Urteil vom 17.05.2023 - BVerwG 6 C 5.21

JurisdictionGermany
Judgment Date17 Mayo 2023
Neutral CitationBVerwG 6 C 5.21
ECLIDE:BVerwG:2023:170523U6C5.21.0
Record Number170523U6C5.21.0
CitationBVerwG, Urteil vom 17.05.2023 - 6 C 5.21 -
Registration Date13 Septiembre 2023
Subject MatterVereinsrecht
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
Applied RulesGG Art. 9 Abs. 2, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und 2,VwGO § 42 Abs. 2, § 44,VereinsG § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 Alt. 1, § 8 Abs. 1 und 2 Satz 1 und 2, § 10 Abs. 2, § 11 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 und § 12 Abs. 2 Alt. 1

BVerwG 6 C 5.21

  • VG Bayreuth - 07.06.2018 - AZ: B 1 K 16.23
  • VGH München - 30.06.2020 - AZ: 4 B 20.124

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 17. Mai 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller, Hahn und Dr. Tegethoff sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gamp
für Recht erkannt:

  1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 30. Juni 2020 wird zurückgewiesen
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens
Gründe I

1 Die Klägerin wendet sich gegen eine ihr Grundstück betreffende Beschlagnahme- und Einziehungsanordnung in einer vereinsrechtlichen Verbotsverfügung.

2 Die Klägerin erwarb im Mai 2010 das mit einem Wohn- und Wirtschaftsgebäude bebaute Grundstück in ..., Ortsteil O. Sie überließ es ihrem Sohn T., der dort - bis auf den Zeitraum seiner Haft von April 2011 bis zum Mai 2013 - zusammen mit zwei Freunden wohnte. Die Bewohner waren für die Vereinigung "Freies Netz Süd" (FNS) tätig, die Veranstaltungen auf dem Anwesen durchführte und von dort aus ihre Aktivitäten koordinierte. Mit notariellem Vertrag vom 10. Februar 2014 veräußerte die Klägerin das Grundstück an ihren Sohn. Der Vertrag sieht einen sofortigen Besitzübergang an den Sohn vor. In der Folgezeit kam der Sohn der Pflicht zur Zahlung der vereinbarten Raten nicht nach. Im Grundbuch ist unverändert die Klägerin als Eigentümerin eingetragen.

3 Mit Verfügung vom 2. Juli 2014 - gegen Empfangsbekenntnisse zugestellt und mit dem verfügenden Teil im Bundesanzeiger veröffentlicht am 23. Juli 2014 - stellte das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr unter Ziffer 1 fest, dass die Vereinigung FNS eine Ersatzorganisation der durch seine Verfügung vom 19. Dezember 2003 verbotenen Vereinigung "Fränkische Aktionsfront" (F.A.F.) ist. In Ziffer 2 der Verbotsverfügung verbot es die Vereinigung und löste sie auf. Unter Ziffer 7 verfügte die Behörde die Beschlagnahme von Sachen Dritter und ihre Einziehung zugunsten des Freistaates Bayern, soweit der Berechtigte durch die Überlassung der Sachen an das FNS dessen verfassungswidrige Bestrebungen gefördert habe oder die Sachen zur Förderung dieser Bestrebungen bestimmt gewesen seien. In Ziffer 7.1 der Verfügung wird insbesondere das dem FNS von der Klägerin überlassene, im Einzelnen näher bezeichnete Grundstück samt Wohn- und Wirtschaftsgebäude in O. beschlagnahmt und zugunsten des Freistaates Bayern eingezogen. Die gegen das unter Ziffer 1 und 2 verfügte Vereinsverbot des FNS erhobenen Klagen der Klägerin und weiterer 40 Kläger wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 20. Oktober 2015 - 4 A 14.17 87 - ab.

4 Die gegen die Beschlagnahme- und Einziehungsanordnung in Ziffer 7.1 der Verbotsverfügung gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 30. Juni 2020 die angefochtene Verfügung in Ziffer 7.1 aufgehoben. Die Anfechtungsklage sei zulässig und begründet. § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1, § 10 Abs. 2, § 12 Abs. 2 Alt. 1, § 8 Abs. 2 Satz 1 und 2 VereinsG sähen in der Regel mit dem Vereinsverbot die Beschlagnahme und Einziehung von Sachen Dritter vor, wenn der Berechtigte durch die Überlassung der Sachen an den Verein dessen verfassungswidrige Bestrebungen vorsätzlich gefördert habe. Diese Voraussetzungen müssten zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Verbotsverfügung vorliegen. Daran fehle es hier.

5 Ob die objektiven Anforderungen der Befugnisnormen zu diesem Zeitpunkt vorgelegen hätten, sei zweifelhaft. Zu den der Beschlagnahme und Einziehung unterliegenden Sachen Dritter gehörten auch neutrale Gegenstände wie etwa Grundstücke, wenn diese für die Aktivitäten des Vereins zur Verfügung gestellt worden seien. Die Überlassung erfordere eine bewusste und rechtserhebliche Übertragung des Gewahrsams an den Verein. Dies sei auch dann gegeben, wenn der Eigentümer nur über eine Zwischenperson mit dem Verein in Kontakt trete. Deswegen dürfte die Anwendung der Vorschriften nicht schon daran scheitern, dass die Klägerin ihr Grundstück lediglich ihrem Sohn und zwei seiner Freunde überlassen habe, nicht aber unmittelbar dem FNS. Es sei aber nicht erwiesen, dass der Sohn die Immobilie auch noch im maßgeblichen Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage zumindest gelegentlich dem FNS und nicht ausschließlich anderen Nutzern - der inzwischen gegründeten Partei "Der Dritte Weg" – zur Verfügung gestellt habe. Gesichert sei allein die Überlassung an das FNS bis zum Herbst 2013. Die Historie sowie Sinn und Zweck der § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1, § 12 Abs. 2 Alt. 1 VereinsG sowie verfassungsrechtliche Erwägungen sprächen dafür, dass es für die Anwendbarkeit der Normen auf den Fortbestand des Gewahrsams bis zum Verbotszeitpunkt ankomme. Dies könne allerdings ebenso offenbleiben wie die Frage, wer zuletzt Gewahrsam an dem Anwesen innegehabt habe.

