Urteil vom 21.08.2023 - BVerwG 6 A 3.21

JurisdictionGermany
Judgment Date21 Agosto 2023
Neutral CitationBVerwG 6 A 3.21
ECLIDE:BVerwG:2023:210823U6A3.21.0
Record Number210823U6A3.21.0
CitationBVerwG, Urteil vom 21.08.2023 - 6 A 3.21 -
Registration Date05 Febrero 2024
Subject MatterVereinsrecht
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
Applied RulesGG Art. 4 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 und 2,VereinsG §§ 2, 3, 10, 11, 12, 17 Nr. 1 und 3,GmbHG § 5a,VwGO § 50 Abs. 1 Nr. 2, § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1 Satz 1, § 113 Abs. 1 Satz 1, §§ 121, 154 Abs. 1, § 173 Satz 1,ZPO § 256 Abs. 2,RL (EU) 2017/541 Art. 1, 18 lit. d),VwVfG § 28 Abs. 2 Nr. 1,AO § 51 Abs. 3 Satz 2,EMRK Art. 11,EU-GrCh Art. 12, 52 Abs. 3,StGB § 129 Abs. 2, § 129a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2

BVerwG 6 A 3.21

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 26. Juni, 27. Juni, 5. Juli, 15. August und 16. August 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller, Hahn und Dr. Tegethoff sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gamp
am 21. August 2023 für Recht erkannt:

  1. Die Klage wird abgewiesen
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens
Gründe I

1 Der Kläger, ein eingetragener Verein, wendet sich gegen die Verfügung des Bundesministeriums des Innern (BMI) vom 22. März 2021, mit der er und acht weitere Organisationen als seine Teilorganisationen verboten werden.

2 Der im Jahr 2012 unter dem Namen Ansaar Düsseldorf e. V. gegründete Kläger wurde am 7. Februar 2013 in das Vereinsregister eingetragen. Im September 2014 beschloss die Mitgliederversammlung die Umbenennung in Ansaar International e. V. Seit der Gründung ist Herr K., genannt ..., Vorsitzender des Klägers. Stellvertretende Vorsitzende war zunächst Frau W. R., die Ehefrau von Herrn K., und sodann seit Ende 2016 Frau T. A., die Schwägerin von Herrn K. Die weiteren Vorstandsämter wurden zuletzt seit 2014 von Herrn Ch. (Schriftführer) und Herrn B. (Finanzverwalter) wahrgenommen.

3 Gemäß § 1 der Vereinssatzung i. d. F. vom 19. September 2014 verfolgt der Kläger ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige mildtätige Zwecke im Sinne der Abgabenordnung. Genannt werden die Unterstützung hilfsbedürftiger Personen, die Förderung der Religion, die Hilfe für Flüchtlinge, Vertriebene, Kriegsopfer und Katastrophenopfer sowie die Förderung internationaler Gesinnung, der Toleranz und des Völkerverständigungsgedankens. Verwirklicht werden seine Zwecke nach der Satzung insbesondere durch Waisenkind-Patenschaften, Hilfsgüter-Lieferungen, Lebensmittelverteilungen und die Finanzierung von gemeinnützigen Einrichtungen wie Waisenschulen und -häuser. Des Weiteren will der Kläger mithilfe von Infoständen die Religion fördern und Vorurteile abbauen. Gemäß § 2 der Satzung ist der Kläger selbstlos tätig und verfolgt keine eigenwirtschaftlichen Zwecke. Das Vereinsvermögen soll im Falle seiner Auflösung oder des Wegfalls der steuerbegünstigten Zwecke nach § 13.2 der Satzung an das "Somalische Komitee e. V." gehen.

4 Der Kläger betreibt vor allem in Deutschland verschiedene Sammelstellen bzw. Spendentaxis für Sach- und Geldspenden und hat Teams in verschiedenen deutschen Städten, die für ihn auf Facebook werben und Spenden sammeln. Auf seiner Internetseite bezeichnet sich der Kläger selbst als muslimisch geprägter Hilfsbund, der insbesondere Menschen in Kriegs- und Krisengebieten unabhängig von ihrem Glauben humanitär unterstützt.

