Urteil vom 16.12.2016 - BVerwG 8 C 8.16

Judgment Date16 Diciembre 2016
Neutral CitationBVerwG 8 C 8.16
ECLIDE:BVerwG:2016:161216U8C8.16.0
Record Number161216U8C8.16.0
Registration Date28 Marzo 2017
Subject MatterWirtschaftsverwaltungsrecht einschließlich des Spielbankenrechts und des Wett- und Lotterierechts, des Ladenschlussrechts und des Arbeitszeitrechts
CourtDas Bundesverwaltungsgericht

BVerwG 8 C 8.16

  • VG Berlin - 15.02.2013 - AZ: VG 4 K 344.12
  • OVG Berlin-Brandenburg - 10.03.2016 - AZ: OVG 1 B 41.14

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 15. und 16. Dezember 2016
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Christ,
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab, Hoock, Dr. Rublack und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller
für Recht erkannt:

  1. Die Revision wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe I

1 Die Klägerin wendet sich gegen die Versagung von Erlaubnissen für acht von ihr geplante Spielhallen im Verbund im Gebäudekomplex K.weg ... in Berlin.

2 Ihre Anträge auf Erteilung von Spielhallenerlaubnissen vom 19. Oktober 2010 lehnte das Bezirksamt ... mit Bescheiden vom 5. September 2011 unter Hinweis auf eine näher als 500 Meter gelegene bestehende Spielhalle, ein nahe gelegenes Schul-Umweltzentrum und die fehlende optische Sonderung der Spielhallen ab. Den Widerspruch der Klägerin wies das Bezirksamt mit Widerspruchsbescheiden vom 1. Dezember 2011 zurück. Der Erteilung von Erlaubnissen stehe auch die Nähe zu einer bestehenden Kindertagesstätte entgegen. Die auf die Erteilung von Erlaubnissen für die geplanten Spielhallen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 15. Februar 2013 abgewiesen.

3 Die hiergegen gerichtete Berufung hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 10. März 2016 zurückgewiesen. Eine Erlaubnis könne der Klägerin wegen der Nichteinhaltung des in § 2 Abs. 1 Satz 3 Spielhallengesetz Berlin (SpielhG BE) geforderten Mindestabstandes von 500 Metern zu anderen Spielhallen für keine der geplanten Spielhallen erteilt werden. Für einen Ausnahmefall lägen keine Anhaltspunkte vor. Die Abstandsvorschrift sei verfassungskonform und auch im Hinblick auf Unionsrecht anwendbar. Ob der Erteilung der Erlaubnisse weitere Versagungsgründe entgegenstünden, könne offenbleiben.

4 Die Klägerin macht zur Begründung ihrer hiergegen gerichteten Revision im Wesentlichen geltend, die Länder seien zum Erlass von Regelungen über den Mindestabstand zu anderen Spielhallen oder sonstigen Einrichtungen nicht befugt. Der Gesetzgebungskompetenztitel der Länder in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG für das "Recht der Spielhallen" sei normativ-rezeptiv entsprechend dem Regelungsgehalt des bisherigen § 33i GewO auszulegen. Die Abstandsvorschriften des § 2 Abs. 1 Satz 2 bis 5 SpielhG BE stellten einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit dar und seien nicht hinreichend bestimmt. Die Abweichungsermächtigung in § 2 Abs. 1 Satz 5 SpielhG BE entspreche nicht den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts.

5 Die Klägerin beantragt, die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. März 2016 und des Verwaltungsgerichts Berlin vom 15. Februar 2013 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide des Bezirksamts ... von Berlin vom 5. September 2011 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 1. Dezember 2011 zu verpflichten, ihr die beantragten Erlaubnisse für acht Spielhallen am Standort K.weg ... in ... Berlin zu erteilen.

6 Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

7 Er verteidigt das Berufungsurteil. Mit den angegriffenen Regelungen habe der Gesetzgeber auf den sprunghaften Anstieg von Spielhallenstandorten und den in ihnen aufgestellten Spielgeräten vor allem in den Innenstadtbezirken Berlins reagiert, um der herausragenden Suchtgefahr des Geldautomatenspiels entgegenzuwirken. Insoweit verfüge der Gesetzgeber über einen legislativen Einschätzungsspielraum, der hier auch ausweislich neuester Studien über Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland nicht überschritten sei. Die Länder seien für die angegriffenen Regelungen nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG regelungsbefugt. Die Ausübung des Berufs des Spielhallenbetreibers bleibe in Berlin selbst bei Einhaltung der Mindestabstände möglich, da auch bauplanungsrechtlich ausreichend Standorte zur Verfügung stünden. Die angegriffenen Einschränkungen für Spielhallen seien zur Spielsuchtbekämpfung und -prävention geeignet, erforderlich und zumutbar. Die Ermächtigung zu einer von den Mindestabstandserfordernissen abweichenden Entscheidung in § 2 Abs. 1 Satz 5 SpielhG BE sei hinreichend bestimmt. Sie solle besonderen Einzelfällen Rechnung tragen und könne diese nicht selbst konkretisieren. Der Landesgesetzgeber habe Spielhallen gegenüber dem Automatenspiel in Gaststätten und in Spielbanken unterschiedlich behandeln dürfen.

