Urteil vom 15.06.2023 - BVerwG 3 C 3.22

JurisdictionGermany
Judgment Date15 Junio 2023
Neutral CitationBVerwG 3 C 3.22
ECLIDE:BVerwG:2023:150623U3C3.22.0
CitationBVerwG, Urteil vom 15.06.2023 - 3 C 3.22 -
Record Number150623U3C3.22.0
Registration Date27 Septiembre 2023
Subject MatterGesundheitsverwaltungsrecht einschl. des Rechts der Heilberufe, der Gesundheitsfachberufe und des Krankenhausfinanzierungsrechts sowie des Seuchen- und Infektionsschutzrechts
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
Applied RulesGG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1,TFG § 2 Nr. 1 und 3, § 7 Abs. 2 Satz 1, § 28,AMG § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Nr. 3, § 4 Abs. 26, § 55 Abs. 4 und 6, § 64 Abs. 3, § 69 Abs. 1 Satz 1,AMVV § 5 Satz 1,VwGO § 137 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, § 144 Abs. 2

BVerwG 3 C 3.22

  • VG Münster - 17.09.2018 - AZ: 5 K 579/18
  • OVG Münster - 23.04.2021 - AZ: 9 A 4073/18

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 15. Juni 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Sinner und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hellmann
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. April 2021 wird zurückgewiesen
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens
Gründe I

1 Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit von Blutentnahmen durch die Klägerin im Rahmen von sogenannten Eigenblutbehandlungen.

2 Die Klägerin ist als Heilpraktikerin tätig. Mit Schreiben vom 19. Mai 2017 und 25. Juni 2017 zeigte sie der Bezirksregierung Münster die Herstellung von Eigenblutpräparaten unter Einschluss der Ozonisierung von Eigenblut an. Mit Schreiben vom 14. Februar 2018 wies die Bezirksregierung darauf hin, dass die angezeigten Produkte keine homöopathischen Eigenblutprodukte und deshalb nicht von der Anwendung des Transfusionsgesetzes (TFG) ausgenommen seien; für sie gelte der Arztvorbehalt des § 7 Abs. 2 TFG. Die Klägerin hat Klage beim Verwaltungsgericht erhoben und zunächst die Feststellung begehrt, dass die von ihr angezeigte und beschriebene Herstellung von Arzneimitteln unter Verwendung menschlicher Ausgangsstoffe in Form von Eigenblutpräparaten einschließlich Ozonisierung von Eigenblut erlaubt ist.

3 Mit Bescheid vom 22. März 2018 untersagte die Bezirksregierung Münster der Klägerin die Entnahme von Blut zur Herstellung von nichthomöopathischen Eigenblutprodukten und drohte ihr ein Zwangsgeld für den Fall der Zuwiderhandlung an. Die Klägerin sei keine ärztliche Person und dürfe daher nach § 7 Abs. 2 TFG kein Blut entnehmen. Die Anwendung des Transfusionsgesetzes sei nicht nach § 28 TFG ausgeschlossen, denn bei den hergestellten Eigenblutprodukten handle es sich nicht um homöopathische Eigenblutprodukte. Das Eigenblut werde nur mit dem Ozon versetzt und keiner homöopathischen Verfahrenstechnik unterzogen. Diese Verfügung hat die Klägerin in das bereits anhängige Verfahren einbezogen und die Klage auf eine Anfechtungsklage umgestellt. Das Verwaltungsgericht hat sie mit Urteil vom 17. September 2018 abgewiesen.

4 Die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 23. April 2021 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Mit dem Bescheid werde der Klägerin untersagt, ihren Patienten Blut zur Herstellung von Eigenblutprodukten im Wege der Mischung mit Ozon zu entnehmen. Diese Untersagung sei formell und materiell rechtmäßig. Die von der Klägerin angezeigte Blutentnahme zur Herstellung von Eigenblutprodukten im Wege der Mischung mit Ozon verletze den Arztvorbehalt des § 7 Abs. 2 TFG. Die Klägerin entnehme eine Spende im Sinne dieser Vorschrift; eine Beschränkung des Begriffs der Spende auf Fremdblutspenden komme nicht in Betracht. § 7 Abs. 2 TFG sei nicht nach § 28 TFG unanwendbar. Bei den Eigenblutprodukten der Klägerin handle es sich nicht um homöopathische Eigenblutprodukte. Bei Heranziehung von § 4 Abs. 26 AMG sei für ein homöopathisches Eigenblutprodukt im Sinne des § 28 TFG die Herstellung nach einem im Europäischen Arzneibuch oder, in Ermangelung dessen, nach einem in den offiziell gebräuchlichen Pharmakopöen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beschriebenen homöopathischen Zubereitungsverfahren erforderlich. Diesen Arzneibüchern komme eine ausreichende demokratische Legitimation und rechtliche Bindungswirkung zu. An dem erforderlichen homöopathischen Zubereitungsverfahren fehle es in Bezug auf die von der Klägerin hergestellten Eigenblutprodukte unstreitig. Sie mische das Eigenblut lediglich mit einem Sauerstoff-Ozon-Gemisch. Weder das Eigenblut selbst noch das Eigenblutpräparat würden einer homöopathischen Technik unterzogen.

