Urteil vom 18.09.2019 - BVerwG 6 A 7.18

JurisdictionGermany
Judgment Date18 Septiembre 2019
Neutral CitationBVerwG 6 A 7.18
ECLIDE:BVerwG:2019:180919U6A7.18.0
Applied RulesBNDG §§ 1, 32a, 33,VwGO §§ 44, 50 Abs. 1 Nr. 4, § 99 Abs. 2,GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Art. 19 Abs. 4,DSGVO Art. 2 Abs. 2 Buchst. a,IFG § 3 Nr. 8,EMRK Art. 10,EUV Art. 4 Abs. 2 Satz 3,BDSG § 25 Abs. 2
Registration Date18 Noviembre 2019
Record Number180919U6A7.18.0
Subject MatterRecht der Verfassungsschutzbehörden und Nachrichtendienste, einschließlich der gegen diese Behörden gerichteten oder ihre Akten betreffenden Informations-, Auskunfts- und Einsichtsansprüche
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
CitationBVerwG, Urteil vom 18.09.2019 - 6 A 7.18

BVerwG 6 A 7.18

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 11. September 2019
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller, Hahn und Dr. Tegethoff sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Steiner
am 18. September 2019
für Recht erkannt:

  1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Kläger seine Klage zurückgenommen hat und soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.
  2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger hinsichtlich der von dem Bundesnachrichtendienst in der Zeit vom 1. Januar 2016 bis zur Klageerhebung organisierten Hintergrundgespräche für Journalisten folgende Auskünfte zu erteilen:
  3. - welche Themen jeweils Gegenstand der Hintergrundgespräche waren,
  4. - welche Medien der Bundesnachrichtendienst jeweils eingeladen hat,
  5. - welche Medienvertreter der Bundesnachrichtendienst jeweils eingeladen hat,
  6. - an welchen der Hintergrundgespräche jeweils der Präsident des Bundesnachrichtendienstes Dr. ... teilgenommen hat.
  7. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  8. Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 3/11 und die Beklagte zu 8/11.
Gründe I

1 Der Kläger ist Journalist und Redakteur einer Tageszeitung. Er bat den Bundesnachrichtendienst im Frühjahr 2017 um die Erteilung von Auskünften über von dem Bundesnachrichtendienst im Jahr 2016 und im laufenden Jahr 2017 organisierte Hintergrundgespräche für Journalisten, über sonstige von dem Bundesnachrichtendienst im laufenden Jahr 2017 durchgeführte Informationsveranstaltungen für Journalisten sowie über den Umgang des Bundesnachrichtendienstes mit Erkenntnissen über den Militärputsch in der Türkei im Juli 2016. Der Bundesnachrichtendienst lehnte die Erteilung der begehrten Auskünfte ab.

2 Der Kläger hat unter Berufung auf den gegen den Bundesnachrichtendienst als Bundesbehörde gerichteten verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG am 12. April 2017 Klage erhoben und sinngemäß begehrt, die beklagte Bundesrepublik Deutschland zu verurteilen, ihm hinsichtlich der von dem Bundesnachrichtendienst in der Zeit vom 1. Januar 2016 bis zur Klageerhebung organisierten Hintergrundgespräche für Journalisten Auskunft darüber zu erteilen, 1. wie viele Gespräche stattgefunden haben, 2. wann und an welchen Orten die Gespräche stattgefunden haben, 3. welche Themen jeweils Gegenstand der Gespräche waren, 4. welche Medien der Bundesnachrichtendienst jeweils eingeladen hat und welche anwesend waren, 5. welche Medienvertreter der Bundesnachrichtendienst jeweils eingeladen hat und welche anwesend waren, 6. in welchen Fällen der Bundesnachrichtendienst jeweils zitierfähige Presseinformationen "Unter eins" ausgegeben oder auf andere Art vermittelt hat (mit Angaben zum vollständigen Inhalt der Informationen), 7. an welchen der Gespräche jeweils der Präsident des Bundesnachrichtendienstes Dr. ... teilgenommen hat, ihm ferner Auskunft darüber zu erteilen, 8. welche weiteren Informationsveranstaltungen für Journalisten der Bundesnachrichtendienst im Jahr 2017 bis zur Klageerhebung außerhalb von Hintergrundgesprächen durchgeführt hat, und ihm darüber hinaus im Hinblick auf Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes über den Militärputsch in der Türkei im Juli 2016 Auskunft darüber zu erteilen, 9. ob der Bundesnachrichtendienst im Zusammenhang mit der vom türkischen Geheimdienst übermittelten Liste über der "Gülen-Bewegung" nahestehende Personen und Institutionen Strafanzeige erstattet hat, 10. ob der Bundesnachrichtendienst Erkenntnisse zu der Frage einer Beteiligung der "Gülen-Bewegung" an dem Militärputsch vor dem Interview mit dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes Dr. ... in der Ausgabe 12/2017 des "Spiegel" an Journalisten (gegebenenfalls in Hintergrundgesprächen) vermittelt hat und welche Erkenntnisse dies gegebenenfalls waren, 11. ob und gegebenenfalls wann und auf welchem Weg der Bundesnachrichtendienst das Bundeskanzleramt über die Äußerungen des Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes in dem "Spiegel"-Interview unterrichtet bzw. diese dem Kanzleramt vorgelegt hat, hilfsweise bei einer Abweisung der Anträge 4. und 5., die Beklagte zu verurteilen, ihm Auskunft darüber zu erteilen, welche Medien und Medienvertreter der Bundesnachrichtendienst zu Hintergrundgesprächen üblicherweise einlädt, höchst hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, die unter 1. bis 11. begehrten Auskünfte nur für den Hintergrund also vertraulich und nicht zur Verwendung für eine öffentliche Berichterstattung mit Quellenangabe zu erteilen.