8 Der Vertreter des Bundesinteresses bejaht eine Befugnis der Länder zur Regelung von Mindestabständen zu anderen Spielhallen und zu Einrichtungen, die von Minderjährigen besucht werden. Solche Regelungen seien zwar mangels unmittelbaren Bezuges zur Räumlichkeit von Spielhallen nicht dem "Recht der Spielhallen" zuzuordnen. Jedoch habe der Bund insoweit jedenfalls von seiner Kompetenz zur Regelung der "öffentlichen Fürsorge" und des "Rechts der Wirtschaft" keinen Gebrauch gemacht. Die Abstandsregelungen des § 2 Abs. 1 Satz 3 bis 5 SpielhG BE seien hinreichend bestimmt.

II

9 Die zulässige Revision bleibt ohne Erfolg. Das angegriffene Urteil verletzt kein revisibles Recht.

10 Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zu Recht zurückgewiesen, da die zulässige Verpflichtungsklage der Klägerin unbegründet ist. Diese hat für keine ihrer geplanten Spielhallen einen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis nach § 2 des Gesetzes zur Regelung des Rechts der Spielhallen im Land Berlin (Spielhallengesetz Berlin - SpielhG BE) vom 20. Mai 2011 (GVBl. BE S. 223, geändert durch Gesetz vom 22. März 2016, GVBl. BE S.117). Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung tragend allein darauf gestützt, dass die Ablehnung der beantragten Erlaubnisse wegen der - von der Klägerin nicht in Abrede gestellten - Unterschreitung des im Versagungsgrund des § 2 Abs. 1 Satz 3 SpielhG BE vorgesehenen Mindestabstandes von 500 Metern im Verhältnis zu weiteren Spielhallen oder ähnlichen Unternehmen rechtmäßig ist. Dabei hat es die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 3 SpielhG BE zutreffend als verfassungs- und unionsrechtskonform und deshalb auf die Spielhallen der Klägerin anwendbar erachtet.

11 1. Das Land Berlin war zum Erlass einer Regelung über die Einhaltung eines Mindestabstandes zwischen Spielhallen als Versagungsgrund für eine Spielhallenerlaubnis befugt. Zur Begründung nimmt der Senat Bezug auf die nachfolgend wiedergegebenen Ausführungen in seinem Urteil vom selben Tage zum Parallelverfahren BVerwG 8 C 6.15 , die sich mit gleichgerichteten Rügen der dortigen Klägerin befassen:
"Der ausdrückliche und ausschließliche Länderkompetenztitel (vgl. BT-Drs. 16/813 S. 13) in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG für das 'Recht der Spielhallen' ermächtigt die Länder zur Regelung sämtlicher Voraussetzungen für die Erlaubnis von Spielhallen und die Art und Weise ihres Betriebes einschließlich der räumlichen Bezüge in ihrem Umfeld. Dies ergibt die Auslegung des Kompetenztitels nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik sowie Sinn und Zweck (vgl. allg. BVerfGE, Beschluss vom 14. Januar 2015 - 1 BvR 931/12 - BVerfGE 138, 261 <273 f.>).
aa) Der Wortlaut des Kompetenztitels 'Recht der Spielhallen' ist weit und erfasst über die Voraussetzungen der Erteilung einer Spielhallenerlaubnis hinaus alle Gesichtspunkte des mit der Räumlichkeit einer Spielhalle verbundenen Betriebes. Insbesondere beschränkt er sich nicht auf den Regelungsgehalt des bisherigen § 33i GewO. Regelungen dagegen, die sich unabhängig vom Aufstellungsort Spielhalle produktbezogen mit der Gestaltung, Zulassung, Aufstellung und Überprüfung von Spielgeräten befassen, sind dem 'Recht der Spielhallen' wegen des im Wortlaut angelegten räumlichen Bezuges dieser Materie nicht zuzuordnen.
Auch die Entstehungsgeschichte des im Zuge der Föderalismusreform zugunsten der Länder umgestalteten Kompetenztitels des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG spricht dafür, dass das 'Recht der Spielhallen' alle Aspekte der Erlaubnis und des Betriebes von Spielhallen umfasst. Insbesondere lassen sich weder den Materialien des Gesetzgebungsverfahrens für das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl. I S. 2034), mit dem die Neufassung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG verabschiedet wurde, noch den Materialien der 2003 eingesetzten 'Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung' (Föderalismuskommission I), an deren Ergebnisse das verfassungsändernde Gesetz anknüpfte, Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass mit ihm lediglich der Regelungsbereich der bisherigen Rechtsgrundlage für eine Spielhallenerlaubnis in § 33i GewO normativ rezipiert und die Gesetzgebungsbefugnis der Länder hierauf beschränkt werden sollte.
Die Reform der Gesetzgebungskompetenzen im Jahre 2006 ging auf die Initiative der Länder zurück, die bundesstaatliche Ordnung kritisch zu überprüfen und den Ländern wieder mehr Kompetenzen zu verschaffen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2015 - 1 BvR 931/12 - BVerfGE 138, 261 <264>). In der Föderalismuskommission I konnte allerdings zwischen Bund und Ländern kein Konsens darüber hergestellt werden, welche Materien aus dem Kompetenztitel des 'Rechts der Wirtschaft' in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG auf die Länder verlagert werden sollten. Einigkeit bestand lediglich darüber, dass den Ländern Materien übertragen werden sollten, die einen regionalen Bezug aufwiesen und nicht zur Wahrung des einheitlichen Wirtschaftsraums in der Bundeskompetenz verbleiben mussten (vgl. Ergebnisvermerk der 6...

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