Urteil vom 19.01.2011 - BVerwG 9 C 3.10

Judgment Date19 Enero 2011
ECLIDE:BVerwG:2011:190111U9C3.10.0
Neutral CitationBVerwG 9 C 3.10
Record Number190111U9C3.10.0
Registration Date05 Diciembre 2012
Applied RulesGG Art. 14 Abs. 1 Satz 2,LPG-Gesetz 1982 §§ 18, 27,LPG-Gesetz 1959 §§ 8, 13,LwAnpG §§ 59, 64,EGBGB Art. 233 § 2a Abs. 1, § 2b Abs. 2 und 4, § 4 Abs. 3 und 6, Art. 231 § 5
CourtDas Bundesverwaltungsgericht

BVerwG 9 C 3.10

  • OVG Mecklenburg-Vorpommern - 24.02.2010 - AZ: OVG 9 K 28/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 19. Januar 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte, Domgörgen, Dr. Christ und
Prof. Dr. Korbmacher
für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 24. Februar 2010 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  2. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe I

1 Der Kläger wendet sich gegen die Einleitung eines Bodenordnungsverfahrens nach § 64 des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes (LwAnpG).

2 Er ist Mitglied einer Erbengemeinschaft, die Eigentümerin eines in der Gemeinde Tarnow (Gemarkung Zernin) belegenen Grundstücks ist. Die Rechtsvorgänger der Erbengemeinschaft hatten dieses Grundstück zur landwirtschaftlichen Nutzung verpachtet. Als der Pächter im Jahre 1953 Mitglied der LPG „Fortschritt“ wurde, brachte er das Grundstück in die Genossenschaft ein. 1965 errichtete die LPG auf dem Grundstück einen Kälberstall, an den 1979 mit baurechtlicher Genehmigung ein Futterhaus angebaut wurde.

3 Die Beigeladene zu 1 ist Rechtsnachfolgerin der LPG „Fortschritt“. Sie veräußerte mit notariellem Gebäudekaufvertrag vom 19. Dezember 1995 den Kälberstall an die Gemeinde Zernin, deren Rechtsnachfolgerin die Beigeladene zu 2 ist. In diesem Vertrag erklärte die Beigeladene zu 1 außerdem die Aufgabe des Nutzungsrechts „gemäß Artikel 233 § 4 Absatz 6 Satz 2 EGBGB“. Die Übertragung des Gebäudeeigentums auf die Gemeinde Zernin wurde in der Folgezeit nicht in ein Gebäudegrundbuchblatt eingetragen. Die Gemeinde Zernin baute sodann das Stallgebäude und das Futterhaus in ein Gemeindezentrum mit Feuerwehrstützpunkt um.