5 Ihre Revision begründet die Klägerin im Wesentlichen wie folgt: Soweit das Oberverwaltungsgericht zur Auslegung des Begriffs des homöopathischen Blutprodukts § 4 Abs. 26 AMG herangezogen habe, der auf die offiziell gebräuchlichen Arzneibücher bzw. Pharmakopöen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union verweise, habe es die verfassungsrechtlichen Anforderungen an dynamische Verweisungen übersehen. Durch die Auslegung des Oberverwaltungsgerichts werde die Berufsfreiheit derjenigen, die wie Heilpraktiker homöopathische Eigenblutprodukte herstellten, in die Definitionsgewalt auch fremder Gesetzgeber gestellt. Der Verweis auf die Arzneibücher anderer Mitgliedstaaten führe zudem zu übermäßigen Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Rechtslage und damit zu Rechtsunsicherheit. Die Auslegung des Oberverwaltungsgerichts verletze auch die Berufsfreiheit der Heilpraktiker aus Art. 12 Abs. 1 GG. Der im Arztvorbehalt liegende Eingriff in dieses Grundrecht sei unverhältnismäßig, weil er nicht erforderlich sei. Der Begriff des homöopathischen Eigenblutprodukts müsse nach allem verfassungskonform ausgelegt werden. Es sei jedenfalls dann eine Ausnahme vom Transfusionsgesetz angezeigt, wenn das Mittel im Europäischen Arzneibuch oder im Deutschen Homöopathischen Arzneibuch aufgeführt sei. Fehle es daran, könne es - wie auch der Bundesgerichtshof zugrunde lege - nur darauf ankommen, ob es sich bei der Anwendung von Eigenblut mit Zusatz von Homöopathika um eine dem homöopathischen Standard entsprechende, tradierte und gebräuchliche Form der Eigenbluttherapie handele. Dies sei bei den von ihr angewandten Methoden der Fall. Die Revision werde zudem auf einen Verfahrensmangel gestützt. Die angefochtene Entscheidung beruhe auf einem Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, weil das Oberverwaltungsgericht unzutreffend angenommen habe, sie reinjiziere allein mit Ozon versetztes Eigenblut. Sie führe aber die Behandlung auch mit unverändertem Eigenblut durch. Dies habe sie auch angezeigt. Die vom Oberverwaltungsgericht getroffene Feststellung, die Anzeige - und damit die Untersagung - betreffe lediglich einen abschließend bezeichneten Fall, widerspreche offenkundig den Angaben in ihrer Anzeige.

6 Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.

7 Die Vertreterin des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht trägt in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Gesundheit vor, der Begriff "homöopathisch" sei unter Heranziehung von § 4 Abs. 26 Satz 1 AMG zu bestimmen. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Transfusionsgesetz ein anderes Begriffsverständnis als dem Arzneimittelgesetz zugrunde liege.

II

8 Die zulässige Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das angegriffene Urteil verstößt nicht gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat die gegen die Klageabweisung gerichtete Berufung der Klägerin zu Recht zurückgewiesen. Die zulässige Klage ist unter Zugrundelegung der bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 22. März 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

9 1. Mit dem angegriffenen Bescheid wird der Klägerin nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts die Blutentnahme zur Herstellung von Eigenblutprodukten im Wege der Mischung mit Ozon untersagt. Die Verfahrensrüge, die die Klägerin gegen diese zum Bereich der Tatsachenfeststellung im Sinne des § 137 Abs. 2 VwGO gehörende Auslegung der angegriffenen Verfügung erhebt, greift nicht durch. Das Vorbringen, das Oberverwaltungsgericht sei aktenwidrig davon ausgegangen, dass die Klägerin nur eine Eigenblutbehandlung unter Einsatz von Ozon durchführe, während sie tatsächlich auch Reinjektionen von unverändertem Eigenblut vornehme und dies dem Beklagten auch angezeigt habe, zeigt keinen Fehler des Oberverwaltungsgerichts auf. Es hat nicht angenommen, dass die Klägerin lediglich mit Ozon versetztes Eigenblut injiziere, sondern ausgeführt, dass der Bescheid nur diesen Fall erfasse. Insoweit kommt es nicht darauf an, was die Klägerin angezeigt hat, sondern welche Regelung der Bescheid enthält.

10 2. Ermächtigungsgrundlage für die Untersagung der Blutentnahme sind § 69 Abs. 1 Satz 1 und § 64 Abs. 3 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz - AMG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), zuletzt geändert durch Art. 8c des Gesetzes vom 20. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2793) in Verbindung mit § 7 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung...

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