3 Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

4 Sie macht geltend, dem Kläger fehle für die auf Hintergrundgespräche bezogenen Anträge das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Die insoweit begehrten Informationen seien in der Redaktion, in der der Kläger tätig sei, bereits vorhanden, weil stets auch Mitglieder dieser Redaktion zu den Gesprächen eingeladen würden und an diesen ganz überwiegend teilnähmen. In der Sache müssten sämtliche Anträge erfolglos bleiben. Für den Bundesnachrichtendienst sei eine umfassende Bereichsausnahme gegenüber Auskunftsansprüchen der Presse anzuerkennen. Jedenfalls stünden einer Auskunfterteilung schutzwürdige öffentliche und private Interessen an einer Geheimhaltung entgegen. Dabei müsse dem Bundesnachrichtendienst für die Frage der Sicherheitsrelevanz der begehrten Informationen ein nur im Hinblick auf Willkür überprüfbarer Beurteilungsspielraum zugebilligt werden.

5 Einem zusammen mit der Klageerhebung gestellten Antrag des Klägers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat der Senat mit Beschluss vom 26. Oktober 2017 - 6 VR 1.17 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2017:​261017B6VR1.17.0] - (Buchholz 402.71 BNDG Nr. 6) in Bezug auf den Antrag zu 9 und die erste Teilfrage des Antrags zu 10 stattgegeben. Nach Erteilung der entsprechenden Auskünfte durch die Beklagte haben die Beteiligten die Anträge zu 9 und 10 sowie unabhängig hiervon den Antrag zu 8 übereinstimmend für erledigt erklärt. Nachdem die Beklagte in der mündlichen Verhandlung auch die mit den Anträgen zu 1 und 2 gestellten Fragen beantwortet hat, haben die Beteiligten im Hinblick auf diese Anträge ebenfalls übereinstimmende Erledigungserklärungen abgegeben. Darüber hinaus hat der Kläger die Klage hinsichtlich des Antrags zu 6 sowie der Anträge zu 4 und 5, soweit sich diese mit ihrer jeweils zweiten Teilfrage auf die bei Hintergrundgesprächen anwesenden Medien bzw. Medienvertreter beziehen, nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung mit Einwilligung der Beklagten zurückgenommen.

6 Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses Verfahrens und des vorangegangenen Eilverfahrens zum Aktenzeichen 6 VR 1.17 verwiesen.

II

7 Soweit der Kläger die Klage gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO zurückgenommen hat, ist das Verfahren nach § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Gleiches hat in entsprechender Anwendung der letztgenannten Vorschrift zu geschehen, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben.

8 Im Übrigen ist die Klage zulässig (1.) und mit dem größten Teil der Anträge begründet (2.).

9 1. Die auf den verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gegenüber Bundesbehörden gestützte Klage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft (dazu zuletzt: BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2019 - 6 A 1.17 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2019:​300119U6A1.17.0] - NJW 2019, 2186 Rn. 22) und auch sonst zulässig. Da sich die Auskunftsbegehren des Klägers auf den Geschäftsbereich des Bundesnachrichtendienstes beziehen, ist gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung im ersten und letzten Rechtszug zuständig. Die noch streitgegenständlichen Anträge zu 3, zu 4 und zu 5 - mit ihrer auf die eingeladenen Medien bzw. Medienvertreter bezogenen ersten Teilfrage - sowie zu 7 für den Sachverhaltskomplex der von dem Bundesnachrichtendienst im Jahr 2016 sowie im Frühjahr 2017 organisierten Hintergrundgespräche für Journalisten (im Folgenden: Hintergrundgespräche) und des Antrags zu 11 für den Sachverhaltskomplex des Umgangs mit nachrichtendienstlichen Erkenntnissen über den Militärputsch in der Türkei im Jahr 2016 (im Folgenden: türkischer Militärputsch) erfüllen die Voraussetzungen einer zulässigen objektiven Klagehäufung im Sinne des § 44 VwGO (für das vorangegangene Eilverfahren: BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 2017 - 6 VR 1.17 - Buchholz 402.71 BNDG Nr. 6 Rn. 8).

10 Der als Journalist und Redakteur tätige Kläger hat für sämtliche Anträge ein Rechtsschutzbedürfnis. Dieses kann für die auf die Hintergrundgespräche bezogenen Auskunftsbegehren entgegen der Ansicht der Beklagten nicht unter Verweis darauf verneint werden, dass die entsprechenden Informationen in der Redaktion, in der der Kläger tätig ist, in einer dem Kläger zurechenbaren Weise bereits vorhanden seien, weil der Bundesnachrichtendienst stets auch Journalisten aus dieser Redaktion für die Gespräche berücksichtige. Denn bei dem Auskunftsanspruch der Presse handelt es sich um ein Individualrecht der einzelnen Presseangehörigen und nicht um ein Recht zur gesamten Hand der Mitglieder einer Redaktion (entsprechend für die Personengebundenheit des archivrechtlichen Nutzungsanspruchs: BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2019 - 6 A 1.17 - NJW 2019, 2186 Rn. 25).

11 2. Die Klage bleibt nach den Maßgaben, denen der verfassungsunmittelbare...

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