Urteil vom 24.11.2016 - BVerwG 5 C 57.15

JurisdictionGermany
Judgment Date24 Noviembre 2016
Neutral CitationBVerwG 5 C 57.15
ECLIDE:BVerwG:2016:241116U5C57.15.0
Applied RulesSGB II § 22 Abs. 1 Satz 1 und 3,WoGG 2008 § 4 Nr. 1, § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4, § 5 Abs. 6 Satz 1 und 2, § 25 Abs. 1 Satz 1,SGB XII § 35 Abs. 2 Satz 1,BGB § 1626 Abs. 1, § 1684 Abs. 1, § 1671 Abs. 1 Satz 1,GG Art. 3 Abs. 1, 2 und 3 Satz 1, Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 und 2
Registration Date13 Febrero 2017
Record Number241116U5C57.15.0
Subject MatterRecht der Förderung des Wohnungsbaues, des sonstigen Wohnungsrechts einschl. des Wohngeldrechts sowie des Mietpreisrechts
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
CitationBVerwG, Urteil vom 24.11.2016 - 5 C 57.15

BVerwG 5 C 57.15

  • VG Gelsenkirchen - 19.03.2010 - AZ: VG 3 K 4994/09
  • OVG Münster - 01.12.2014 - AZ: OVG 12 A 763/10

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 24. November 2016
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer und Dr. Fleuß
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Harms
für Recht erkannt:

  1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Nordrhein-Westfalen vom 1. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe I

1 Der Kläger begehrt für den Zeitraum von September 2009 bis Mai 2013 die Bewilligung von Wohngeld unter Berücksichtigung seiner damals noch minderjährigen Töchter als Haushaltsmitglieder.

2 Der Kläger bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Seine Töchter wurden im Mai 1993 und Mai 1995 geboren. Seit dem Jahre 1996 lebte der Kläger von deren Mutter getrennt. Im Jahre 1998 mietete der Kläger eine 64 qm große Drei-Zimmer-Wohnung, in der er ein Kinderzimmer für seine Töchter vorhielt. Die Ehe zwischen ihm und seiner Frau wurde im Jahre 2001 geschieden. Im Rahmen des Scheidungsverfahrens wurde seiner geschiedenen Frau das alleinige Sorgerecht für die Töchter zugesprochen, das sie bis zum jeweiligen Eintritt von deren Volljährigkeit mit Ausnahme einzelner Bereiche, wie z.B. Angelegenheiten der Schule oder der Gesundheit, ausübte. Hinsichtlich der genannten Bereiche wurden dem Kläger nachträglich gleichberechtigte Mitentscheidungsrechte eingeräumt.

3 Nach dem Wegfall der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende beantragte der Kläger am 21. September 2009 die Bewilligung von Wohngeld unter Zurechnung seiner Töchter als Haushaltsmitglieder zu seinem Haushalt. Zu diesem Zeitpunkt besuchten beide Töchter noch die Schule, lebten im Haushalt ihrer Mutter und waren dort mit ihrem ersten Wohnsitz gemeldet. Beim Kläger verbrachten sie entsprechend des ihm eingeräumten Umgangsrechts jedes zweite Wochenende, die Hälfte der Schulferien, die Hälfte der Brücken- und Feiertage sowie seinen Geburtstag. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg.

4 Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Töchter des Klägers könnten seinem Haushalt insbesondere nicht nach § 5 Abs. 6 Satz 1 WoGG 2008 als Haushaltsmitglieder zugerechnet werden. Es fehle bereits an dem danach vorausgesetzten gemeinsamen Sorgerecht. Das Abstellen auf das gemeinsame Sorgerecht sei kein Redaktionsversehen des Gesetzgebers und verstoße auch nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen die Grundrechte des Klägers.

5 Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Er rügt insbesondere die Unvereinbarkeit des § 5 Abs. 6 Satz 1 WoGG mit Art. 3 und Art. 6 GG.

6 Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

II

7 Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat im Ergebnis ohne Rechtsverstoß einen Anspruch des Klägers auf Bewilligung von Wohngeld für den Zeitraum von September 2009 bis Mai 2013 verneint.

8 Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Bewilligung von Wohngeld für den besagten Zeitraum können sich nur aus dem Wohngeldgesetz in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des Wohngeldrechts und zur Änderung des Sozialgesetzbuches vom 24. September 2008 (BGBl. I S. 1856), für den hier maßgeblichen Zeitraum zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 3. April 2013 (BGBl. I S. 610), - WoGG 2008 -, ergeben. Auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar ist die durch das Gesetz vom 2. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1610) vorgenommene Änderung des § 5 des Wohngeldgesetzes, die am 1. Januar 2016 in Kraft getreten ist (WoGG 2016). Das Oberverwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangenen, dass sich der streitgegenständliche Bewilligungszeitraum von September 2009 bis einschließlich Mai 2013 erstreckt (1.). Wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erörtert, steht zwischen den Beteiligten das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen mit Ausnahme der Frage, ob die Töchter des Klägers bis zum Eintritt ihrer jeweiligen Volljährigkeit gemäß § 5 Abs. 6 WoGG 2008 zu den Mitgliedern seines Haushalts zu zählen waren, zu Recht nicht im Streit. Nach dieser Vorschrift ist, wenn nicht nur vorübergehend getrennt lebende Eltern das gemeinsame Sorgerecht für ein Kind oder mehrere Kinder haben und sie für die Kinderbetreuung zusätzlichen Wohnraum bereithalten, jedes annähernd zu gleichen Teilen betreute Kind bei beiden Elternteilen Haushaltsmitglied (Satz 1). Betreuen die Eltern mindestens zwei dieser Kinder nicht zu annähernd gleichen Teilen, ist bei dem Elternteil mit dem geringeren Betreuungsanteil nur das jüngste dieser nicht zu annähernd gleichen Teilen betreuten Kinder Haushaltsmitglied (Satz 2). Auch im letztgenannten Fall hängt die auf das jüngste Kind beschränkte Zurechnung als Haushaltsmitglied vom Bestehen eines gemeinsamen Sorgerechts ab (2.). Daran fehlte es im streitgegenständlichen Zeitraum (3.). Das Erfordernis eines gemeinsamen Sorgerechts in § 5 Abs. 6 Satz 1 und 2 WoGG 2008 steht mit höherrangigem Recht in Einklang (4.). Dementsprechend waren die Töchter des Klägers - unabhängig vom Umfang seines Betreuungsaufwandes - weder nach Satz 1 noch nach Satz 2 des § 5 Abs. 6 WoGG 2008 bei der Berechnung seines Wohngeldanspruchs als Haushaltsmitglieder in Ansatz zu bringen.

