Urteil vom 25.01.2017 - BVerwG 9 C 30.15

JurisdictionGermany
Judgment Date25 Enero 2017
Neutral CitationBVerwG 9 C 30.15
ECLIDE:BVerwG:2017:250117U9C30.15.0
Applied RulesAO § 191 Abs. 1 Satz 2,RsprEinhG § 2 Abs. 1,AnfG §§ 1, 2, 4, 9, 11, 13
Registration Date27 Marzo 2017
Record Number250117U9C30.15.0
Subject MatterSonstiges Abgabenrecht
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
CitationBVerwG, Urteil vom 25.01.2017 - 9 C 30.15

BVerwG 9 C 30.15

  • VG Bayreuth - 11.02.2015 - AZ: VG B 4 K 13.349
  • VGH München - 18.09.2015 - AZ: VGH 4 BV 15.643

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Korbmacher,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bick und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Martini und Dr. Dieterich
für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. September 2015 wird geändert. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 11. Februar 2015 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Gründe I

1 Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens ein Wahlrecht zwischen Klage und Duldungsbescheid besteht.

2 Der Kläger nimmt den Beklagten im Klagewege nach dem Anfechtungsgesetz auf Duldung der Zwangsvollstreckung in drei in dessen Eigentum stehende Geschäftsgrundstücke in Anspruch. Der Klage liegen Gewerbesteuerforderungen gegen die Mutter des Beklagten (im Folgenden Schuldnerin) zugrunde. Der Anspruch des Klägers gegen die Schuldnerin beläuft sich auf 55 955,63 €, wobei sich die Forderung aus rückständigen Gewerbesteuerforderungen, Säumnis- und Verspätungszuschlägen, verschiedenen Gebühren und Nachzahlungszinsen zusammensetzt.

3 Die Schuldnerin betrieb auf den früher ihr gehörenden Geschäftsgrundstücken einen gewerblichen Handel. Mit Prüfungsanordnung vom 13. November 2008 ordnete das Finanzamt L. eine Betriebsprüfung für die Jahre 2003 bis 2005 an; am 25. November 2008 wurde der Prüfungszeitraum auf die Jahre ab 2000 erweitert. Noch während der laufenden Betriebsprüfung übertrug die Schuldnerin mit notariellem Überlassungsvertrag vom 19. Februar 2009 die Grundstücke ihrem Sohn - dem Beklagten - unentgeltlich als Schenkung. Nachdem der Kläger der Schuldnerin im Februar 2010 die Einleitung eines Gewerbeuntersagungsverfahrens angedroht hatte, meldete die Schuldnerin ihr Gewerbe im März 2010 ab. Es wird seither unter anderem vom Beklagten weiterbetrieben.

4 Nachdem mehrere Vollstreckungsversuche des Klägers gegenüber der Schuldnerin erfolglos geblieben waren und die Schuldnerin die eidesstattliche Versicherung abgegeben hatte, erhob der Kläger gegen den Beklagten beim Landgericht C. Klage nach § 4 Abs. 1 AnfG wegen Gläubigerbenachteiligung und begehrte die Duldung der Zwangsvollstreckung in die Geschäftsgrundstücke. Das Landgericht erklärte den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für zulässig. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten änderte das Oberlandesgericht B. den Beschluss des Landgerichts ab und verwies den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht. Zur Begründung führte es aus: Die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis im Anwendungsbereich des Anfechtungsgesetzes könne ausschließlich durch Duldungsbescheid erfolgen. Eine Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung vor den ordentlichen Gerichten sei ausgeschlossen.

5 Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 11. Februar 2015 abgewiesen. Der Klage fehle das Rechtsschutzbedürfnis, da der Kläger zum Erlass eines Duldungsbescheides aus § 191 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AO verpflichtet sei. Dafür spreche der eindeutige Wortlaut der abgabenrechtlichen Norm. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Der Verwaltungsgerichtshof hat auf die Berufung des Klägers den Beklagten antragsgemäß zur Duldung der Zwangsvollstreckung verurteilt. Die Klage sei zulässig. Ihr fehle weder das Rechtsschutzbedürfnis noch sei sie kraft Gesetzes unstatthaft. Die Finanzbehörden hätten zur Durchsetzung ihrer Anfechtungsansprüche ein Wahlrecht; sie könnten auf das Instrument eines Duldungsbescheids zurückgreifen oder eine Klage nach dem Anfechtungsgesetz gegen den Dritten erheben.

6 Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom Berufungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision. Der Wortlaut des § 191 Abs. 1 Satz 2 AO eröffne kein Wahlrecht. Die Regelung sei gegenüber dem Anfechtungsgesetz spezieller. Dem Kläger fehle das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage, da er sein Rechtsschutzziel genauso effektiv auf einfacherem Weg erreichen könne; insbesondere könne er auch mit einem abgabenrechtlichen Duldungsbescheid eine verjährungshemmende Wirkung erzielen. Zudem sei die Geltendmachung des Anfechtungsanspruchs durch Klage für den Bürger unter Kostengesichtspunkten belastender.

7 Der Beklagte beantragt, das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. September 2015 zu ändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 11. Februar 2015 zurückzuweisen.

8 Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

9 Er verteidigt das Berufungsurteil.

10 Die Landesanwaltschaft Bayern und der Vertreter des Bundesinteresses beteiligen sich am Verfahren. Sie teilen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts.

II

11 Die Revision ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs ist die auf §§ 1, 2, 4, 7, 11 und 13 AnfG gestützte Klage schon kraft Gesetzes unstatthaft.

12 Zwar kann eine Behörde nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich auch dann eine Leistungsklage erheben, wenn sie den Anspruch durch Verwaltungsakt geltend machen könnte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2011 - 8 C 53.09 - BVerwGE 139, 87 Rn. 12 m.w.N.). Dies gilt aber dann nicht, wenn das zugrunde liegende...

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