5 Das BMI leitete gegen den Kläger ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren ein. Im Zuge dessen wurden am 10. April 2019 die Büroräume des Klägers und weitere Objekte durchsucht. Dort aufgefundene Gegenstände, Unterlagen und Gelder wurden sichergestellt und beschlagnahmt.

6 Mit am 5. Mai 2021 zugestellter Verfügung vom 22. März 2021 stellte das BMI fest, dass der Kläger einschließlich seiner acht Teilorganisationen WWR-Help.WorldWide Resistance-Help e. V. (WWR), Aktion Ansar Deutschland e. V. (Aktion Ansar), Somalisches Komitee Information und Beratung in Darmstadt und Umgebung e. V. (SKIB), Frauenrechte ANS.Justice e. V. (ANS), Änis Ben-Hatira Help e. V./Änis Ben-Hatira Foundation (Ben-Hatira Help), Ummashop Düsseldorf (Ummashop), Helpstore Secondhand UG (Helpstore) und Better World Appeal e. V. (BWA) den Strafgesetzen zuwiderlaufende Zwecke und Tätigkeiten verfolgt und sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet (Ziff. 1). Es verbot den Kläger sowie die Teilorganisationen und löste sämtliche Vereine und Unternehmen auf (Ziff. 2). Neben der Verwendung ihrer Kennzeichen (Ziff. 3) verbot es zudem unter Ziff. 4 ihre Internetauftritte einschließlich deren Bereitstellung, Hosting und weitere Verwendung. Mit Ziff. 5 beschlagnahmte es das Vermögen des Klägers und seiner Teilorganisationen und zog es zugunsten des Bundes ein. Darüber hinaus ordnete das BMI die Beschlagnahme und Einziehung von Sachen und Forderungen Dritter nach Maßgabe der Ziff. 6 und 7 sowie unter Ziff. 8 die sofortige Vollziehung mit Ausnahme der Einziehungsanordnungen an.

7 Zur Begründung führte das BMI im Wesentlichen aus, der Kläger nutze ein Geflecht aus Vereinen und Einzelpersonen, um Spenden zu generieren, welche er nicht nur für humanitäre Zwecke, sondern insbesondere zur Unterstützung terroristischer Organisationen verwende. Der Vorsitzende des Klägers sei die zentrale Figur, die nicht nur die Aktivitäten des Klägers, sondern auch der Teilorganisationen steuere. Der Kläger habe die als Teilorganisationen anzusehenden Vereine und Unternehmen genutzt, um wegen der Kündigung seiner Konten und nach Aberkennung seiner Gemeinnützigkeit am 12. Oktober 2015 aufgrund seiner Erwähnung im damaligen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen auf neue Strukturen zugreifen und weiterhin Spenden sammeln zu können. Hierzu habe er einige seiner Teilorganisationen selbst gegründet und andere Vereinigungen faktisch übernommen. Die Teilorganisationen seien tatsächlich in die Gesamtorganisation des Klägers eingebunden.

8 Die Vereinigungen Aktion Ansar, BWA und ANS seien Teilorganisationen, weil der Kläger sie zu dem Zweck der Eröffnung von Girokonten gegründet habe. Sie wiesen enge personelle Verflechtungen zum Kläger auf, weil deren Vorstandsmitglieder Mitarbeiter des Klägers seien oder in verwandtschaftlichen Beziehungen zu dessen Vorsitzenden stünden. Ihre organisatorische und finanzielle Verflechtung ergebe sich vor allem daraus, dass diese Vereinigungen dem Kläger Konten zur ausschließlichen Nutzung überließen, über die er Spenden sammeln und Gelder transferieren könne. Entsprechendes gelte für die von dem Kläger gegründete Helpstore Secondhand UG.

