Urteil vom 17.09.2021 - BVerwG 3 C 20.20

JurisdictionGermany
Judgment Date17 Septiembre 2021
Neutral CitationBVerwG 3 C 20.20
ECLIDE:BVerwG:2021:170921U3C20.20.0
Applied RulesVO (EU) 2016/128 Art. 2 Abs. 2, Art. 5 Abs. 2 Buchst. e,VO (EU) Nr. 609/2013 Art. 2 Abs. 2 Buchst. g, Art. 4 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Abs. 5, Art. 11 Abs. 1,VwGO § 139 Abs. 3 Satz 4,VO (EU) Nr. 1169/2011 Art. 7 Abs. 3,RL 2001/83/EG Art. 1 Nr. 2 Buchst. a,RL 1999/21/EG Art. 4 Abs. 4 Buchst. a,VO (EG) Nr. 178/2002 Art. 2 Abs. 3 Buchst. d,AMG § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1, § 21 Abs. 4
Registration Date16 Diciembre 2021
Record Number170921U3C20.20.0
Subject MatterGesundheitsverwaltungsrecht einschl. des Rechts der Heilberufe, der Gesundheitsfachberufe und des Krankenhausfinanzierungsrechts sowie des Seuchen- und Infektionsschutzrechts
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
CitationBVerwG, Urteil vom 17.09.2021 - 3 C 20.20 -

BVerwG 3 C 20.20

  • VG Köln - 07.11.2017 - AZ: VG 7 K 4696/16
  • OVG Münster - 04.03.2020 - AZ: OVG 13 A 3139/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 17. September 2021
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner und Dr. Sinner
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. März 2020 wird zurückgewiesen
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens
Gründe I

1 Der Rechtsstreit betrifft die Abgrenzung von diätetischen Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke und Präsentationsarzneimitteln.

2 Die Klägerin vertreibt in Österreich hergestellte Produkte in Deutschland, sie bringt u.a. das Erzeugnis "... Kapseln" unter der ergänzenden Bezeichnung "Diätetisches Lebensmittel zum Diätmanagement bei Blasenentleerungsstörungen und Harnwegsinfekten" in den Verkehr. Auf der Verpackung ist eine Einnahmeempfehlung von 2 x 2 Kapseln täglich für Erwachsene angebracht. Diese Tagesdosis enthält laut Etikettierung 400 mg Ackerschachtelhalm, 360 mg Sägepalmenfrüchteextrakt, 320 mg Weidenröschenkrautpulver, 80 mg Vitamin C, 60 mg Birkenblätterextrakt und 13,6 mg Vitamin E.

3 Auf der Internetseite des österreichischen Herstellers werden zu den Inhaltsstoffen folgende Angaben gemacht: "Schachtelhalm und Birke wirken harntreibend und werden zur Durchspülungstherapie verwendet. Sabalfrüchte wirken entzündungshemmend und antiproliferativ. Anwendung finden sie bei Miktionsstörungen bedingt durch benigne Prostatahyperplasie (Stadium I und II) sowie bei Blasenentzündungen. Inhaltsstoffe des Weidenröschens wirken antiviral, antitumoral und hemmen jene Enzyme, die bei der Pathogenese der benignen Prostatahyperplasie beteiligt sind." Einen Hinweis auf den Namen des Herstellers oder seine Internetseite enthält das Etikett des von der Klägerin vertriebenen Produkts nicht.

4 Mit Bescheid vom 29. September 2014 stellte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Antrag des saarländischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie nach § 21 Abs. 4 des Arzneimittelgesetzes - AMG - fest, dass es sich bei dem Erzeugnis um ein zulassungspflichtiges Präsentationsarzneimittel handele. Ackerschachtelhalm, Sägepalme und Birkenblätter fänden eine langjährige Verwendung als Urologika zur symptomatischen Behandlung von Miktionsbeschwerden bei benigner Prostatahyperplasie. Die als Inhaltsstoffe verwendeten Pflanzen würden allesamt als traditionelle Arzneipflanzen verwendet, für sie lägen monographische Aufbereitungen vor und sie seien Bestandteil verschiedener zugelassener Arzneimittel. Für alle im Präparat enthaltenen Pflanzen habe sich eine gefestigte Verkehrsauffassung als Arzneimittel gebildet. Diese stoffliche Zusammensetzung spiele eine wichtige Rolle bei der Frage, welche Zweckbestimmung einem Produkt durch die Verbraucher zugemessen werde. An diesen medizinisch-therapeutischen Zusammenhang zur Verwendung bei Prostataleiden knüpfe auch der Produktname an. Dementsprechend liege die empfohlene Tagesdosis teilweise höher als bei manchen zugelassenen Arzneimitteln. Die arzneiliche Zweckbestimmung werde durch die Angaben auf der Homepage des Herstellers zu den Wirkungen der Inhaltsstoffe bestätigt. Der von der Klägerin in Anspruch genommene Ausschlussgrund für diätetische Lebensmittel liege nicht vor, weil keine der enthaltenen Pflanzen üblicher Bestandteil der Ernährung sei und die Einnahme keinem Ernährungszweck diene.