9 1. Das Oberverwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass auf der Grundlage des Antrags vom 21. September 2009 über die Bewilligung von Wohngeld an den Kläger für die Zeit von September 2009 bis einschließlich Mai 2013 zu entscheiden war.

10 Nach den von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Wohngeldrecht entwickelten Grundsätzen ist der Streit über die Versagung von Wohngeld nicht auf den durch den gestellten Antrag bestimmten und nach § 25 Abs. 1 Satz 1 WoGG 2008 in der Regel zwölf Monate umfassenden Bewilligungszeitraum beschränkt. Vielmehr erfasst der Streitgegenstand einer Verpflichtungsklage gegen einen ablehnenden Wohngeldbescheid dem Grundsatz nach, ohne dass es nach bestimmten Zeitabschnitten einer erneuten Antragstellung bedarf, alle bis zur letzten mündlichen Verhandlung entstandenen Ansprüche auf Wohngeld, solange der Antragsteller damit rechnen muss, dass erneuten Anträgen dieselben Ablehnungsgründe entgegengehalten werden. Es ist dem Betroffenen nicht zumutbar, für jeden neuen Bewilligungszeitraum einen neuen Antrag zu stellen, solange der Streit über den unverändert aufrechterhaltenen Versagungsgrund geführt wird. Ebenso ist den zuständigen Behörden nicht zuzumuten, neu eingehende Anträge erneut zu bearbeiten, solange der Streit über den Versagungsgrund nicht zum Abschluss gelangt ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 13. November 1974 - 8 C 104.73 - Buchholz 454.71 § 14 II. WoGG Nr. 1 S. 5 f.; vom 2. Mai 1984 - 8 C 94.82 - BVerwGE 69, 198 <199> und vom 23. Januar 1990 - 8 C 58.89 - BVerwGE 84, 278 <285 f.>). So ist es auch hier.

11 Die Beklagte lehnte den Wohngeldantrag des Klägers vom 21. September 2009 aus grundsätzlichen Erwägungen ab, weil der Kläger und seine geschiedene Frau kein gemeinsames Sorgerecht innehatten. Solange sich daran bis zur Volljährigkeit der jüngsten Tochter im Mai 2013 nichts änderte, was nicht der Fall war, war zu erwarten, dass die Beklagte etwaige Wohngeldanträge des Klägers für weitere Bewilligungszeiträume mit derselben Begründung ablehnen würde.

12 2. Die Berücksichtigung jedenfalls des jüngsten Kindes als Haushaltsmitglied nach der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung des § 5 Abs. 6 Satz 2 WoGG 2008 setzt ebenso wie § 5 Abs. 6 Satz 1 WoGG 2008 ein gemeinsames Sorgerecht der getrennt lebenden Eltern voraus.

13 Das gemeinsame Sorgerecht wird zwar im Wortlaut des § 5 Abs. 6 Satz 2 WoGG 2008 als Anspruchsvoraussetzung nicht ausdrücklich wiederholt. Allerdings weisen der übrige Wortlaut und der systematische Zusammenhang des Satzes 2 mit Satz 1 sehr deutlich in die Richtung, dass die auf das jüngste Kind beschränkte Hinzurechnung zu zwei Haushalten ein gemeinsames Sorgerecht erfordert und damit die Berücksichtigung von Kindern als Haushaltsmitglieder bei getrennt lebenden Elternteilen ausscheidet, die - wie der Kläger - im Wesentlichen nur über ein Umgangsrecht verfügen. Die Formulierung "dieser Kinder" in Satz 2 knüpft unzweifelhaft an den ersten Halbsatz des Satzes 1 an, der die von der Zurechnungsregelung des Satzes 1 erfassten Kinder als solche kennzeichnet, deren Eltern gemeinsam sorgeberechtigt sind. Zudem greift der Wortlaut des Satzes 2 die weitere Tatbestandsvoraussetzung des Betreuungsaufwandes auf und kleidet sie in eine Negativformulierung ("nicht annähernd zu gleichen Teilen").

14 Das von Wortlaut und Binnensystematik gebotene Normverständnis wird durch den Zweck des § 5 Abs. 6 WoGG 2008, der aus der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 16/6543 S. 91) und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift deutlich hervorgeht, gestützt. Danach wollte der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift in Anlehnung an die vorgefundene verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Trennungskindern als Haushaltsmitglieder im Falle ihrer Betreuung in Form des sogenannten Wechselmodells eine Ausnahme von dem wohngeldrechtlichen Grundsatz schaffen, dass eine...

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