6 Denn jedenfalls lasse sich der erforderliche Vorsatz der Klägerin nicht feststellen. Eine vorsätzliche Förderung setze voraus, dass der Eigentümer die verfassungswidrigen Bestrebungen des Vereins gekannt und gewollt oder - im Sinne eines bedingten Vorsatzes - zumindest billigend in Kauf genommen habe, dass diesen Bestrebungen durch die Überlassung der Sache Vorschub geleistet werde. Nicht erforderlich sei, dass der Überlassende die ihm bekannten Aktivitäten des Vereins in verfassungs- und vereinsrechtlicher Hinsicht exakt bestimme. Es reiche aus, dass er aufgrund einer sogenannten Parallelwertung in der Laiensphäre auf der Grundlage seines Wissens über die tatsächlichen Vereinsaktivitäten den sozialen Sinngehalt der Verbotsgründe des Art. 9 Abs. 2 GG und damit den Begriff der "verfassungswidrigen Bestrebungen" zutreffend erfasst habe. Er müsse zudem eine zumindest laienhafte Vorstellung davon entwickelt haben, dass die verfassungswidrigen Aktivitäten nicht von (wechselnden) Einzelpersonen ausgingen, sondern in organisierter Form erfolgten und damit einem Verein im Sinne des § 2 Abs. 1 VereinsG zuzurechnen seien, der den Gewahrsam an der Sache ausübe. Die Befragung der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung habe zwar ihre Kenntnis davon ergeben, dass ihr Sohn die Räumlichkeiten nicht nur zum Wohnen, sondern auch für verfassungswidrige Aktivitäten genutzt und zur Verfügung gestellt habe. Ihr sei bekannt gewesen, dass sich ihr Sohn dort mit Gesinnungsgenossen getroffen habe. Es habe sich aber nicht belegen lassen, dass sie um die Nutzung durch eine Personenvereinigung gewusst habe.

7 Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der vom Senat zugelassenen Revision. Er ist der Ansicht, das Berufungsgericht verlange zu Unrecht die Kenntnis konkreter Vereinsstrukturen. Der Wortlaut von § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1 VereinsG fordere nicht zwingend, dass der Förderungsvorsatz die Vereinsstruktur umfassen müsse. Nach dem Normzweck solle der Zugriff auf dem Vereinsvermögen vergleichbar "bemakelte" Sachen ermöglicht werden. Nach den Gesetzgebungsmaterialien handele es sich bei einer Beschlagnahme- und Einziehungsanordnung um eine Sicherungsmaßnahme. Zudem komme der Einziehung eine strafähnliche Wirkung zu, weshalb sie eine Parallelvorschrift zu § 74a Nr. 1 StGB darstelle. Im Übrigen sei entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts unerheblich, ob das FNS zum Zeitpunkt der Verbotsverfügung noch Gewahrsam an dem Grundstück gehabt habe. Es genüge, dass die Sache der Vereinigung in der Vergangenheit zur Verfügung gestanden habe. Dies folge aus dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck der Normen.

8 Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.

II

9 Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet und deshalb nach § 144 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Der Verwaltungsgerichtshof hat der Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts ohne Verletzung von Bundesrecht im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO stattgegeben. Er hat die Klage zutreffend als zulässig (1.) und begründet (2.) erachtet.

10 1. Die Klägerin begehrt in gemäß § 44 VwGO zulässiger objektiver Klagehäufung die Aufhebung der Beschlagnahme- und Einziehungsanordnung. Es handelt sich dabei um zwei Nebenentscheidungen zu einem Vereinsverbot, die jeweils Verwaltungsakte im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG bzw. der entsprechenden landesrechtlichen Regelung des Art. 35 Satz 1 BayVwVfG darstellen und selbständig anfechtbar sind. Die Anfechtungsklage ist somit statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere ist die Klägerin klagebefugt, § 42 Abs. 2 VwGO. Es besteht die Möglichkeit, dass die im Tenor und in der Begründung der Verbotsverfügung konkret auf ihr Grundstück in O. bezogene Beschlagnahme- und Einziehungsanordnung sie in ihrem durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Eigentum verletzt (vgl. zur Verneinung der Klagebefugnis in Fallgestaltungen, in denen es an einer solchen Konkretisierung in der Verbotsverfügung mangelt: BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2020 - 6 A 1.19 - BVerwGE 167, 293 Rn. 29). Die Klägerin ist unverändert Eigentümerin des bebauten Grundstücks und als solche im Grundbuch eingetragen. Obschon sie das Grundstück mit notariellem Kaufvertrag vom 10. Februar 2014 an ihren Sohn verkauft hat, hat ein dinglicher Rechtsübergang bis zum Erlass der Verbotsverfügung nicht stattgefunden.

11 2. Die Beschlagnahme- und Einziehungsanordnung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Maßgeblich...

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