Urteil vom 22.01.2021 - BVerwG 6 C 26.19

Judgment Date22 Enero 2021
Neutral CitationBVerwG 6 C 26.19
ECLIDE:BVerwG:2021:220121U6C26.19.0
Applied RulesVwGO §§ 43, 75, 137 Abs. 1 Nr. 2,VwVfG § 35 Satz 1 und 2, § 37 Abs. 1, § 41 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 und 2, Abs. 4 Satz 1 bis 4, § 43 Abs. 1, § 44 Abs. 1,FwG BW § 3 Abs. 3 Satz 2,i.d.F. vom 10. Februar 1987
Registration Date22 Marzo 2021
Record Number220121U6C26.19.0
Subject MatterPolizei- und Ordnungsrecht
CourtDas Bundesverwaltungsgericht

BVerwG 6 C 26.19

  • VG Sigmaringen - 12.12.2014 - AZ: VG 4 K 2213/13
  • VGH Mannheim - 22.10.2019 - AZ: VGH 1 S 450/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Januar 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz, Dr. Möller, Hahn und Dr. Tegethoff
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 22. Oktober 2019 wird zurückgewiesen, soweit dieses Urteil die Anträge der Klägerin auf Feststellung der Unwirksamkeit und der Nichtigkeit der Verfügung der Beklagten vom 25. November 1999 betrifft.
  2. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 22. Oktober 2019 wird aufgehoben, soweit dieses Urteil den Antrag der Klägerin auf Aufhebung der Verfügung der Beklagten vom 25. November 1999 betrifft. Insoweit wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  3. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe I

1 Die Klägerin wendet sich gegen die Verpflichtung, die Versorgung ihrer Grundstücke mit Löschwasser im Falle eines Brandes sicherzustellen und die Sicherstellung nachzuweisen.

2 Die Klägerin erwarb im Jahr 2005 durch Zuschlag in der Zwangsversteigerung zwei aneinander grenzende Grundstücke außerhalb des Bebauungszusammenhangs der beklagten Gemeinde. Ein Grundstück ist mit landwirtschaftlichen Gebäuden sowie mit einem Wohnhaus bebaut, das die Klägerin mit ihrem Ehemann bewohnt (Postanschrift J. 1). Dort befindet sich ein Löschwasserteich, den der Voreigentümer im Jahr 1998 aufgrund einer Baugenehmigung angelegt hatte. In diesen Teich wird das Dach- und Oberflächenabflusswasser der Gebäude eingeleitet. Im Jahr 1993 bestimmte die Beklagte nach Abstimmung mit den Fachbehörden und ihrer Feuerwehr Wohnplätze im Gemeindegebiet, für die im Falle eines Brandes die Versorgung der Feuerwehr mit Löschwasser nicht gesichert sei. Hierzu gehörten die Grundstücke der Klägerin (Wohnplatz J.).

3 Durch Verfügung vom 25. November 1999 verpflichtete der Bürgermeister der Beklagten die Eigentümer und Besitzer eines Gebäudes in diesen insgesamt 72 Wohnplätzen, darunter J., ständig Löschwasservorräte bereitzuhalten. Für alle abgelegenen Gebäude oder Gebäudegruppen seien Löschwasseranlagen zu errichten und zu unterhalten. Die Versorgung könne durch Hydranten sichergestellt werden, sofern die Leitungen des Versorgungsnetzes eine Lieferleistung von mindestens 800 Liter pro Minute gewährleisteten und der Fließdruck am Eingang einer Feuerlöschpumpe den Wert von 1,5 bar nicht unterschreite. Das Löschwasser könne Oberflächengewässern entnommen werden, wenn ganzjährig eine Entnahme von mindestens 800 Litern pro Minute gewährleistet sei. Die Löschwasserversorgung könne durch einen Behälter oder Teich gesichert werden. Für einzelne Gehöfte oder Gebäudegruppen müsse ein Wasservorrat von mindestens 96 cbm, für Kleinsiedlungen und Wochenendhausgebiete von 50 cbm vorhanden sein. Alle netzunabhängigen Wasserentnahmestellen müssten für Fahrzeuge der Feuerwehr über eine befestigte Zufahrt erreichbar sein. Sie dürften grundsätzlich nicht mehr als 200 Meter entfernt liegen. Der Nachweis der ausreichenden Löschwasserversorgung sei bis spätestens 29. September 2000 zu erbringen. Der Verfügung waren eine Begründung sowie eine Rechtsbehelfsbelehrung über die Möglichkeit beigefügt, innerhalb eines Monats nach der Bekanntgabe bei der Beklagten Widerspruch einzulegen. Sie schloss mit dem Namen des Bürgermeisters ab.

4 Der vollständige Inhalt der Verfügung vom 25. November 1999 wurde in der Ausgabe des "Kißlegger Amtsblatts" vom 9. Dezember 1999 in der Rubrik "Amtliche Bekanntmachungen" unter der Überschrift "Löschwasserversorgung im ländlichen Raum - Verpflichtung zur Bereitstellung von Löschwasser" veröffentlicht. Die Bekanntmachung enthielt keinen Hinweis, wo die Verfügung eingesehen werden konnte. Die Beklagte hatte das Amtsblatt durch ihr Satzungsrecht zum Organ für ortsübliche Bekanntmachungen bestimmt.

