 A 751/18

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 2020
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer,
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen-Weiß und Dr. Harms und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Holtbrügge und Preisner
für Recht erkannt:

  1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 9. Mai 2019 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe I

1 Die Beteiligten streiten über die Erhebung von Kostenbeiträgen für die Gewährung von Hilfe für junge Volljährige.

2 Die 1993 geborene Klägerin ist als schwerbehinderter Mensch anerkannt und wird von einer Berufsbetreuerin betreut. Der beklagte Landkreis ist Träger der Jugendhilfe und gewährte ihr Hilfe für junge Volljährige in Form der vollstationären Unterbringung in einem Wohnheim für behinderte Menschen. Seit Dezember 2014 arbeitete sie in einer von einem freien Träger betriebenen Werkstatt für behinderte Menschen, für die der Kommunale Sozialverband S. als überörtlicher Träger der Sozialhilfe (Sozialhilfeträger) die Kosten trug. In dem hierüber mit dem freien Träger abgeschlossenen Werkstattvertrag waren ein vom Arbeitsergebnis abhängiges Arbeitsentgelt sowie ein Arbeitsförderungsgeld vereinbart. Von Dezember 2014 bis Juli 2016 erzielte die Klägerin für ihre Tätigkeit Entgelte von durchschnittlich rund 134 € im Monat. Davon wurden ihr nach Abzug eines "Kostenbeitrags", der an den Sozialhilfeträger abgeführt und später von diesem an den Beklagten überwiesen wurde, monatlich im Durchschnitt rund 95 € ausgezahlt.

3 Mit Leistungsbescheid vom 15. Februar 2016 setzte der Beklagte ab dem 1. Dezember 2014 einen monatlichen Kostenbeitrag fest, den er ohne Berücksichtigung der an den Sozialhilfeträger abgeführten Beträge aus dem durchschnittlichen monatlichen Bruttoeinkommen der Klägerin abzüglich eines pauschalen Betrages in Höhe von 25 Prozent berechnete. Auf den Widerspruch der Klägerin änderte er den Leistungsbescheid mit Widerspruchsbescheid vom 22. August 2016. Den für Dezember 2014 festgesetzten Kostenbeitrag hob er auf und setzte für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Juli 2016 monatliche Kostenbeiträge fest, deren Berechnung er das in den jeweiligen Monaten erzielte und um die an den Sozialhilfeträger abgeführten Beträge verminderte Einkommen der Klägerin zugrunde legte, woraus sich eine Verpflichtung der Klägerin zu einer Nachzahlung in Höhe von 1 373,95 € ergab.

4 Die dagegen erhobene Klage hat in beiden Vorinstanzen Erfolg gehabt. Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung insbesondere darauf abgestellt, sowohl aus dem Wortlaut als auch aus dem systematischen Zusammenhang des § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII folge, dass auch bei der Heranziehung kostenbeitragspflichtiger junger Menschen wie der Klägerin Kostenbeiträge auf der Grundlage des durchschnittlichen Monatseinkommens des Vorjahres zu berechnen und festzusetzen seien. Außerdem habe der Beklagte nicht gemäß § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB VIII nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden, ob von der Erhebung eines Kostenbeitrags ganz oder teilweise abgesehen werden solle. Der Ermessenstatbestand sei erfüllt, weil die Tätigkeit der Klägerin in der Werkstatt für behinderte Menschen zu einem wesentlichen Teil der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und damit zugleich der ihr gewährten Jugendhilfeleistung diene.

5 Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Revision. Er macht im Wesentlichen geltend, § 93 Abs. 4 SGB VIII sei vom Wortlaut her zu weit gefasst und aus teleologischen Gründen nur auf die Berechnung des Einkommens bei solchen Kostenbeitragspflichtigen anwendbar, die zu Unterhaltsleistungen verpflichtet seien, nicht aber bei den jungen Menschen selbst. Der Gesetzgeber habe mit der Einführung des § 93 Abs. 4 SGB VIII die Abrechnungsmodalitäten bei kostenbeitragspflichtigen jungen Menschen nicht verändern wollen, bei denen die Anwendung dieser Vorschrift zu unbilligen und aus pädagogischer Sicht nicht sinnvollen Ergebnissen führe. Die Ermessensregelung in § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB VIII sei ihrem Wortlaut nach sowie aus systematischen und teleologischen Gründen eng auszulegen und erfasse nur Tätigkeiten, bei denen ein gemeinnütziges Engagement im Vordergrund stehe.

6 Die Klägerin verteidigt die angegriffene Entscheidung.

7 Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren und unterstützt im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Revision des Beklagten.

II

8 Die Revision ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Es steht im Einklang mit den streitigen Regelungen des Achten Buches Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII) i.d.F. der Bekanntmachung vom 11. September 2012 (BGBl. I S. 2022), für den hier maßgeblichen Zeitraum zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 29. August 2013 (BGBl. I S. 3464). Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass für die Berechnung des Kostenbeitrags, den junge Menschen bei vollstationären Leistungen der Jugendhilfe einzusetzen haben, gemäß § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII das durchschnittliche Monatseinkommen des Vorjahres maßgeblich ist und dass der Jugendhilfeträger gemäß § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB VIII nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat, ob er von der Erhebung eines Kostenbeitrags ganz oder teilweise absieht, wenn das Einkommen aus einer Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen stammt, die dem Zweck der Jugendhilfeleistung...

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