9 Zu den Teilorganisationen gehöre des Weiteren die Vereinigung WWR, die dem Kläger ebenfalls einige Konten zur ausschließlichen Nutzung überlassen und ihn in die Lage versetzt habe, in ihrem Namen Spendenquittungen auszustellen und Verträge abzuschließen. Die Schwiegermutter von Herrn K., Frau N. R., sei Vorstandsmitglied des WWR gewesen. Der Kläger habe zahlreiche Unterlagen des WWR besessen und spätestens ab Juli 2017 die Buchhaltung des WWR übernommen. Ab November 2017 habe er auch Einfluss auf die originären Vereinsaktivitäten des WWR im Sinne eines Über-/Unterordnungsverhältnisses ausgeübt. WWR habe für den Kläger zahlreiche Rechnungen, die wirtschaftlich dem Kläger zuzuordnen seien, erhalten und deren Bezahlung übernommen. Die Vorsitzende des WWR habe ihre Kernaufgaben verloren. WWR werde von den Verantwortlichen des Klägers federführend und organisatorisch geleitet.

10 Eingebunden in die Gesamtorganisation des Klägers sei auch der Verein SKIB. Der Kläger unterstütze diese Vereinigung seit 2012 im Rahmen gemeinsamer Projekte in Somalia. Aufgrund der Zusammenarbeit habe SKIB sein jährliches Spendenvolumen von etwas mehr als 3 000 € im Jahr 2009 auf knapp 638 000 € im Jahr 2018 steigern können. Die Abhängigkeit von dem Kläger werde durch erhebliche Geldzuflüsse belegt, die aus dem Vereinsgeflecht um den Kläger getätigt würden; zwischen 2015 und 2018 habe dieser Anteil ca. 60 Prozent der Gesamtspendeneinnahmen von SKIB betragen. Diese Teilorganisation habe den Kläger in die Lage versetzt, ein Konto von SKIB für die Generierung von Spendengeldern zu nutzen und Spendenbescheinigungen im Namen von SKIB auszustellen. Letzteres sei dem Kläger aufgrund der Aberkennung seiner Gemeinnützigkeit selbst nicht mehr möglich gewesen.

11 Die Teilorganisationseigenschaft von Ben-Hatira Help ergebe sich daraus, dass der Vorsitzende und ein Mitarbeiter des Klägers im Vorstand jenes Vereins gewesen und beide Vereinigungen organisatorisch und finanziell verbunden seien. Ben-Hatira Help werbe für dieselben Projekte wie der Kläger und verwirkliche mit diesem gemeinsame Projekte im Gazastreifen. Auf dem Konto von Ben-Hatira Help habe es Geldzuflüsse und -abflüsse mit Bezug zu den anderen Teilorganisationen des Klägers gegeben. Der Kläger habe Kontozugangsdaten und weitere Unterlagen von Ben-Hatira Help besessen. Im Falle der Auflösung von Ben-Hatira Help gehe das Vereinsvermögen an SKIB.

12 Bei dem Ummashop handele es sich um ein Ladenlokal in Düsseldorf, in welchem unter anderem Kleidung der Marke des Klägers namens "Ansaar Clothing" sowie "traditionelle" muslimische Produkte vertrieben würden. Er sei eine Teilorganisation, weil seine Gewinne vollständig den Projekten des Klägers zugutekämen. Zwischen der ehemaligen Geschäftsführerin des Ummashops und dem Vorsitzenden des Klägers bestünden familiäre Beziehungen. Strukturelle Verbindungen würden dadurch sichtbar, dass sich auf dem Computer der ehemaligen Geschäftsführerin Dokumente einschließlich Abrechnungen mit Bezug zum Kläger und seinen Teilorganisationen befunden hätten. Zudem sei der Kläger im Besitz der Kontozugangsdaten des Ummashops. Neben dem Ummashop verkaufe der Kläger unter anderem Kleidung im Internet über den von ihm betriebenen Charityshop.

13 Der Kläger verwirkliche mit seinen Teilorganisationen sämtliche Verbotstatbestände. Durch gegenseitige familiäre und finanzielle Abhängigkeiten sei bewusst eine Organisationsstruktur geschaffen worden, die allein dem Zweck gedient habe, Geldflüsse zu verschleiern. Die Gelder...

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