5 Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch trug die Klägerin insbesondere vor, das Erzeugnis werde ausdrücklich als diätetisches Lebensmittel vertrieben und entsprechend gekennzeichnet. Es sei daher gerade nicht als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt. Auf den vom BfArM betonten Ernährungszweck zum Ausgleich von Nährstoffdefiziten komme es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht an. Schließlich sei eine diuretische Wirkung als lebensmitteltypisch anzusehen.

6 Das BfArM wies den Widerspruch mit Bescheid vom 14. April 2016 zurück. Diätetische Lebensmittel seien zum Diätmanagement gedacht, nicht zur Vorbeugung, Behandlung oder Heilung der Krankheit selbst. Der durch die Inhaltsstoffe vermittelte Zweck des Präparates ziele aber gerade auf die Behandlung einer Krankheit. Die Behandlung von Blasenentleerungsstörungen und Harnwegsinfekten durch diuretisch wirkende Mittel stelle kein Diätmanagement, sondern eine Arzneimitteltherapie dar. Diätetische Lebensmittel seien für Patienten gedacht, bei denen eine Modifizierung der normalen Ernährung nicht mehr ausreiche. Beschreibung und Nachweis einer derartigen Wirkung habe die Klägerin nicht erbracht.

7 Die hiergegen erhobene Anfechtungsklage hat das Verwaltungsgericht Köln abgewiesen. Die Beklagte habe das Erzeugnis zu Recht als Präsentationsarzneimittel eingestuft. Bei dieser Bewertung sei die von der Klägerin gewählte Produktkategorie hinwegzudenken; andernfalls läge die Zulassungspflicht als Arzneimittel in ihrem Belieben. Mit den Inhaltsstoffen präsentiere die Klägerin durchgehend pflanzliche Zubereitungen mit langjähriger arzneilicher Verwendung bei der Behandlung einer benignen Prostatahyperplasie und ihren urologischen Folgeerscheinungen. Diese Inhaltsstoffe seien dem potentiellen Kundenkreis, der an entsprechenden Beschwerden leide, als pflanzliche Arzneimittel bekannt. Die Voraussetzungen eines diätetischen Lebensmittels erfülle das Präparat der Klägerin im Übrigen nicht. Auch diätetische Lebensmittel seien für - wenngleich besondere - Ernährungszwecke bestimmt; hieran fehle es bei dem streitbefangenen Erzeugnis.

8 Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen das erstinstanzliche Urteil geändert und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Bei der Abgrenzung eines Präsentationsarzneimittels von einem diätetischen Lebensmittel seien Besonderheiten zu beachten. Da das Diätmanagement einen Krankheitsbezug aufweise, dürfe auch das hierfür bestimmte Lebensmittel mit Bezug auf diese Krankheit ausgelobt werden. Die Pflichtangaben bei Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke seien daher grundsätzlich nicht geeignet, die Präsentationsarzneimitteleigenschaft eines Produkts zu begründen. Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs handele es sich bei dem streitbefangenen Erzeugnis nicht um ein Präsentationsarzneimittel. Dies gelte, obwohl das Erzeugnis die Voraussetzungen für die Annahme eines diätetischen Lebensmittels aller Voraussicht nach nicht erfülle: Es sei nicht erkennbar, dass Prostatabeschwerden einen speziellen Nährstoffbedarf hervorriefen, der durch die Kapseln ausgeglichen werde. Die unzutreffende Einordnung als diätetisches Lebensmittel bewirke aber keine Einstufung als Präsentationsarzneimittel. Schutz vor derartigen Falschdeklarationen sei vielmehr mit den Mitteln des Lebensmittelrechts zu gewährleisten.

9 Zur Begründung ihrer Revision trägt die Beklagte insbesondere vor, die Annahme eines Präsentationsarzneimittels werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass die hierfür maßgeblichen Angaben zugleich zu den Pflichtangaben der in Anspruch genommenen Produktkategorie gehörten. Mit den ausgelobten Indikationen Prostatabeschwerden und Blasenentleerungsstörungen werde vorliegend ein direkter Krankheitsbezug hergestellt. Die in § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG enthaltene Ausnahmeregelung könne ein Erzeugnis nur in Anspruch nehmen, wenn die Voraussetzungen für die Annahme eines Lebensmittels für besondere medizinische Zwecke nachgewiesen seien. Hieran fehle es vorliegend auch nach Auffassung des Berufungsgerichts. Angesichts seiner stofflichen Zusammensetzung stelle das Erzeugnis der Klägerin aus Verbrauchersicht nicht ein falsch deklariertes Lebensmittel, sondern ein wirkungsloses Arzneimittel dar.

10 Die Klägerin hält die Revision bereits für...

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