5 Die Klägerin gibt an, erstmals am 31. Mai 2012 durch Einsicht in die Akten eines von ihr geführten Rechtsstreits wegen der Unterhaltung des Löschteichs Kenntnis von der Verfügung vom 25. November 1999 erlangt zu haben. Mit Schreiben vom gleichen Tag legte sie bei der Beklagten Widerspruch gegen die Verfügung ein, über den in der Folgezeit nicht entschieden wurde. Am 6. August 2013 hat sie Klage erhoben. Die Klägerin hat beantragt festzustellen, dass die Verfügung vom 25. November 1999 unwirksam oder nichtig ist, hilfsweise diese aufzuheben, soweit sie das Anwesen J. betrifft. Es stellte sich heraus, dass eine Urschrift der Verfügung vom 25. November 1999 mit der eigenhändigen Unterschrift des Bürgermeisters bei der Beklagten nicht auffindbar ist. Die Beklagte hat lediglich eine Zweitschrift mit der Paraphe des Bürgermeisters vorlegen können.

6 Die Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. In dem Berufungsurteil hat der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen ausgeführt: Die Verfügung habe gegenüber der Klägerin Wirksamkeit erlangt. Es stehe zur gerichtlichen Überzeugung fest, dass der Bürgermeister eine Urschrift mit vollem Namen unterschrieben habe. Dies ergebe sich aus den Aussagen der als Zeugen vernommenen damaligen Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung und des damaligen Bürgermeisters. Danach seien dem Bürgermeister stets die Urschrift eines Schriftstücks und dessen Zweitschrift zusammen vorgelegt worden. Der Bürgermeister habe stets die Urschrift namentlich unterschrieben und die Zweitschrift paraphiert. Dass dies auch in Bezug auf die Verfügung vom 25. November 1999 geschehen sei, werde durch die vorgelegte Zweitschrift und die nachfolgende Bekanntmachung der Verfügung im Amtsblatt belegt.

7 Durch diese Bekanntmachung sei die Verfügung gegenüber allen Eigentümern und Besitzern der Grundstücke der darin aufgeführten Wohnplätze wirksam geworden. Die öffentliche Bekanntgabe der Allgemeinverfügung sei möglich gewesen, weil individuelle Bekanntgaben an die betroffenen Eigentümer und Besitzer untunlich gewesen seien. Dies sei indiziert, wenn mehr als 50 Bekanntgaben vorgenommen werden müssten. Die Bekanntmachung habe keinen Hinweis enthalten müssen, wo die Verfügung und ihre Begründung eingesehen werden konnten. Die gesetzliche Hinweispflicht gelte nicht, wenn wie im vorliegenden Fall nicht nur der verfügende Teil, sondern auch die vollständige Begründung und die Rechtsbehelfsbelehrung bekannt gemacht worden seien. Dies ergebe sich aus Systematik und Zweck der gesetzlichen Bestimmungen sowie aus den Gesetzgebungsmaterialien.

8 Die Verfügung vom 25. November 1999 sei nicht nichtig, weil ihr kein besonders schwerwiegender und offensichtlicher inhaltlicher Mangel anhafte. Das Verwaltungsgericht habe zutreffend angenommen, dass die Löschwasserversorgung des Wohnplatzes J. sichergestellt werden müsse, weil die Gebäude abgelegen seien. Der Bürgermeister habe die Voraussetzungen für die Entnahme von Löschwasser aus einem Gewässer, insbesondere die Entfernung der Entnahmestelle von nicht mehr als 200 Metern, sachgerecht festgelegt; von Willkür könne keine Rede sein. Gleiches gelte für die Festlegungen des Fassungsvermögens von Löschwasserbehältern und -teichen. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergebe sich nicht, dass Löschwasser für ihren Wohnplatz in ausreichender Menge aus den von ihr genannten Bächen herangeführt werden könne. Die Verfügung sei auch nicht inhaltlich unbestimmt. Nach ihrem eindeutigen Wortlaut verpflichte sie sowohl Eigentümer als auch Besitzer von Wohnplatzgrundstücken, die Löschwasserversorgung zu gewährleisten. Die Auswahl könne nach den für die Gefahrenabwehr geltenden Grundsätzen getroffen werden, falls sich dies als notwendig erweise.

9 Die hilfsweise beantragte Aufhebung der Verfügung vom 25. November 1999 komme nicht in Betracht, weil die Verfügung bereits unanfechtbar gewesen sei, als die Klägerin im Jahr 2005 das Grundstückseigentum an dem Wohnplatz J. erworben habe. Der Geltungsanspruch und die Bestandskraft von Verwaltungsakten, die wie die Verfügung vom 25. November 1999 Regelungen für die Nutzung eines Grundstücks träfen, würden durch den Wechsel des Eigentümers nicht berührt. Dies gelte unabhängig davon, ob der neue Eigentümer den Verwaltungsakt zum Zeitpunkt des Erwerbs bereits gekannt habe. Die Klägerin könne nicht verlangen, dass das Verfahren mit dem Ziel der Aufhebung der Verfügung wiederaufgegriffen werde.

10 Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision unter anderem vor: Die Verfügung vom 25. November 1999 sei nicht existent, weil keine vom Bürgermeister unterschriebene Urschrift vorhanden sei. Dies werde dadurch belegt, dass die Beklagte ihre vor dem Erwerb der Grundstücke gestellte Anfrage, ob grundstücksbezogene Beschränkungen oder Auflagen bekannt seien, verneint habe. Auch hätten die Mitarbeiter der Beklagten die Verfügung gegenüber der Klägerin bis zum Mai 2012 trotz vieler Gelegenheiten nicht erwähnt. Die Zeugen, insbesondere der damalige Bürgermeister, hätten bei ihren Vernehmungen nur vage Erinnerungen an die damaligen Vorgänge bekundet. Keiner habe sich daran erinnert, dass dem Bürgermeister die Urschrift zur Unterschrift vorgelegt worden sei. Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, bei der Bekanntmachung der Verfügung im Amtsblatt habe nicht auf die Möglichkeit der Einsichtnahme hingewiesen werden müssen, stehe in Widerspruch zu dem...

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