4 Am 24. November 1999 beantragte das Amt Steintanz-Warnowtal für die Gemeinde Zernin die Durchführung eines Bodenordnungsverfahrens zur Bereinigung der Eigentumsverhältnisse an dem Grundstück. Der Kläger legte gegen den Beschluss des Beklagten zur Anordnung des Bodenordnungsverfahrens „Zernin - Gemeindezentrum IV“ Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 2003 zurückgewiesen wurde. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Flurbereinigungsgericht im Wesentlichen aus folgenden Gründen abgewiesen: Die Voraussetzungen des § 64 LwAnpG für die Durchführung eines Bodenordnungsverfahrens lägen vor. Es bestehe ein vom Grundeigentum der Erbengemeinschaft getrenntes Gebäudeeigentum der Beigeladenen zu 1 an dem Gemeindezentrum. Die LPG „Fortschritt“ habe den Kälberstall auf der Grundlage des Nutzungsrechts nach § 8 LPG-Gesetz 1959 bzw. § 18 LPG-Gesetz 1982 errichtet, der somit gemäß § 13 LPG-Gesetz 1959 bzw. § 27 LPG-Gesetz 1982 im selbständigen Gebäudeeigentum der LPG gestanden habe. Dieses Gebäudeeigentum habe nach Art. 231 § 5 EGBGB nach Inkrafttreten des Einigungsvertrages fortbestanden. Es sei auch nicht durch die im notariellen Gebäudekaufvertrag vom 19. Dezember 1995 enthaltene Erklärung der Beigeladenen zu 1 zur Aufgabe des Nutzungsrechts erloschen. Die Erklärungen zur Veräußerung des Gebäudes und zur Aufgabe des Nutzungsrechts stünden in Widerspruch zueinander, so dass der Vertrag nach dem Gedanken der Perplexität unwirksam sei. Das Gebäudeeigentum sei auch nicht durch den Umbau des Stalles in ein Gemeindezentrum mit Feuerwehrstützpunkt untergegangen. Dabei könne offen bleiben, ob das ursprüngliche Stallgebäude im Zuge der von der Beigeladenen zu 2 im Einverständnis mit der Beigeladenen zu 1 durchgeführten Umbaumaßnahmen untergegangen sei. Denn in diesem Fall sei die Beigeladene zu 1 aufgrund ihres Nutzungsrechts gemäß Art. 233 § 4 Abs. 3 EGBGB berechtigt gewesen, ein neues Gebäude errichten zu lassen, das - wie hier geschehen - die bisherige Kubatur beibehalte. Dass das neue Gebäude nicht mehr als Stall, sondern als Gemeindezentrum genutzt werde, sei für die Entstehung neuen selbständigen Gebäudeeigentums der Beigeladenen zu 1 unschädlich. Die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des § 64 LwAnpG seien ebenfalls erfüllt. Zwar habe zunächst kein wirksamer Antrag nach § 64 LwAnpG vorgelegen, weil die Antragstellerin, die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2, nicht Eigentümerin des Gemeindezentrums gewesen sei. Dieser Verfahrensmangel sei jedoch gemäß § 45 VwVfG dadurch geheilt worden, dass die Beigeladene zu 1 als Gebäudeeigentümerin nachträglich im Klageverfahren einen Antrag auf Zusammenführung von Gebäude- und Flächeneigentum gestellt habe.

5 Gegen dieses Urteil hat der Kläger die vom Flurbereinigungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Er macht im Wesentlichen geltend: Das Gebäudeeigen- tum sei mit der notariell erklärten Aufgabe des Nutzungsrechts erloschen; es gebe keine gesetzliche Bestimmung, nach der ein Vertrag nach dem Gedanken der Perplexität unwirksam sei. Auf der Grundlage des Art. 233 § 4 Abs. 3 Satz 2 EGBGB könne kein neues Gebäude mit verändertem Nutzungszweck errichtet werden. Das Flurbereinigungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass die Beigeladene zu 1 nachträglich nach § 45 VwVfG einen Antrag auf Zusammenführung des Gebäude- und Flächeneigentums habe stellen können. Denn der Bodenordnungsplan weise das Grundeigentum der Erbengemeinschaft der Beigeladenen zu 2 zu und trage damit deren Antrag nach § 64 LwAnpG Rechnung. Das Bodenordnungsverfahren hätte nur auf der Grundlage eines gesonderten Bescheides über das Vorliegen von Gebäudeeigentum eingeleitet werden dürfen.

6 Der Kläger beantragt, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 24. Februar 2010 und den am 29. Juni 2002 bekannt gegebenen Anordnungsbeschluss des Amtes für Landwirtschaft Bützow in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Oktober 2003 aufzuheben, hilfsweise, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 24. Februar 2010 und den Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 2003 aufzuheben und die Widerspruchsbehörde zu verpflichten, erneut über den Widerspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

7 Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung und beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II

8 Die Revision des Klägers ist zulässig. Er ist als Mitglied einer Erbengemeinschaft gemäß § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB befugt, sich gegen die An- ordnung eines - nicht von der Erbengemeinschaft beantragten - Verfahrens zur Zusammenlegung des zum Nachlass gehörenden Grundeigentums mit selbständigem Gebäudeeigentum nach § 56 Abs. 1...

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