Urteil vom 15.10.2020 - BVerwG 2 WD 1.20

JurisdictionGermany
Judgment Date15 Octubre 2020
Neutral CitationBVerwG 2 WD 1.20
ECLIDE:BVerwG:2020:151020U2WD1.20.0
Applied RulesSG §§ 7, 10 Abs. 1, § 17 Abs. 2,GG Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4, Art. 97 Abs. 1,StPO § 153 a Abs. 2, § 327,EMRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1,SVG § 11,StGB § 2 Abs. 1, §§ 20, 21, 113 Abs. 1 a.F., § 316 Abs. 1 und 2,WDO § 1 Abs. 3, § 16 Abs. 1 Nr. 2, § 38 Abs. 1, § 58 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 7, §§ 62, 83, 91 Abs. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2, § 101 Abs. 1 Satz 1, §§ 120, 121, 139 Abs. 3, § 140 Abs. 5 Satz 1
Registration Date29 Marzo 2021
Record Number151020U2WD1.20.0
Subject MatterBerufungen nach der WDO
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
CitationBVerwG, Urteil vom 15.10.2020 - 2 WD 1.20

BVerwG 2 WD 1.20

  • TDG Süd 4. Kammer - 14.10.2019 - AZ: TDG S 4 VL 15/18

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 15. Oktober 2020, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke,
ehrenamtlicher Richter Oberstapotheker Dr. Hetfleisch-Stephan und
ehrenamtlicher Richter Stabsfeldwebel Nauroth,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ...
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:

  1. Auf die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft wird das Urteil der 4. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 14. Oktober 2019 im Ausspruch über die Disziplinarmaßnahme geändert.
  2. Das Ruhegehalt des früheren Soldaten wird für die Dauer von 30 Monaten um 1/10 gekürzt; im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
  3. Der frühere Soldat und der Bund tragen jeweils die Hälfte der Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der dem früheren Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen.
Gründe I

1 Das Verfahren betrifft die disziplinarischen Vorwürfe des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, deren Beleidigung und einer außerdienstlichen Trunkenheitsfahrt.

2 1. Der ... geborene frühere Soldat erwarb 2004 den Realschulabschluss und besuchte bis 2006 das Fachgymnasium. 2008 wurde er unter Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit zum Jäger und 2009 zum Unteroffizier ernannt. Zuletzt wurde er 2017 zum Hauptfeldwebel befördert. Seit April 2019 befindet er sich im Berufsförderungsdienst. Seine Dienstzeit endete am 30. Juni 20...

3 Planmäßig wurde er zuletzt am 17. Juli 2015 durch den nächsthöheren Vorgesetzten mit durchschnittlich "7,29" beurteilt. Der frühere Soldat habe durch seine schnelle Auffassungsgabe und die Bereitschaft, sich aktiv einzubringen, überzeugt. Er sei gut organisiert, lernfähig, lernwillig und stehe neuen Herausforderungen stets offen gegenüber. Zudem sei er physisch und psychisch voll belastbar. Er verfüge über ein angenehmes, ruhiges Wesen, nehme Hinweise und helfende Kritik auf und setze sie um. Er habe eine gute Allgemeinbildung und sei im Kameradenkreis anerkannt. Sein Potential sei noch nicht vollumfänglich zur Geltung gekommen. Er habe die mit dem Wechsel auf die Amtsebene verbundenen Herausforderungen sehr gut bewältigt. Der Wunsch, Berufssoldat zu werden, werde nachdrücklich unterstützt.

4 In einer Stellungnahme vom 17. November 2017 zum Antrag auf Übernahme als Berufssoldat heißt es, der frühere Soldat sei ein hochintelligenter, leistungsstarker Portepeeunteroffizier mit vorbildlicher Berufseinstellung. Sein Auftreten sei ruhig, unaufdringlich und immer korrekt. Die Offizieraufgaben habe er absolut handlungssicher und eigenständig erfüllt. Auf ihn sei jederzeit Verlass. Er sei auch ein guter Teamplayer. Sein Entwicklungspotenzial sei bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Er stelle persönliche Belange stets hinter dienstliche Erfordernisse zurück und sei für eine Übernahme als Berufssoldat außergewöhnlich geeignet.

5 Erstinstanzlich hat der Leumundszeuge A. den früheren Soldaten als äußerst zuverlässigen, ruhigen und stabilen Soldaten beschrieben, der seine Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit wahrgenommen habe. Er beurteile ihn mit "7,5" bzw. "7,6". Alkoholkonsum sei überhaupt kein Thema für den früheren Soldaten gewesen.

6 Die Sonderbeurteilung vom 24. März 2020 weist als Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung "7,43" aus. Der frühere Soldat nehme wiederholt Offizieraufgaben handlungssicher war und habe sich bestens bewährt. Sein Potenzial sei noch nicht ausgeschöpft.

7 Der Zentralregisterauszug des früheren Soldaten weist dessen zum Anschuldigungskomplex 2 sachgleiche strafgerichtliche Verurteilung des Amtsgerichts Köln vom 28. Januar 2016 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 und 2 StGB) zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 50 € aus. Der aktuelle Disziplinarbuchauszug enthält keine Eintragungen. 2016 wurde ihm eine Leistungsprämie von 2 075 € gewährt. Ein gegen den früheren Soldaten gerichtetes Strafverfahren wegen seines zum Anschuldigungskomplex 1 sachgleichen Verhaltens wurde nach § 153a Abs. 2 StPO eingestellt. Mit rechtskräftigem Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 3. Januar 2015 wurde die Zulässigkeit der Freiheitsentziehung und deren Fortdauer im Zusammenhang mit dem Anschuldigungskomplex 1 festgestellt.

8 Der frühere Soldat ist ledig und kinderlos. Er erhält Übergangsgebührnisse von monatlich etwa 1 900 € bis (- nach seiner Aussage -) 2 000 € netto. Die Übergangsbeihilfe von 19 559,40 € ist einbehalten worden. Er hat nach eigenen Angaben Fixkosten in Höhe von 2 000 €, die sich unter anderem aus 800 € für Miete, 600 € für einen Autokredit und 200 € für Versicherungen ergeben.

9 2. Auf der Grundlage der Einleitungsverfügung des Kommandeurs ... vom 25. Mai 2016 und der Anschuldigungsschrift der Wehrdisziplinaranwaltschaft vom 31. Mai 2018 hat das Truppendienstgericht Süd gegen den früheren Soldaten mit Urteil vom 14. Oktober 2019 ein Beförderungsverbot für die Dauer von 48 Monaten in Verbindung mit einer Kürzung seiner Dienstbezüge um 1/20 für die Dauer von einem Jahr verhängt.

10 a) Als erster Tatkomplex stehe fest, dass sich der frühere Soldat am 3. Januar 2015 gegen 02:30 Uhr mit dem Zeugen B. in ... in der Bar "..." ... getroffen habe, um mit ihm zu feiern. Dabei habe er Alkohol konsumiert, bis ihm übel geworden sei. Deshalb habe er sich mit einer anderen Person zu seinem Pkw begeben, um sich auszuruhen. Später sei versucht worden, ihm ein Taxi zu rufen. Während der Wartezeit habe der frühere Soldat angefangen, obszöne Gesten und ausfallende Kommentare aus dem geöffneten Fahrzeugfenster von sich zu geben. Gegen 06:45 Uhr habe er in Richtung des vorbeifahrenden Streifenwagens, in dem zwei Polizeibeamtinnen gesessen hätten, den Mittelfinger entgegengestreckt und ihnen wahrnehmbar "ihr Wichser" zugerufen.

11 Bei der anschließenden Personenkontrolle habe sich der frühere Soldat den Polizeibeamtinnen gegenüber nicht kooperativ verhalten und zunächst abgelehnt, sich auszuweisen. Nachdem sie ihm seine Ausweispflichten erläutert hätten, habe er ihnen seinen Führerschein ausgehändigt. Aufgrund seiner starken Alkoholisierung und seines vorangegangenen aggressiven Verhaltens sei zur Verstärkung eine weitere Polizeistreife gerufen worden. Insbesondere habe der frühere Soldat daran gehindert werden sollen, in fahruntüchtigem Zustand sein Fahrzeug zu lenken. Die herbeigerufenen Polizeibeamten hätten ihn an beiden Armen festgehalten, da er zunehmend aggressiver mit seinen Armen gestikuliert und sich weiteren Kontrollen verweigert habe. Die Androhung der Ingewahrsamnahme sei wirkungslos geblieben. Als die Polizeibeamten wegen der Aggressivität des früheren Soldaten versucht hätten, ihm die Hände zum Rücken zu führen, um ihm Handfesseln anzulegen, habe er sich nach vorn auf den Kofferraum seines Personenkraftwagens gebeugt. Dabei habe er seine Hände aus dem Fesselungsgriff lösen können und durch die Polizeibeamten auf den Boden verbracht werden müssen. Während ihm Handfesseln hätten angebracht werden sollen, habe er seinen linken Arm unter seinen Körper geführt, um deren Anlegen zu vereiteln. Erst durch Kraftentfaltung sei es den Polizeibeamten gelungen, sie ihm anzulegen. Bei dem Versuch, ihn zum Streifenwagen zu bringen, habe er sich fallen und durchhängen lassen, so dass er von zwei Polizeibeamten habe getragen werden müssen. Wegen des Anspannens seines Körpers hätten Polizeibeamte wiederum Kraft entfalten und dem früheren Soldaten Schmerzpunkte setzen müssen, um ihn in den Streifenwagen setzen und in Polizeigewahrsam nehmen zu können.

12 Der frühere Soldat sei sodann gegen 07:19 Uhr in Polizeigewahrsam genommen und von zwei Polizeibeamten zur Zelle verbracht worden. Da er sich nach mehrfacher Zwangsandrohung geweigert habe, seine Kleidung abzulegen, sei er von den...

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